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Karriereknick Mutterschaft
Joseph Zweimüller, zvg.

Karriereknick Mutterschaft

Geschlechternormen haben nach wie vor einen starken Einfluss auf die berufliche Laufbahn. Frauen, die ein Kind bekommen, büssen oft erheblich an Einkommen ein.

 

Die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verbessert. Die Erwerbstätigkeit ist stark gestiegen, und diskriminierendes Verhalten ist zwar nicht verschwunden, hat jedoch deutlich abgenommen. Eine zunehmende generelle Sensibilisierung der Gesellschaft für Geschlechterthemen ist zu spüren, welche auf die Arbeitgeber und den Arbeitsmarkt zurückwirkt. Für karriereorientierte Frauen ist es heute leichter, im Beruf erfolgreich zu sein.

Trotz dieser positiven Entwicklungen existieren immer noch grosse Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen. Der überwiegende Teil dieser Gehaltsschere ist eine Konsequenz der Mutterschaft: Ab der Geburt des ersten Kindes beginnen die Einkommen von Müttern stark hinter jenen von Männern wie auch von kinderlosen Frauen herzuhinken.

Die Einbussen an Arbeitseinkommen, die ursächlich auf Mutterschaft zurückzuführen sind, werden in der Arbeitsmarktforschung als «Child Penalty» bezeichnet, wörtlich «Kinderstrafe». Um dieses Konzept zu illustrieren, vergleicht man zwei Frauen mit anfangs gleich hohen Einkommen. Dann bekommt eine der beiden ein Kind, die andere bleibt kinderlos. Ab diesem Zeitpunkt beginnen die Einkommen der beiden Frauen auseinanderzuklaffen.

Der Child Penalty misst die Differenz zwischen den Einkommen von Müttern und den Einkommen kinderloser Frauen. Es handelt sich nicht nur um ein intuitives und transparentes Mass, sondern ist aus empirischen Daten einfach zu berechnen. Verfügt man über repräsentative Daten zu Einkommensverläufen und Geburten, können die Einkommen von Müttern vor und nach Geburt des ersten Kindes festgehalten werden. Diese Einkommen werden dann mit den Einkommen von Frauen verglichen, welche in diesen Altersjahren (noch) kein Kind hatten. Solche Daten sind für die meisten Länder vorhanden. In der Schweiz stellt das Bundesamt für Statistik anonymisierte Daten aus dem AHV-Register sowie der Bevölkerungsstatistik (Statpop) zur Verfügung. Die AHV-Daten dokumentieren die Erwerbs- und Verdienstverläufe, die Statpop gibt ein umfassendes Bild über die Zusammensetzung eines Haushalts und deren Veränderung über die Zeit. Diese beiden Datenquellen enthalten somit alle Informationen, die man benötigt, um den Child Penalty zu berechnen.

Abbildung 1 zeigt den Child Penalty für die Schweiz. Verglichen mit dem letzten Kalenderjahr vor der Geburt des ersten Kindes, beträgt die Einkommenseinbusse im Kalenderjahr nach der Geburt des ersten Kindes 60 Prozent und verharrt in den Folgejahren auf diesem Niveau: Selbst 10 Jahre nach der Geburt des ersten Kindes beträgt der Einkommensrückstand von Müttern gegenüber bis dahin kinderlos gebliebenen Frauen immer noch 60 Prozent. Der internationale Vergleich ist ernüchternd: Der langfristige Child Penalty in der Schweiz ist dreimal so hoch wie in Dänemark, wo er zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes «nur» 20 Prozent beträgt. Auch in Schweden sind die Einkommenseinbussen von Müttern viel geringer und betragen 10 Jahre nach der ersten Mutterschaft deutlich weniger als 30 Prozent.

Abb. 1 Child Penalty, Schweiz und Skandinavien

«Wo Kinderbetreuungseinrichtungen ausgebaut werden,

werden sie auch in Anspruch genommen. Ein erhöhtes

Betreuungsangebot ist jedoch nicht zwingend mit einer

Veränderung des Erwerbsverhaltens der Mütter verbunden.»

