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Kartellant wider Willen
Heinz Tännler, zvg.

Kartellant wider Willen

Die OECD nötigt einzelne Länder, Steuern einzunehmen, auf die sie gar nicht angewiesen sind. Das ist gefährlich für die Standortattraktivität der Schweiz – mit einer guten Umsetzung aber verkraftbar.

 

Die im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschlossene Mindeststeuer von 15 Prozent will den internationalen Steuerwettbewerb eindämmen. Diesem Ziel, das – wie so vieles heute – mit moralischen Überlegungen begründet wird und deswegen per se nicht grundsätzlich hinterfragt werden darf, liegt die Annahme zugrunde, dass Steuerwettbewerb schlecht sei. Die armen Staaten, die bereits ums nackte Überleben kämpften, würden bis zum Kollaps ausgeblutet. «Race to the bottom» lautet das neudeutsche Schlagwort für dieses Phänomen. Nun, ich hinterfrage das hehre Ziel dennoch.

Insbesondere linke Etatisten hängen der Theorie an, dass der Staat chronisch und unschuldig unter Geldmangel leide. Dabei gäbe es doch so viel Bedarf, Geld umzuverteilen, die Bevölkerung umzuerziehen und die Welt endlich lebenswert zu machen. Dazu passt auch der pervertierte Begriff «Steuergeschenk». In der linken Terminologie, die sich leider im Sprachgebrauch weitgehend durchgesetzt hat, steht er nicht für Geschenke aus Steuergeldern, die ohne Gegenleistung verteilt werden, sondern für Steuersenkungen. Paradoxerweise wird dabei niemandem etwas geschenkt, es wird den Leistungsträgern lediglich vom Staat weniger weggenommen. In diese triste Ausgangslage platzen gemäss dem etatistischen Weltbild nun «böse» Staaten, die vermeintlich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben, der es ihnen erlaubt, die Steuern unter jene der «lieben» Staaten zu senken. Wäre die Welt tatsächlich so schlecht, wie die linken Etatisten behaupten, dann wäre eine Mindeststeuer von 15 Prozent tatsächlich ein Akt der Fairness.

Man kann das Thema aber auch aus einem anderen Winkel betrachten und sich die Frage stellen, wie viel Geld der Staat und wie viel staatliche Leistung die Bürger bräuchten. In der Bibel ist vom Zehnten die Rede – also 10 Prozent. Die OECD will 15 Prozent und somit die Hälfte mehr. Zugegeben, zu biblischen Zeiten gab es noch keine Velowege, Kindertagesstätten, Krankenkassenverbilligungen und andere moderne Errungenschaften. Es bleibt dennoch die Frage: Wie viel ist genug? Ist es ein Zufall, dass in der direktdemokratischen Schweiz, in der das Volk bestimmt, was es sich leisten will, die Steuern sehr tief sind und die Wohlfahrt dennoch hoch ist? Jedenfalls werden hierzulande keine teuren Präsidentenpaläste errichtet, keine Günstlinge der Regierungselite finanziell grosszügig bei Laune gehalten, und es versickern auch nicht grosse Teile der Wertschöpfung in den Kassen der Schattenwirtschaft und des organisierten Verbrechens. Natürlich gibt es auch legale Gründe für hohe Steuern. Wenn ein Land ­einen grösseren Teil des täglichen Bedarfs der privaten Verantwortung entzieht und vom Staat bereitstellen lässt, verursacht dies hohe Kosten, die über hohe Steuern zu ­finanzieren sind. Das ist dann die freie Entscheidung des jeweiligen Staats, die es zu respektieren gilt. Genauso wäre zu re­spektieren, dass einige Staaten den Alltag anders organisieren und der privaten Initiative den Vorzug geben. Wäre – das wird es aber nicht!

Private Preisabsprachen sind verboten

In den meisten modernen Staaten – und dazu zähle ich auch die OECD-Mitglieder – sind Kartelle zwischen Unternehmen zwecks Erzielung höherer Profite verboten. Umfassende Kartellgesetzgebungen bekämpfen solche Preisabsprachen zulasten der Bürger. Umso erstaunlicher, dass die OECD nun ein Steuerkartell installiert und einzelne Länder faktisch zwingt, Steuern einzunehmen, die sie nicht benötigen.

Was aber ist so falsch, wenn die Schweiz mehr Geld einnimmt? Bisher hat sie dieses Geld nicht gebraucht, und ordnungspolitisch gesehen soll der Staat keine Steuern auf Vorrat erheben. Die Gefahr ist gross, dass das Geld dann irgendwo und irgendwie versickert. Effektivität und Effizienz des Staats leiden darunter. Eine ganz andere Frage ist, ob auf diesem Weg wirklich nachhaltig mehr Einnahmen generiert werden. Die OECD führt das neue Steuerregime ja nicht ein, um der Schweiz einen Geldsegen zu bescheren. Das Gegenteil ist der Fall. Es soll Steuersubstrat aus der Schweiz abgezogen werden. Sie fragen jetzt vielleicht, weshalb gute Steuerzahler abwandern sollten, wenn die anderen Länder Unternehmensgewinne mindestens gleich hoch besteuern. Die Antwort liegt in der relativen Standortattraktivität begründet: Tiefe Steuern sind ein Standortvorteil, mit dem die Schweiz Nachteile kompensiert, insbesondere die hohen Löhne und Kosten. Wenn nun der Steuervorteil wegfällt, bleibt netto ein Wettbewerbsnachteil für unser Land.

