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Katastrophismus im Klassenzimmer

Bildungsnetzwerke verbreiten an deutschen Schulen Weltuntergangsstimmung. Damit erweisen sie dem Klimaschutz einen Bärendienst. Die Schüler wenden sich ab.

Katastrophismus im Klassenzimmer
Schüler und Lehrer demonstrieren im November 2021 vor dem Erziehungsdepartement (DIP) in Genf. Bild: Keystone/Martial Trezzini.

Wir haben einen Kipppunkt erreicht: Die Stimmung unter jungen Menschen hat sich in den vergangenen Jahren verschoben. Das Klimathema hat sowohl in Deutschland als auch ­international drastisch an Zugkraft verloren – und ich warne davor, das mit Genugtuung als Abrechnung für jahrzehntelange Deutungshoheit der Grünen gutzuheissen. Denn gleichzeitig zeigen sich viele junge Menschen so pessimistisch wie noch nie.1

Das Paradox, dass die Klimaangst gross ist, das Klimathema jedoch für die konkrete Lebenswelt der Jugendlichen immer weniger wichtig wird, lässt sich durch eine Spaltung der vermeintlich so homogenen «Generation Z» beschreiben. Wir sehen Aktionismus, Anklagerhetorik und Radikalismus bei einem Teil junger Aktivisten – und Resignation, Trotz und Fatalismus bei einem grösseren Teil der Generation Z. Auf «Wir müssen alles umwerfen, die Welt retten!» folgt nun «Ich kann eh nichts mehr ändern, aber über mein Leben bestimmen!». Der moralische Zeigefinger hier, hilfloses Schulterzucken da. Beides sind keine guten Antworten auf die Klimaerwärmung.

Bewunderung für die Endzeitbewegung

Die Menschen mögen den Daueralarm in Sachen Klima nicht mehr hören und wenden sich ab. Einer der zentralen Gründe für diesen Kipppunkt in der öffentlichen Stimmung liegt in der Einseitigkeit und Angst, mit denen das Thema in den letzten Jahren auch in Schulen vermittelt wurde. Es sind Netzwerke wie etwa «Teachers for Future», die das Thema «Klimakrise» in die Klassen tragen. Es bietet Lehrkräften Impulse für den Unterricht, offeriert Workshops und Fortbildungen sowie eine bundesweite und schulübergreifende Vernetzung mit anderen «klimabewegten Kollegen/-innen», auch um «gemeinsam mit Fridays for Future und der gesamten Klimabewegung auf den Strassen»2 zu protestieren.

Auf ihrer Webseite verteidigen die «Teachers for Future» das Einladen von Aktivisten der «Letzten Generation» in Schulen ausgerechnet mit dem Beutelsbacher Konsens3 und ver­sichern, dass sie als Lehrkräfte das darin festgeschriebene Verbot der politischen Überwältigung von Schülerinnen und Schülern mit einer Meinung ebenso achten wie das Kontroversitäts­gebot, wonach alles, «was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, (…) auch im Unterricht kontrovers erscheinen» muss. Das Problem liegt nicht in der Einladung der Endzeitbewegung, sondern beim affirmativ-bewundernden Umgang mit ihr. Sie transportiert schon im Titel ein problematisches Narrativ: Wir seien die «Letzte Generation» auf dem «Worst-Case-Pfad» in Richtung Kipppunkt in die Klimakatastrophe, kurzum: Wir hätten nur noch wenige Jahre, bevor alles zu spät sei.

Dieses Narrativ entspricht mitnichten dem wissenschaft­lichen Konsens. Der IPCC selbst bezeichnet Kipppunkte als «Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber hohen Auswirkungen»4. Sie seien nicht wahrscheinlich, könnten aber eben auch nicht ausgeschlossen werden. Die «Letzte Generation» ­behandelt die Kipppunktthematik hingegen so, als stünden sie mit völliger Sicherheit unmittelbar bevor. Klimaforscher und IPCC-Autor Jochem Marotzke, der unsere Schüler persönlich über Klimarisiken und Übertreibungen in der Klimadebatte aufklärte, betonte: Es gebe nicht den einen «Point-of-No-Return», ab dem wir nichts mehr machen könnten.5 Zu den von Medien und Aktivisten gern zitierten Worst-Case-Klimaszenarien steht im IPCC-Bericht: «Die Wahrscheinlichkeit von Hochemissionsszenarien wie RCP8.5 wird als niedrig angesehen.»6

