Kein Bonus ohne Malus
Einige klare Gedanken zu einem aktuellen Problem
Ich habe eine Lösung für das Problem von Bankern, die Risiken eingehen, die die Allgemeinheit bedrohen. Sie lautet: Eliminierung der Boni.
Mehr als vier Jahre nach Beginn der globalen Finanzkrise sprengen sich noch immer Finanzinstitute in die Luft. Für Schlagzeilen in den USA sorgte 2011 und 2012 der Börsenmakler MF Global; er beantragte zunächst Gläubigerschutz und meldete daraufhin Insolvenz an, nachdem sein CEO, Jon S. Corzine, riskante Investitionen in europäische Anleihen getätigt hatte. Nicht selten zahlen den Preis solcher Pleiten die Steuerzahler statt die Geldgeber und Aktionäre der betreffenden Firmen. Es ist überdies nur eine Frage der Zeit, bis privates Risikoverhalten zu einem weiteren riesigen «Bailout» führt, zu Rettungsaktionen ähnlich jenen, die die Vereinigten Staaten 2008 durchführten.
Das Versprechen «keine weiteren Bailouts» ist tatsächlich nur das – ein Versprechen. Die Financiers (und deren Anwälte) werden den Regulatoren immer einen Schritt voraus bleiben. Und niemand weiss wirklich, was passieren wird, wenn das nächste Mal eine grosse Bank wegen ihres falschen Risikoverständnisses Pleite geht.
Statt weiterer Versprechen ist es Zeit für eine fundamentale Reform: Wer für eine Firma arbeitet, die – ungeachtet ihrer aktuellen finanziellen Gesundheit – im Bankrottfall einer mit Steuergeldern finanzierten Rettungsaktion bedürfte, sollte keinen Bonus bekommen, unter keinen Umständen. Vielmehr sollten alle Gehälter der systemisch wichtigen Finanzinstitutionen strengstens reguliert werden (dazu zählen nicht nur die grossen Banken).
Kritiker wie die Occupy-Wall-Street-Demonstranten prangern das Bonussystem an, weil es ihm an Fairness mangle und
es zur Verschärfung der Ungleichheit beitrage. So weit okay. Das grössere Problem besteht aber darin, dass es einen Anreiz zum Eingehen von Risiken setzt. Einen Anreiz für Erfolg ohne entsprechendes Abschreckmittel für Misserfolg. Die asymmetrische Natur des Bonus führt dazu, dass sich versteckte Risiken im Finanzsystem akkumulieren und zu einem Katalysator für Katastrophen werden. Das verstösst gegen die fundamentalen Regeln des Kapitalismus; schon Adam Smith beargwöhnte die Auswirkung der Haftungsbeschränkung, dieses grundlegenden Prinzips der modernen Aktiengesellschaft.
Boni sind besonders gefährlich, weil sie Banker dazu verleiten, das System auszutricksen, indem sie die Risiken jener seltenen und schwer voraussehbaren, aber logisch folgerichtigen Explosionen verstecken, die ich «schwarze Schwäne» genannt habe. Die Kernschmelze auf dem amerikanischen Subprime-Hypotheken-Markt, die die globale Finanzkrise ausgelöst hat, ist nur das jüngste Beispiel einer solchen Katastrophe.
Man bedenke: Dem Militär und dem Personal der inneren Sicherheit vertrauen wir unsere Leben an, erteilen diesen Leuten aber keine üppigen Boni. Sie werden befördert und erhalten die Ehre einer gut gemachten Arbeit, wenn sie erfolgreich sind, und sie erfahren die schwerwiegende Abschreckung der Schande, wenn sie versagen. Banker bekommen das Gegenteil: einen Bonus, wenn sie kurzfristigen Gewinn erzielen, und eine Rettung, wenn sie Pleite machen. Das Argument, Talent müsse sich auszahlen, führt in diesem Fall auf eine falsche Fährte: Da ich mit beiden Gruppen, mit dem Militärpersonal und auch mit Bankern, zusammengearbeitet habe, kann ich Ihnen sagen, dass Militär und Sicherheitsleute nicht nur sorgfältiger mit Sicherheit umgehen, sondern oftmals auch bessere technische Fertigkeiten haben als Banker.
Der Hammurabi-Codex
Die Menschen der Antike waren sich dieser Vorteil-ohne-Nachteil-Asymmetrie völlig bewusst und bildeten als Antwort darauf einfache Regeln. Vor beinahe 4000 Jahren legte der Hammurabi-Codex folgendes fest: «Wenn ein Baumeister ein Haus für einen Mann baut und die Konstruktion nicht stabil genug macht, so dass das gebaute Haus zusammenbricht und den Tod des Besitzers verursacht, dann soll dieser Baumeister getötet werden.»
