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Kein Ausstieg ohne Alternative
Bjørn Lomborg, fotografiert von Roland Mathiasson.

Kein Ausstieg ohne Alternative

Der Abschied von fossiler Energie klappt nur, wenn die Alternativen attraktiv und bezahlbar sind. Dazu braucht es Investitionen in die Forschung und Entwicklung grüner Energien.

Immer mehr Menschen werden sich der Tatsache bewusst, dass das klimapolitische Ziel, Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen, lähmende wirtschaftliche Schmerzen verursacht. Die Preise für fossile Brennstoffe sind in den Industrieländern im vergangenen Jahr um 26 Prozent in die Höhe geschossen und werden in diesem Jahr weltweit um weitere 50 Prozent steigen. Führende Politiker machen Russlands Einmarsch in der Ukraine dafür verantwortlich, aber der langfristige Trend ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Regierungen fossile Brennstoffe verteufeln, während ihre Gesellschaften weiterhin von ihnen abhängig sind. Seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 haben sich die globalen Investitionen in fossile Brennstoffe halbiert, was die Preise unweigerlich in die Höhe treibt.

Während die Preise für fossile Brennstoffe steigen, wollen uns Klimaaktivisten weismachen, dass wir schmerzlos auf erneuerbare Energiequellen umsteigen können. Doch das ist ein grosser Irrtum: Erneuerbare Energien sind noch lange nicht bereit, unsere Energieversorgung zu übernehmen. Solar- und Windenergie können nur mit grossen Mengen an Back-up-Strom – meist aus fossilen Brennstoffen – betrieben werden, um die Welt am Laufen zu halten, wenn der Wind abflaut, der Himmel sich bewölkt oder die Nacht hereinbricht. Ausserdem wird mit erneuerbaren Energien hauptsächlich Strom erzeugt, der nur ein Fünftel unseres gesamten Energieverbrauchs ausmacht – der überwiegende Teil entfällt auf nichtelektrische Sektoren wie Verkehr, Industrie und Wärme.

Deshalb bezieht die Welt immer noch 80 Prozent ihrer Energie aus fossilen Brennstoffen, während die erneuerbaren Energien nur 15 Prozent liefern. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern – selbst die Regierung Joe Bidens geht davon aus, dass die Welt im Jahr 2050 noch zu 70 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig sein wird.

Die meisten politischen Netto-Null-Ansätze versuchen jedoch, eine viel stärkere ­Reduzierung der fossilen Brennstoffe zu erzwingen, was die Investitionen senkt und sie extrem teuer macht, bevor Alternativen die Oberhand gewinnen können. Das führt nun zu einer weltweiten Misere: Für diesen Winter bereitet sich Europa auf Stromausfälle vor, und gemäss einer Studie der University of York werden zwei Drittel der britischen Bevölkerung in Energiearmut geraten.

Viel Schmerz für wenig Belohnung

Die reichen Länder machen vor, welche Massnahmen zu vermeiden sind. Deutschland ist auf dem besten Weg, bis 2025 mehr als eine halbe Billion Euro für die Energiewende auszugeben, hat es aber nur geschafft, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen von 84 Prozent im Jahr 2000 auf heute 77 Prozent zu reduzieren. McKinsey schätzt, dass der Weg zu einer Netto-Null-Bilanz Europa jedes Jahr 5,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für emissionsarme Vermögenswerte kosten wird, d. h. mehr als 200 Milliarden Euro jährlich allein für Deutschland.

Die Vereinigten Staaten haben sich mit der teuersten Klimaschutzpolitik ihrer Geschichte auf ihr eigenes Netto-Null-Ziel eingeschossen. Mit dem Inflation Reduction Act plant die Regierung Biden, 369 Milliarden Dollar für die Förderung kohlenstoffarmer Energien und Elek­trofahrzeuge auszugeben. Diese enormen Ausgaben werden sich gemäss dem Modell des Weltklimarats nur geringfügig auf den Klimawandel auswirken: Das ausgegebene Geld wird den globalen Temperaturanstieg nur unwesentlich verringern, möglicherweise um lediglich 0,0005 Grad Celsius.

