Kein Ausweg aus der Nichtsangst
Jürg Amann: «Nichtsangst. Fragmente auf Tod und Leben». Innsbruck/Wien: Haymon, 2008.
Obwohl der Tod eine der wenigen Gewissheiten unserer Existenz ist und die Mortalitätsrate der Menschen noch immer einhundert Prozent beträgt, lässt sich über unser Ableben hinaus nur wenig sagen. Das hat vor allem damit zu tun, dass zwar nur ein Atemzug Tod und Leben trennt, dass beide aber buchstäblich Welten auseinanderliegen und es keine Verbindung von hier nach dort gibt. Zumal nicht einmal als sicher gilt, dass es dieses dort überhaupt gibt. Was aber ist von einem Leben zu halten, in dem der Tod das letzte Wort hat und uns am Ende unserer Existenz das blanke Nichts erwartet? «Der Tod ist der Fehler in der Welt», befindet Jürg Amann zu Beginn seines Buches «Nichtsangst» kategorisch und dekliniert anschliessend in Hunderten von Aphorismen die bitteren Konsequenzen dieses Kardinalfehlers für unser irdisches Dasein durch. Von seinem Ende, und das heisst für Amann von seiner völligen Auslöschung her gedacht, ist das Leben von Anfang an missglückt, eine sinnlose Episode im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Wer hier noch auf der Möglichkeit von Glück, Erfüllung und einer persönlichen Hinterlassenschaft beharrt, ist naiv oder bestenfalls ahnungslos. Und was wir so stolz als Ausdruck des élan vital feiern, ist tatsächlich nur Ablenkung vom Tod und unserer Angst vor dem Nichts.
Ob in der Liebe, der Kunst, der Religion oder der Philosophie – stets geht es dem Menschen darum, sich seine Vergänglichkeit vergessen zu machen und seine Todesangst in einen scheinbaren Lebenstrieb umzubiegen. Der Biss der Amannschen Aphorismen besteht gerade darin, diesen subtilen Täuschungsmechanismus wieder und wieder offenzulegen: in der Liebe – «mit der Liebe versuchen wir uns davon abzulenken, dass wir sterblich sind»; in der Religion – «die Transzendenzfalle, mit der wir gefügiggemacht werden, in den sauren Apfel zu beissen»; in der Kunst – «das Erträglichmachen der Todesangst, die Möblierung des horror vacui». Täuschungen ohne Ende, und das alles nur, damit der Mensch das Kreuz seiner Existenz überhaupt aufnimmt. Dabei steht die Bilanz von Anfang an fest: «Ich lebe, ich habe gelebt: ein und dasselbe.»
Aus dem tiefen Loch von Lebens- und Weltverneinung kann den Autor nur noch ein tollkühner Befreiungsschlag retten, zu dem er in den letzen drei Kapiteln seines Buches unter der bezeichnenden Überschrift «An Stelle Gottes» ausholt. Darin entwirft er das Projekt eines säkularen Weltethos, das auf der trotzigen Entscheidung gründet, der als sinnlos durchschauten Welt seinen eigenen Sinn entgegenzuhalten. Oder in Amanns paradoxer Formulierung: «Das Leben hat keinen Sinn. Trotzdem lebe ich es. Aus diesem ‹Trotzdem› gewinnt das Leben seinen Sinn.» Dieser Gedanke hat etwas von einem Münchhausenmanöver und wirkt im Anschluss an die schneidenden Reflexionen zur Bodenlosigkeit unseres Daseins wenig überzeugend. So sehr sich der Autor am Schluss auch bemüht, die Vortäuschung von Sinn als die eigentliche menschliche Leistung zu rühmen, die einmal heraufbeschworene Nichtsangst lässt sich damit nicht mehr vertreiben. Als kleine Schule der Ernüchterung ist Amanns Aphorismensammlung ein höchst willkommener Begleiter, nur ist das empfohlene Remedium etwa so wirkungsvoll wie eine Kopfschmerztablette bei einem furchtbaren Kater.