Lehrer verbreiten Angst

Statt die Narrative der «Letzten Generation» also zu hinterfragen, werden sie von den «Teachers for Future» weitgehend unkritisch übernommen. Sie diagnostizieren eine Klimaangst oder «Mental Health Crisis», deren Bewältigung zu den drängendsten Aufgaben von Schule gehöre – reproduzieren diese Angst aber selbst: Die Klimakrise habe schon jetzt massive Auswirkungen auf Jugendliche, da die psychologische Gesundheit junger Menschen leide, so die «Teachers for Future». Es gebe einen breiten wissenschaftlichen Konsens, dass die Klimakrise vermutlich sogar die grösste Herausforderung sei, vor der die Menschheit je gestanden habe.7

Auch diese apodiktische Aussage ist stark verzerrend. Selbst die «New York Times» schreibt in Übereinstimmung mit dem IPCC-Sachstand, «dass kein Mainstream-Klimamodell eine Welt prognostiziert, die so schlecht war wie 1950».8 IPCC-Autor Zeke Hausfather bestätigt: Nicht mal unter den pessimistischen Prognosen werde angenommen, dass heutige Kinder eine schlechtere Zukunft hätten als solche, die beispielsweise 1900 geboren wurden und die dann die Spanische Grippe, die Grosse Depression, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg erlebten.9 Und Brian O’Neill, Chef-Modellierer der Klimaszenarien des Klimarats, betont, dass alle Szenarien mit mehr Wohlstand rechneten, es gebe «kein Mad-Max-Szenario».10

Wenn die «Teachers for Future» also das Framing einer «existenziellen Krise» nutzen oder davon sprechen, dass sie mit ihrer Arbeit für das «Überleben» kämpfen würden,11 ist das nicht nur anmassend, sondern auch überzogen. Nichts in den IPCC-Berichten stützt die Erwartung, dass die Menschheit aufgrund des Klimawandels aussterben werde.12 Sogar der IPCC-Chef Jim Skea sagte dem «Spiegel»: «Die Welt wird nicht untergehen.» Es werde eine gefährlichere Welt mit vielen Problemen geben, der Klimawandel sei aber «keine existenzielle Bedrohung für die Menschheit».13

«Nichts in den IPCC-Berichten stützt die Erwartung, dass die Menschheit aufgrund des Klimawandels aussterben werde.»

Kommen diese Differenzierungen in der Schule an? Im Beutelsbacher Konsens, auf den sich die «Teachers for Future» berufen, heisst es weiter: «Wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten.»14 Nun möchte ich klarstellen, dass es sich bei den Nachhaltigkeitsprojekten im Schulalltag nicht um bewusste ­Indoktrination handelt. Vielmehr ist die Nachhaltigkeitsdenke mit all ihren Prämissen und Lösungsansätzen kulturell so dominant, dass die überwältigende Einseitigkeit gar nicht mehr auffällt.

Stigmatisierung als «Klimaleugner»

In der Schule wird in jeder Präambel von Lehrplänen das hohe Wort der Mündigkeit gesungen. Nur: Wer will es schon wagen, das Narrativ von der existenziellen Klimakatastrophe oder die Bilanz der Energiewende zu hinterfragen, wenn er sich hierdurch mitschuldig am Weltuntergang macht – oder Angst hat, in die Ecke der «Klimaleugner» gestellt zu werden? Kurzum: Wer Angst hat, hinterfragt nicht. Doch gerade angesichts der hier nur in Auszügen aufgezeigten Einseitigkeit stellt sich die im Beutelsbacher Konsens formulierte Frage, «ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d.h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind».