Kein Wunder, dass sich die Schwellenländer gegen die Erwartung wehren, dass sie diese schreckliche Politik nachahmen. Die Art und Weise, wie sie den Klimawandel angehen, ist von entscheidender Bedeutung, denn etwa drei Viertel aller Emissionen im restlichen 21. Jahrhundert werden aus den heutigen Entwicklungsländern stammen – Indien, China und Ländern in Afrika und Asien.

Indien hat erkannt, dass der Versuch, Netto-Null-Emissionen zu erreichen, «astronomische Kosten» mit sich bringen und tatsächlich eine «vollständige Umgestaltung» seiner Wirtschaft erfordern würde. In seinem vernichtenden Urteil stellt das Umweltministerium fest, dass dies «unsere Entwicklungspläne zum Scheitern bringen könnte».

«Seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 haben sich die globalen
Investitionen in fossile Brennstoffe halbiert, was die Preise unweigerlich in die Höhe treibt.»

Tatsächlich ist die indische Regierung zum Schluss gekommen, dass diese Politik so kostspielig wäre, dass der Westen ihr eine Billion Dollar zahlen müsste, um überhaupt mit dem Prozess beginnen zu können. Indien und andere Entwicklungsländer haben sich auch zusammengeschlossen, um gemeinsam bis 2030 jedes Jahr weitere 1,3 Billionen Dollar an «Klimafinanzierung» zu fordern, zusätzlich zu dem, was die reichen Länder bereits zugesagt haben.

Die Schwellenländer werden nicht die Beseitigung der Armut und die wirtschaftliche Entwicklung opfern, um einem Netto-Null-Ansatz zu folgen, der so viel Schmerz für so wenig Klimabelohnung bedeutet.

Mehr Forschung für grüne Energie

In Ermangelung eines erschwinglichen, effektiven Ersatzes für fossile Brennstoffe bedeutet die von den fortgeschrittenen Volkswirtschaften vertretene Klimapolitik lediglich höhere Energierechnungen und geringere Wachstumsraten, um winzige Veränderungen des Temperaturanstiegs zu erreichen.

Glücklicherweise gibt es weitaus klügere alternative Ansätze. Die beste langfristige Strategie wäre eine drastische Erhöhung der Investitionen in die Forschung und Entwicklung grüner Energien. Dieser Ansatz wäre viel effektiver und wahrscheinlich zehnmal billiger als der von Europa und den Vereinigten Staaten verfolgte Ansatz. Das macht es auch viel plausibler, von Regierungen auf der ganzen Welt umgesetzt zu werden.

Denken Sie daran, wie sich der Computer von einem unglaublich seltenen und teuren zu einem alltäglichen und billigen Gerät entwickelt hat. Die Regierungen haben diese Revolution nicht dadurch erreicht, dass sie in den 1960er- oder 1970er-Jahren jeden westlichen Haushalt subventioniert haben, damit er einen riesigen, relativ ineffizienten Computer in seinem Keller installiert. Die Durchbrüche wurden durch öffentliche und private Ausgaben für Forschung und Entwicklung erzielt, die zahlreiche Innovationen ermöglichten, die wiederum dazu führten, dass immer mehr Technologien kommerziell nutzbar wurden, was in einem positiven Kreislauf noch mehr Forschung und Produktion nach sich zog. Diesem Beispiel müssen wir folgen, wenn es um grüne Energie geht.

In den reichen Ländern sehen wir heute die Auswirkungen einer Energiepolitik, die darauf abzielte, fossile Brennstoffe teuer zu machen. Traurigerweise bedeutet dies keinen einfachen Übergang zu erneuerbaren Technologien, sondern grosse Einschnitte und düstere Prognosen für den Winter. Andere Länder sind gut beraten, diese Lektion zu beherzigen, und wir alle sollten stattdessen den Weg der Innovation einschlagen.


Aus dem Englischen übersetzt von David Lessmann.

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