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Kein aufghörter Schriftsteller

Gerhard Köpf brilliert in sechs Essays

Als Kurt Tucholsky sich ins schwedische Exil gerettet und sein Publikum verloren hatte, bezeichnete er sich als einen «aufgehörten Schriftsteller». Muss man den 1948 in Pfronten im Allgäu geborenen Gerhard Köpf, einen der besten deutschen Erzähler seiner Generation, trotz einem gerade erschienenen Essayband jetzt auch so nennen? Ein «aufgehörter Germanist» ist Köpf schon länger, und heute verkündet der in München lebende Autor der Romane «Innerfern» (1983), «Die Strecke» (1985), «Die Erbengemeinschaft» (1987) und «Eulensehen» (1989) allen, die es wissen möchten, hinfort nicht mehr literarisch schreiben zu wollen. Gert Ueding hat nun für seine Buchreihe «Promenade» sechs nicht mehr ganz frische «Essays gegen das Vergessen» zusammengestellt. Dass deren Themen subjektiv-beliebig erscheinen könnten, macht nichts: was Köpf sich vornimmt, wird sogleich interessant.

Zwar bevorzugt nicht jeder Leser Essays, die eine gewisse literarische Bildung voraussetzen, doch auch wenn man nicht weiss, dass der Buchtitel «Die Vorzüge der Windhunde» auf die Gedichtsammlung «Die Vorzüge der Windhühner» von Günter Grass anspielt – die Lektüre lohnt sich allein schon ihres zutiefst humanen Tons wegen. Gerhard Köpf ist wieder da, und «beinahe verlorengegangen», wie der Herausgeber meint, ist uns der Autor von «Piranesis Traum» (1992) und «Papas Koffer» (1993) auch in den letzten Jahren nicht.

Wer eigentlich soll nicht vergessen werden? Zunächst der Papa und sein Koffer. Köpf, ein hinreissender Literaturliebhaber, schaufelt Ernest Hemingway und sein Werk frei von all den Legenden, die eine weltweite «Hemingway-Souvenir-Industrie» ernähren. Er erinnert an die enorme Wirkung, die dessen Werk speziell in Deutschland hatte, und an dessen ebenso enormen Ansehensverlust nach 1970. «Ein solch jähes Wirkungstief, wie es derzeit noch anhält, besagt jedoch nichts über den Wert eines Autors.» Und diesen Wert führt uns der Essayist, der seine Bewunderung für Hemingways gebrochene Helden und ihre Niederlagen prägnant in Worte zu kleiden weiss, eindrucksvoll vor Augen. «Es geht um nichts anderes als um die Würde im Unglück. Das ist, neben dem Tod, sein einziges grosses Thema.» Man folgt Köpf gebannt und begeistert, wenn er deutlich macht, inwiefern dieser exemplarische Autor des 20. Jahrhunderts dem Existentialismus ganz nahe war.

Ebenfalls aus dem Jahr 1999 stammt der dieser Sammlung ihren Titel gebende zweite Essay, eine «Würdigung eines der elegantesten, vielseitigsten und interessantesten Schriftsteller des ausgehenden 20. Jahrhunderts». Der eigenwillige Gregor von Rezzori – «Windhunde entziehen sich der Welt durch poetisches Denken und literarisches Handeln» – wird im deutschen Sprachraum gerade erst als Schriftsteller von höchstem Rang entdeckt. Es fällt auf, dass man von diesem listigen Alt-Europäer einiges lernen kann, was auf andere Weise auch von Gerhard Köpf zu lernen ist: «Vor allem Intelligenz, gepaart mit Humor und Lebensklugheit, Stilsicherheit, Souveränität, Eleganz und Gedankenschärfe. Alles Dinge, die uns hierzulande so sehr abgehen.» Vielleicht geht uns ausserdem oft die «Vision vom Triumph des Bauches über den Kopf» ab, wie Köpf im dritten hier zu lesenden, etwas kürzer und akademischer geratenen Essay das Schlaraffenland definiert. «Im Schlaraffenland oder Wie ich in Heinrich Manns Roman hineingeriet» nennt der Autor diese «Erzählung von einer Lesereise», die noch klarer macht, warum «Köpf» in der Tat «die Möglichkeitsform von Kopf» ist. Es folgt ein Gedenkblatt für die fast vergessene Künstlerin Ilse Schneider-Lengyel, in deren Allgäuer Haus das Gründungstreffen der «Gruppe 47» stattfand – der Gymnasiast Köpf wurde durch sie zur Literatur gebracht und hat sie in «Innerfern» verewigt. Desweiteren enthält der Band einen Essay über Jean Améry und dessen Ehrenrettung für Charles Bovary, ein Versuch, der im Grunde eine Würdigung von Amérys «Miteinander von subjektiv-privatem und analytisch-reflektierendem Lesen» ist – und damit auf den begeisterten und begeisternden Leser Köpf zurückverweist. Der jüngste Text ist ein anregender Versuch über Literaturwissenschaft und Psychiatrie – jedes grosse Kunstwerk kann auch als Fallstudie gelesen werden. Es geht vordergründig um das Lachen, das dem Leser aber bald vergeht – bitter ist Köpfs Abrechnung mit der Spassgesellschaft und einem Kapitalismus, der dem Menschen das Lachen endgültig abzukaufen scheint. Dieser gescheite Aufsatz gibt auch Hinweise auf den «aufgehörten» Gerhard Köpf – und ist doch wiederum so brillant, dass man genau daran nicht recht glauben mag. Wer solche Essays schreiben kann, muss einfach weiterschreiben.

Gerhard Köpf, «Die Vorzüge der Windhunde. Essays gegen das Vergessen». Herausgegeben und eingeleitet von Gert Ueding. Tübingen: Klöpfer & Meyer, 2004.

Klaus Hübner, geboren 1953, promovierte in Germanistik und lebt als Publizist und Redaktor der Zeitschrift «Fachdienst Germanistik» in München.

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