Wodurch kommen diese Einkommenseinbussen zustande? Der Child Penalty ist ein Mass, das alle Dimensionen erfasst, die zu einer Einkommensreduktion führen können: geringere Partizipation auf dem Arbeitsmarkt, eine geringere Anzahl gearbeiteter Stunden (Teilzeit) und geringere Stundenlöhne. Der hohe Child Penalty ist in der Schweiz weniger darauf zurückzuführen, dass sich Frauen nach der Geburt des ersten Kindes permanent vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Der Hauptgrund ist, dass der überwiegende Teil der Mütter nach der Babypause das Arbeitspensum deutlich reduziert. Dieses Erwerbsverhalten von Müttern ist auch ein wichtiger Grund für die im internationalen Vergleich sehr hohe Teilzeitquote in der Schweiz. Schliesslich schlagen sich hier auch geringere Stundenlöhne nieder. Mutterschaft reduziert die Chancen, beruflich aufzusteigen – sei es dadurch, dass die Arbeitgeber von einer geringeren Leistungsbereitschaft von Müttern ausgehen, sei es, weil Mütter ihre beruflichen Ambitionen zurückschrauben und sich mehr der Familie und den Kindern widmen wollen. Teilzeitarbeit, vorübergehendes Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt und geringere Stundenlöhne summieren sich in der Schweiz zu einem der höchsten Child Penalty unter den OECD-Ländern.

Kinderbetreuung als familieninterne Dienstleistung

Was sind die tieferliegenden Ursachen für diese hohe Rate hierzulande? Eine naheliegende Erklärung ist die Familienpolitik. In den skandinavischen Ländern werden Eltern grosszügig unterstützt, etwa mit Elternurlaub bei vollem Lohnersatz und durch kostengünstige Kinderbetreuungseinrichtungen. Dies erlaubt es, Familie und Beruf besser zu vereinbaren, und schlägt sich in geringen Child Penalties zu Buche. Doch so naheliegend diese Erklärung auf den ersten Blick zu sein scheint, so wenig lässt sie sich durch empirische Evidenz untermauern. Bereits ein einfacher Vergleich mit den Nachbarländern zeigt, dass grosszügige Familienpolitik per se die Child Penalties nicht zum Verschwinden bringt. In Österreich etwa haben Mütter eine Arbeitsplatzgarantie für zwei Jahre nach der Geburt eines Kindes. Sie bekommen Kinderbetreuungsgeld vom Staat, dessen Dauer zwischen einem und drei (!) Jahren variiert. Schliesslich stehen für alle über 3jährigen (und für die Hälfte der unter 3jährigen) Kinder kostengünstige Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung. Ungeachtet dieser grosszügigen familienpolitischen Massnahmen ist der 10-Jahres-Child-Penalty in Österreich mit über 50 Prozent nicht sehr viel tiefer als in der Schweiz.

Detailliertere empirische Studien, welche diese familienpolitischen Massnahmen evaluieren, zeigen, dass weder die Dauer des Elternurlaubs (und damit verbunden die Transferleistungen und die Arbeitsplatzgarantie) noch der Ausbau der staatlich subventionierten Kinderbetreuung einen signifikanten Effekt auf die langfristigen Child Penalties haben. Diese Massnahmen beeinflussen ihn nur kurzfristig, haben aber keine nachhaltige Wirkung auf die längerfristige Erwerbskarriere von Müttern. Ein solcher Befund zeigt sich in den geschlechterpolitisch konservativen Gesellschaften wie Deutschland und Österreich ebenso wie in den liberaleren skandinavischen Ländern. Auch dort scheint die Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt nur marginal durch den Ausbau von öffentlichen Kinderbetreuungsplätzen verursacht zu sein. Das liegt kaum daran, dass Eltern nicht an öffentlicher Betreuung ihrer Kinder interessiert wären. Das Gegenteil ist der Fall: Wo Kinderbetreuungseinrichtungen ausgebaut werden, werden sie auch in Anspruch genommen. Ein erhöhtes Betreuungsangebot ist jedoch nicht zwingend mit einer Veränderung des Erwerbsverhaltens der Mütter verbunden. Häufig wird Kinderbetreuung durch Verwandte geleistet, vor allem durch die Grosseltern. Ein Ausbau der Betreuungseinrichtungen führt häufig einfach zu einer Sub­stitution von privater durch öffentliche Kinderbetreuung. Tatsächlich gibt es eine wachsende Anzahl von Studien, welche zeigen, dass Grossmütter sich oft vom Arbeitsmarkt zurückziehen (oder ihr Stundenpensum reduzieren), wenn Enkelkinder in ihrer Nähe wohnen und das lokale Betreuungsangebot limitiert ist.

