Karl Schmid – auf dem Weg zu einer Biographie
Thomas Sprecher hat die Werke Karl Schmids in sechs Bänden herausgegeben und nun, über ein Jahrzehnt später, die erste Biographie des Denkers vorgelegt. Wie vollzieht man den Rollenwechsel vom Editor
zum Biographen? Ein Bericht
Im Zusammenhang mit dem Komplex «Das Genaue und das Mächtige» erwähnte Karl Schmid 1970 in einem Brief die «Philologen», die «in der Herstellung des genauen Textes oft seinen Sinn völlig aus den Augen» verlören.1 Genauigkeit sei hier «das Hindernis Nr. 1 der Erkenntnis».
Ein wenig erging es mir tatsächlich so bei der Arbeit an der Edition der Werke Schmids in den 1990er Jahren. Der Editorenblick ist ein anderer als der Interpretenblick, und dieser ist dem Biographenblick näher, denn Biographie ist Interpretation. Als Herausgeber hatte ich schon damals das Bedürfnis, Distanz zu gewinnen, um Schmid näherzukommen, und zwar auf dem Weg einer Biographie. So hielt ich während anderthalb Jahrzehnten mehrere Laufmeter an Unterlagen als manifeste Mahnung in meinem Arbeitszimmer. Der Anlass für diese Biographie ist demnach kein Jubiläum. Sie entstand aus einem persönlichen Anliegen.Am Anfang ist das eigene Verhältnis zur beschriebenen Person zu klären: Verehrung und Identifikation oder Ablehnung und Empörung? Ich mag den Begriff des Interesses, wie ihn Thomas Mann in seinen eigenen biographischen Versuchen bestimmt hat. Er hielt ihn für umfassender als Liebe, weil Interesse auch erhellende Kritik, ja sogar Polemik zulasse. Ich bewundere und liebe die Textsorte der Laudatio. Würdigen heisst aber nicht einfach loben, denn ein Moment des richterlichen Urteils ist in diesem Wort enthalten, und so kann man Biographien auch als ein vielhundertseitiges Urteil lesen – ein Urteil auch über jenen, der urteilt. Identifikation mit Karl Schmid, den ich nicht mehr persönlich kennengelernt habe, wäre ein entschieden zu starkes Wort; Wahlverwandtschaft hingegen liesse ich, für einige Belange, durchgehen.
Quellenlage und Aufbau
Wie ist mit den Quellen umzugehen? Eines vorweg: Sie sind immer unvollständig. Zwar ist vieles da, manches aber auch nicht. Eine Fülle von Material liegt in diesem Falle im Archiv für Zeitgeschichte. Aber Schmids Tagebücher sind vernichtet, auch zahlreiche Briefe. Zeitgenossen, die hätten befragt werden können, leben nicht mehr. So bleibt vieles notwendigerweise unerhellt. Das stellt vor zweierlei Probleme: Zum einen hat man sich bewusst zu halten, dass kein Papier, nur weil es vorliegt, schon Berücksichtigung verdient. Das Verschriftlichte ist nicht als solches schon bedeutend. Es untersteht der Prüfung und Auswahl. Auf der andern Seite stellt sich das Problem der Lücke: Manchmal mag es erlaubt oder sogar geboten sein, von Bekanntem auf Unbekanntes zu schliessen. Man gerät hier aber rasch in den Bereich der Spekulation. Um einige zögerliche Gänge in dieses Gelände bin ich allerdings nicht herumgekommen, auch wenn ich mich um Zurückhaltung bemüht habe.
Vor allem dort gerät man ins Spekulative, wo es um innere Beweggründe geht. Warum tat jemand dieses und warum jenes nicht? Verschiedene Gegenleserinnen und Gegenleser stellten solche Fragen. Manchmal liefert Karl Schmid selbst Antworten dazu. Aber darf man seiner eigenen Deutung immer trauen und folgen? Ist Schmid der beste Interpret seiner selbst? Ist seine Aussage gültig über den Kontext hinaus, in dem sie gemacht wurde? Es kann die Aufgabe des Biographen sein, hier Interpretationsvorschläge zu machen. Dazu besteht manchmal auch ein narrativer Appell. In erster Linie aber sollen der Leserschaft die relevanten Fakten vorgelegt werden, so dass sie in die Lage versetzt wird, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Im übrigen beschäftigt sich der Biograph mit einem fremden Lebenslauf, und er muss sich bewusst halten, dass ihm vieles davon immer fremd bleiben wird – wie übrigens ja auch beim eigenen.