Wir versuchen deshalb an unserer Schule, im Rahmen von Projekten wie «Schools for Future» den Schülern das ganze Bild zu zeigen. Dabei lernen sie Wissenschafter mit unterschied­lichen Standpunkten zur Klimadebatte und zum Klimaschutz kennen, erhalten Einblicke in die Welt der Forschung und Entwicklung und kommen in Kontakt mit der Praxis und auch mit den Unternehmen vor Ort, die den Klimaschutz umsetzen. Sie führen Interviews und verfassen lesenswerte Essays.15 Letztes Jahr haben zwei Abiturienten ein Pro und Contra zu Luisa Neubauers Text im Politik-Abitur in «Die Zeit» veröffentlicht.16

Die Folgen von Einseitigkeit und Angstmache sind für den Klimaschutz geradezu kontraproduktiv: Dass junge Menschen seit Jahren, tagein und tagaus mit immer neuen Deadlines ­konfrontiert werden, führt nicht zu einer rational durchdachten Klima­politik, sondern dazu, dass viele den Daueralarm nicht mehr hören können, abgestumpft sind, in Fatalismus oder ­sogar Ignoranz verfallen. Und wenn bald immer mehr dieser ­jungen Menschen erkennen, dass diese Deadlines verstrichen sind, mit denen sie aufgewachsen sind, und dass die ganzen Weltuntergangsmeldungen eben nicht von «der Wissenschaft» gedeckt waren, könnten sie sich bevormundet und geblendet fühlen – und den Klimawandel oder seine Risiken generell in Frage stellen.

Robert Benkens, zvg.

Eine solche Ignoranz wäre aufgrund der mitunter unkalkulierbaren Risiken des Klimawandels ein Spiel mit dem Feuer.

  1. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studie-jugend-100.html

  2. https://teachersforfuture.org/

  3. Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Beutelsbacher Konsens, 2011, in: http://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/

  4. International Panel on Climate Change: Weather and Climate Extreme Events in a Changing Climate (Chapter 11) Working Group I, The Physical Science Basis, 2021, in: http://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Chapter11.pdf, S. 1520, 1534.

  5. https://www.lfz-ol.de/post/es-gibt-kein-zu-sp%C3%A4t-f%C3%BCr-klimaschutz

  6. International Panel on Climate Change: Mitigation Pathways Compatible with Long-term Goals (Chapter 3), Working Group III, Mitigation of Climate Change, 2022, in: http://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Chapter11.pdf, S. 386

  7. https://www.teachersforfuture.org/2023/04/12/pm-klimakaktivistinnen-muessen-an-schulen-gehoert-werden/

  8. Ezra Klein: Your Kids Are Not Doomed, 2022, in: http://www.nytimes.com/2022/06/05/­opinion/climate-change-should-you-have-kids.html

  9. https://www.telegraph.co.uk/environment/2024/01/15/the-climate-optimists-fighting-back-against-the-doomers/

  10. https://www.theatlantic.com/science/archive/2021/11/how-bad-will-climate-change-get/620605/

  11. https://www.teachersforfuture.org/2023/11/10/abschlusserklaerung-zur-t4f-tagung-lehrerin-sein-in-der-klimakrise/

  12. https://www.taz.de/Klimaforscher-ueber-Doomism/!5902230/

  13. https://www.spiegel.de/wissenschaft/ipcc-chef-jim-skea-bei-1-5-grad-erwaermung-geht-die-welt-nicht-unter-a-13dd35aa-1a80-41b8-b966-911015fd9085

  14. https://www.lfz-ol.de/blog/categories/schools-for-future

  15. https://www.lfz-ol.de/blog/categories/schools-for-future

  16. https://www.zeit.de/2023/27/fridays-for-future-luisa-neubauer-essay-abitur

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Die Klimaseniorinnen aus der Schweiz im Gerichtssaal während der Urteilsverkündung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg, Frankreich, am 9. April 2024. Bild: Keystone/EPA/Ronald Wittek.
Der fabrizierte Konsens

Die Politisierung im Zusammenhang mit Klimawandel und Covid-19 erschüttert die Grundlagen der Wissenschaft. Es braucht mehr Offenheit gegenüber Abweichlern.

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