Ähnlich wie mit dem Effekt der Kinderbetreuungseinrichtungen verhält es sich mit den Auswirkungen von teilweise bezahltem Elternurlaub. Eine längere Dauer des Elternurlaubs wird vom überwiegenden Teil der Mütter (und in geringem, jedoch zunehmendem Mass auch von Vätern) gern in Anspruch genommen. Das bedeutet eine verlängerte Babypause, wodurch der kurzfristige Child Penalty sogar zunimmt. Mittel- und längerfristig beeinflusst die Dauer des bezahlten Elternurlaubs die Arbeitsmarktkarriere jedoch kaum. Zwar führt die mit dem Elternurlaub verbundene Arbeitsplatzgarantie zu stabileren Beschäftigungsverhältnissen, ein nachhaltiger Einfluss auf die zukünftige Beschäftigung und das Einkommen ergibt sich daraus jedoch nicht. Der langfristige Child Penalty bleibt dadurch weitgehend unverändert.

Wenn nun Familienpolitik die Child Penalties nicht erklären kann, welche Faktoren bestimmen sie dann? Eine offensichtliche Erklärung sind Geschlechternormen, die Rolle von Frauen im Spannungsfeld Familie, Kinderbetreuung und Beruf. Die Norm, welche Frauen in Kindheit und Jugend anerzogen wurde, hat potentiell eine grosse Bedeutung für das Verhalten von Müttern. So wurde in einer neueren Studie für Dänemark gezeigt, dass sich die Child Penalties über Generationen fortpflanzen: Je konservativer die Herkunftsfamilie, umso höher der Child Penalty der Töchter aus solchen Familien. Das legt auch den Schluss nahe, dass die vorherrschende Norm einer Gesellschaft zur Rolle der Frau eine hohe Bedeutung für die Einstellung einer jungen Mutter zu Familie und Beruf und damit für das Arbeitsmarktverhalten hat, wobei Mütter natürlich die Wahl haben und sich für eine andere als die im Elternhaus erlernte Rolle entscheiden können.

Die Beharrlichkeit der Geschlechternormen

Die Schweiz ist eine Gesellschaft mit konservativen Geschlechternormen, in der Frauen ein überproportionaler Anteil an der Kinderbetreuung und generell an unbezahlter Arbeit zugewiesen wird. Daten aus dem International Social Survey Programme (ISSP) zeigen ein eindeutiges Bild. Die Frage «Sollten Mütter von Kindern im Schul- oder Vorschulalter zuhause bleiben, anstatt arbeiten zu gehen (Vollzeit oder Teilzeit)?» beantwortet in der Schweiz ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Personen mit «ja». In Dänemark oder Schweden ist der Anteil deutlich geringer. In Abbildung 2 wird diesem Mass für Geschlechternormen der Child Penalty gegenübergestellt: Länder mit einer konservativeren Haltung bezüglich der Rolle der Frau in der Gesellschaft sind in der Tat auch Länder mit höheren Child Penalties.

Abb. 2 Child Penalty und Geschlechternormen

Die Existenz eines hohen Child Penalty offenbart die grosse Ungerechtigkeit existierender Geschlechternormen, welche Frauen eine disproportionale Rolle bei der Kinderbetreuung und unbezahlter Hausarbeit generell zuschreibt. Wer glaubt, dass Mutterschaft im 21. Jahrhundert nicht mit einer langfristigen Schlechterstellung auf dem Arbeitsmarkt einhergehen sollte, muss sich dafür interessieren, welche Faktoren die existierenden Geschlechternormen aufrechterhalten. Wie kann eine gerechtere Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung erreicht werden? Welche Faktoren lassen traditionelle Geschlechternormen erodieren und partnerschaftliche Normen von gleichberechtigter und -verpflichtender Kindererziehung entstehen? Wie interagiert die Entwicklung sozialer Normen mit Massnahmen der Familienpolitik, der Bereitstellung familienfreundlicher Arbeitsplätze und anderen Prozessen auf dem Arbeitsmarkt wie Berufswahl oder Karriereschritten? Ein besseres Verständnis dieser Fragen ist nötig, um mit einer geeigneten Familienpolitik den Abbau bestehender Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zu beschleunigen.

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Gabriela Manser & Sabina Schumacher Heinzer, fotografiert von Daniel Jung
«Wir müssen Vorbilder sein für die jungen Frauen»

Zwei Chefinnen von Schweizer Familienunternehmen geben Auskunft über Frauenkarrieren im Jahr 2021. Dabei geht es um Ausbildungswege, militärische Ausdrucksweisen und weibliche Führungsqualitäten.

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