Manche Quellen sind noch nicht zugänglich. So sind einzelne Briefwechsel von Dritten gesperrt, und bei Max Frisch wartet man gespannt darauf, ob die Veröffentlichung von noch versiegeltem Archivmaterial zu der Kontroverse mit Schmid von 1974 neue Gesichtspunkte freigeben wird.
Der Blick von aussen ist demnach eingeschränkt auch durch mangelndes Wissen. Andererseits weiss der Biograph nicht nur weniger als sein Gegenstand, sondern auch mehr. So standen mir Informationen zur Verfügung, die Schmid selbst nicht zugänglich waren, zum Beispiel solche im Zusammenhang mit seiner Wahl an die ETH.
Ich versuche Objektivierung, indem ich dort Stimmen zu Wort kommen lasse, wo ich selbst keinen direkten Zugang hatte. Diese Würdigungen Schmids als Lehrer, als Präsident von Kommissionen oder Räten können nicht durch persönliche Erlebnisse ersetzt, allein durch eigene Kommentare ergänzt werden.
Stets war mir bewusst, dass man diese Geschichte auch anders hätte erzählen können. Ununterbrochen hat man Entscheidungen zu fällen: Was nimmt man auf, was lässt man weg, was behandelt man wo und wie? Oft sind solche Beschlüsse nicht definitiv. Im Laufe der Arbeit tauchen neue Gesichtspunkte auf, die Zusammenhänge verändern sich, Einzelheiten gewinnen eine besondere Farbe. Allmählich schälen sich Verhaltensmuster heraus, eine Handlung beleuchtet die andere, und es ergibt sich ein Leitmotivschema. Das ist indes nur der stoffliche Aspekt. Zu ihm treten weitere Gesichtspunkte, zum Beispiel jene der Ökonomie und der Lesbarkeit.
Man sucht aus Bruchstücken, aus disparaten Quellen, einem Leben gerecht zu werden, seiner menschlichen und moralischen Wahrheit nahezukommen, man sucht so etwas wie eine historische Wahrheit zu erschliessen. Dieses Erschliessen hat immer ein Element des Herstellens: Wahrheit wird gemacht, nämlich durch Narration und Reflexion – und doch bleibt auch diese Wahrheit nur Annäherung. Biographie ist subjektiv und unabschliessbar.
In ihrer Struktur wird auch diese Biographie weitgehend chronologisch-konsekutiv dargeboten, und das Leben stellt sich so, zwischen Dekonstruktion und Konstruktion, vielleicht als Laufbahn und überzeugende Einheit dar. Man denkt, da habe sich ein kohärentes Leben logisch entfaltet. Aber an diesem Eindruck wirkt natürlich ästhetisches Arrangement mit. Ist es sogar überhaupt die narrative Konstruktion, die Karl Schmids Vita zur inneren Stringenz verhilft? Das denke ich allerdings nicht. Natürlich liesse sich sein Leben auch unter dem Gesichtspunkt der Kontingenz erzählen. Vor allem die Wahl zum ETH-Professor 1943 war ungewöhnlich und verdankte sich einer einmaligen historischen Konstellation. Wäre er nicht gekürt worden, hätte sich sein weiteres Leben gewiss anders entwickelt. Oder noch früher angesetzt: Hätte er sich – womit er umging – für das Studium der Medizin entschieden, sässen wir heute nicht hier. Dass Stringenz oft eine erst im Nachhinein schlecht und recht befestigte Konstruktion ist, weiss jeder, der über seinem eigenen Curriculum brütet.
Sollte es nun eine Biographie des Lebens oder eine Werkbiographie werden? Ich habe versucht, einen Mittelweg zu gehen. Tun und Schreiben gehören bei Schmid geradezu exemplarisch zusammen, und man kann wohl das eine nicht ungestraft zu Gunsten des anderen vernachlässigen. Dies bedeutet aber auch, dass für die Darstellung von Schmids Schriften nur ein beschränkter Raum zur Verfügung stand; sie konnten nicht alle mit grossem oder kleinem Besteck seziert werden. Eine Ausnahme habe ich mir indes erlaubt: «Unbehagen im Kleinstaat» ist ausführlicher behandelt und gleichzeitig kritisch. Ich habe dieses grosse Werk seit je für nicht recht geglückt gehalten − was nichts daran ändert, dass es ausserordentlich anregend ist.