Das war schlicht und einfach die beste Regel des Risikomanagements überhaupt. Die Babylonier hatten verstanden, dass der Baumeister immer mehr über die Risiken wissen würde als der Kunde und dass er Schwächen verstecken und seinen Ertragswert durch Pfusch – zum Beispiel am Fundament – erhöhen könnte. Der Baumeister kann auch den Inspektor täuschen; die Person, die ein Risiko versteckt, verfügt über einen grossen Informationsvorteil gegenüber jener, die es finden muss.
Das Verbieten der Boni geht das Principal-Agent-Problem der Wirtschaft an: Die Trennung zwischen den Interessen eines Auftragnehmers – des Agenten – und jenen des Kunden oder Auftraggebers – des Principals. Die Stärke meiner Lösung liegt in der Idee, dass sich Menschen nicht bewusst selber schaden wollen; ich fühle mich in einem Flugzeug viel sicherer, wenn ein menschlicher Pilot an den Schalthebeln sitzt, und nicht eine Drohne. Ebenso sollten Köche ihre eigenen Gerichte probieren; Ingenieure sollten unter den von ihnen entworfenen Brücken stehen, wenn diese getestet werden; der Kapitän sollte der letzte sein, der das Schiff verlässt. Die Römer hatten mit der Technik der Dezimierung sogar ein Abschreckmittel gegen die Feigheit gefunden, die den Tod von anderen verursacht: Wenn eine Legion eine Schlacht verloren hatte und ein Verdacht auf Feigheit bestand, wurden 10 Prozent der Soldaten und Befehlshaber – üblicherweise willkürlich ausgewählt – getötet.
Keine Vermischung von Boni und Rettungsaktionen
Keine solche Strafe erwartet die geretteten, Boni-einheimsenden Banker. Die Periode zwischen 2000 und 2008 kannte eine sehr grosse Anhäufung von versteckten Risiken im Finanzsystem. Das Krisenjahr 2010 brachte die grössten Entschädigungen der Geschichte. Und nachdem die Boni 2011 wegen der Schuldenkrise in Einzelfällen um bis zu 30 Prozent zurückgegangen waren, stiegen sie 2012 wieder um durchschnittlich 10 Prozent.
Es ist klar geworden, dass es nicht genügt, einfach frühere Boni nachträglich zurückzufordern. Kontrolle, Regulation und andere Formen der Überwachung sind notwendig, aber nicht hinreichend – man bedenke, dass die Federal Reserve noch 2007 darauf beharrte, dass die rasch ausgreifende Subprime-Hypotheken-Krise eingedämmt werden könne.
Wie würde das Bankenwesen aussehen, wenn die Boni der Angestellten systemrelevanter Institute eliminiert wären? Es wäre nicht sehr weit entfernt von dem, was es war, als ich Bankenpraktikant in den 1980er Jahren war, vor der Welle der Deregulierungen, die 1999 in der Aufhebung des Glass-Steagall Act gipfelte, jenes Gesetzes aus der Depressionszeit, das die Investmentbanken von den Geschäftsbanken getrennt hatte. Bis dahin waren Banker und Geldgeber langweilige «Berufssoldaten». Das Bankgeschäft war farblos und berechenbar; das Einkommen des Vorsitzenden war tiefer als jenes eines heutigen Juniorhändlers. Investmentbanken, die Boni bezahlten und kein Geld verleihen durften, waren Kommanditgesellschaften, die auf unbeschränkter Haftung basierten, und nicht Hasardeure, die mit dem Geld anderer Leute spielen.
Die locker regulierten Hedge-Fonds könnten einige der Risiken übernehmen, die die Banken meinem Vorschlag zufolge abwerfen würden. Während wir üblicherweise von den wenigen erfolgreichen Hedge-Fonds hören, geht die grosse Mehrheit in Bankrott, nur füllt deren Scheitern selten die Spalten der Frontseiten. Denn deren Principal-Agent-Problem ist keines, das die Steuerzahler betrifft: Normalerweise gestalten die Investoren die Führung der Hedge-Fonds so, dass sie sicherstellen, dass ein etwaiges Platzen den
Manager stärker trifft als irgendeinen seiner Investoren.
Ich glaube, dass weniger mehr ist – bei komplexen Problemen ist einfache Heuristik nötig. Anstatt tausendseitiger Regulierungen sollten wir deshalb ein Basisprinzip durchsetzen: Boni und Rettungsaktionen sollten sich nie vermischen.
Leicht überarbeitete Fassung eines Textes, der zuerst in der «New York Times» erschienen ist. Wir danken dem Autor für die Genehmigung zum Wiederabdruck.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Claudia Mäder