Dazu kommt, dass in Ländern mit hohen Steuern gewisse Unternehmen substanzielle Steuererleichterungen und sogar staatliche Zuschüsse erhalten. Wer sich mit dem EU-Regelwerk zu staatlichen Beihilfen auseinandersetzt, erkennt einen undurchsichtigen Dschungel, der den Eindruck von Willkür erweckt. Die Schweiz hat zwar tiefe Steuern, aber diese gelten für alle. Staatliche Beihilfen sind hierzulande mit wenigen Ausnahmen aus gutem Grund verpönt. Es widerspricht liberalen marktwirtschaftlichen Grundsätzen, wenn der Staat Privaten mehr Geld als nötig wegnimmt, um mit einem Teil davon ihm genehme Geschäftsmodelle zu belohnen und so in an sich funktionierende Marktmechanismen einzugreifen.

Das Mindeststeuersystem könnte uns aber genau dazu nötigen. Um für Unternehmen attraktiv zu bleiben, kann es sich als notwendig erweisen, sich deren Gunst mit gezielten Zuschüssen zu erkaufen. Da die OECD-Regelung verständlicherweise eine direkte Kompensation verbietet, müssen Lösungen gefunden werden, die diese Beihilfen auf weitere Unternehmen ausdehnen, was zu Streuverlusten führt und die Beträge pro Unternehmen senkt. Das wiederum kann die Wirksamkeit in Frage stellen.

Investitionen in Forschung und Bildung

Die Zusatzsteuer fällt nicht wie Manna vom Himmel, ist kein «Gratisgeld», das für beliebige Ideen und Projekte verteilt werden kann. Ohne Investitionen in die Standortattraktivität ist damit zu rechnen, dass betroffene Unternehmen ihre Aktivitäten aus der Schweiz abziehen. Schnell können so aus theoretischen Zusatzerträgen happige Verluste resultieren. Deshalb sind jene Kantone, bei denen diese Erträge anfallen, gefordert, diese in die Standortförderung zu reinvestieren. Das können Zuschüsse für Forschung und Entwicklung sein oder Investitionen in Forschungs- und Bildungsanstalten, von denen die betroffenen Unternehmen profitieren, beispielsweise durch besseren Zugang zu Fachkräften und Wissen. Dies bedingt aber, dass ein Grossteil der Zusatzeinnahmen bei den einziehenden Kantonen bleibt, wie dies der Bundesrat vorschlägt. Wenn ein Teil an den Bund geht, soll dieser verwendet werden, um die Standortattraktivität national zu fördern, zum Beispiel durch die Stärkung von Universitäten und Fachhochschulen in jenen Bereichen, die von der wertschöpfenden Wirtschaft besonders nachgefragt werden, namentlich in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Eine der grössten Sorgen der Wirtschaft ist der Fachkräftemangel. Wenn sich die Schweiz bei der Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachpersonen profiliert, steigert sie ihre Attraktivität.

 

«Ein Verdunsten der zusätzlichen Erträge in
sozialromantische Fantastereien wäre brandgefährlich.»

 

Die genannten Beispiele zeigen auf, wie wichtig es ist, die Erträge der Zusatzsteuern gezielt für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit einzusetzen. Ein Verdunsten in sozialromantische Fantastereien wäre brandgefährlich – nicht nur für die direkt betroffenen Kantone. Deren Schwächung würde auch die Einnahmen der direkten Bundessteuern und die Einzahlungen in den nationalen Finanzausgleich reduzieren, so dass unter dem Strich die ganze Schweiz verlöre. Das würde unsere Konkurrenten innerhalb und ausserhalb der OECD freuen.

Die internationale Ausgangslage ist noch immer diffus und verworren, die OECD legt die Karten nicht offen auf den Tisch. Entsprechend liegen auch noch keine Informationen vor, welche Massnahmen der Länder die OECD akzeptieren würde, sondern eher Stossrichtungen. Auch wenn diese Ausgangslage äusserst unbefriedigend ist, muss die Schweiz aus realpolitischen Gründen und aufgrund des internationalen Drucks mitmachen. Repressive Massnahmen anderer Länder richteten sich zwar nicht direkt gegen die Schweiz, sondern gegen die hier ansässigen Unternehmen. Aufgrund des Drucks würden sich diese dann wohl aus der Schweiz zurückziehen. Das müssen wir verhindern. Die Vorlage des Bundesrats, die im Juni vorgestellt wurde, trägt diesen Unsicherheiten Rechnung und ist ausreichend flexibel und ergebnisoffen formuliert. Im Interesse der Schweiz verdient sie unsere volle Unterstützung.

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