Karrierepolitiker machen sich selber Arbeit
Das Schweizer Milizsystem wird zunehmend zur Illusion – und die Dynamik verstärkt sich selbst
In seinem Buch «Politik als Beruf» schrieb Max Weber 1919: «Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder: man lebt für die Politik – oder aber: von der Politik.» Das schweizerische Milizsystem entspricht der ersten Variante. Doch die Schweizer Politiker verlegen sich zunehmend auf die zweite: Politik ist zu einer gewöhnlichen Karrierelaufbahn geworden, die meisten Bundesparlamentarier gehören inzwischen dem Typus des Berufspolitikers an. Gemäss einer Befragung von 2017 wenden Nationalräte im Schnitt fast 90 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Politik auf, Ständeräte über 70 Prozent.
Wie dominant Berufspolitiker sind, zeigt auch der Blick auf die Kandidaten für die Nachfolge von SP-Bundesrat Alain Berset. Sämtliche Anwärter sind faktisch professionelle Politiker, die (mit Ausnahme von Daniel Jositsch) meist schon früh voll auf die Karte Politik setzten. Einst war Bundesrat ein Karrierewechsel: vom angestammten Beruf zum Vollzeitamt als Landesvater oder -mutter. Heute hat die Wahl in den Bundesrat eher den Charakter einer Beförderung.
Die Vorbereitung darauf beginnt meist schon Jahre vorher. Wer nicht seine ganze Zeit für die Politik aufwendet, bringt es heute in der Schweizer Politik zu gar nichts mehr. Die wenigen Milizparlamentarier, die es noch gibt, üben daneben eine Tätigkeit aus, die eng mit ihrem Amt zusammenhängt (etwa in einem Verband) – oder fristen ein Dasein als Hinterbänkler ohne Einfluss.
Politiker ohne Standbein in der realen Wirtschaft verlieren den Bezug zum realen Leben. Sie sind von ihren eigenen Entscheiden kaum betroffen. Das grössere Problem ist aber, dass Politiker von ihrem Amt abhängig werden – auch finanziell. Wahlen werden für sie zum Karriererisiko. Angebote von Interessengruppen für Wahlkampfspenden oder lukrative Nebenjobs sind nicht mehr willkommene Zustüpfe, sondern existenziell wichtig.
Der Trend zum Profipolitikertum verstärkt sich damit selbst: Je mehr Politiker auf ihr Amt angewiesen sind, desto mehr (zeitliche) Ressourcen müssen sie dafür investieren. Und je mehr sie investieren, desto weniger kommen sie für einen Job ausserhalb der Politik in Frage.
Kein Wunder, zeigen auch viele bürgerliche Politiker wenig Interesse, den staatlichen Fussabdruck effektiv zu reduzieren, Ausgaben zu senken oder Regulierungen abzubauen. Schliesslich würden sie damit am Stuhl sägen, auf dem sie sitzen.