Karl Schmids Tagebücher, wie erwähnt, sind vernichtet. Schmid hat aber eine eigenartige Übung befolgt: Auf Grundlage der Tagebücher hat er Tabellen erstellt, eine «Biographia in tabellis», wie er sie nannte. Das waren Tabellen, in denen er die aus seiner Sicht wichtigsten Ereignisse stichwortartig in jeweils drei Kolonnen festhielt − im Vergleich zum Tagebuch gewissermassen ein Jahrbuch. Es war ihm dies ein anhaltendes Bedürfnis. Er hat damit um 1933 begonnen und diese Tabellen bis zum Lebensende fortgeführt. Sein Sohn Christoph Schmid hat sie glücklicherweise noch rechtzeitig gefunden.
Diese Tabellen stellen ein Element der Schmidschen Ordnungs- und Kontrollwut dar, zu der auch seine täglichen Finanzanalysen und Kassenstürze gehörten. Er ärgerte sich, sagen seine Kinder, wenn er nicht herausfinden konnte, weshalb er am Abend 50 Rappen weniger im Portemonnaie hatte, als es nach seiner Rechnung hätten sein sollen. Auf der anderen Seite versäumte er es konstant, in der Steuererklärung die erlaubten Abzüge zu tätigen, und machte so der Schweiz regelmässig unfreiwillige Geschenke.
Zum Titel
Er machte ihr aber auch freiwillige Geschenke, was im Untertitel zum Ausdruck kommen sollte. Der Untertitel stellte eine wohl nicht vollkommen befriedigend lösbare Aufgabe. In anderen Fällen ist dies einfacher. Zum Beispiel trägt die im selben Verlag erschienene Biographie «Fabian Cancellaras Welt» den Untertitel «Die Geschichte eines Radrennfahrers». Sie wurde beneidenswert viele Male verkauft, allerdings vermutlich nicht nur wegen ihres Untertitels. Nun war Karl Schmid kein Radrennfahrer. Aber was war er? «Citoyen» stand früh im Raum, wurde allerdings in meinem Text selbst lange nicht thematisiert. Als ich mich dann damit beschäftigte, rückte ich innerlich zuerst ein wenig davon ab. Gab es keinen treffenden deutschen Ausdruck? Begriffsgeschichtlich passen aber auch «Staatsbürger» und «Bürger» nicht ganz. Programmatisch hätte mir die republikanisch schlicht-stolze Bestimmung «Ein Bürger» am besten gefallen, aber das wurde als zu blass empfunden. «Staatsdenker» und «Staatsdiener» mochte ich meinerseits aus verschiedenen Gründen nicht. Eine Zusammenstellung «Ein Leben für…», nämlich etwa «für Staat und Wissenschaft», lag nicht auf der Hand. Kurzum, die mannigfachen Tätigkeiten Schmids fanden nicht unter den Hut einer griffigen Formel. So blieb es beim Citoyen.
Der Untertitel ist eine Beschränkung und vielleicht durch das geleitet, was Siegfried Kracauer das «Gegenwartsinteresse» genannt hat, nämlich das Interesse, das den Blick von der Schreib-gegenwart auf die beschriebene Vergangenheit lenkt. Dieses Interesse kann ein normatives Element ins Spiel bringen, indem eine Stilisierung erfolgt, die mehr dem Sollen als dem Sein geschuldet ist. In unserem Falle denke ich aber, dass die Zuschreibung «Citoyen» durchaus den historischen Gegebenheiten entspricht.
Schmid war repräsentativ, aber wofür? Welches Typische lässt das Singuläre dieses Lebens erkennen? Es war, nehmt alles nur in allem, doch ein ausserordentlich schweizerisches Leben; deshalb hat sich das nicht unangefochtene Wort «Schweizer» im Untertitel halten können. Das Autoritäre Schmids, das Patriarchalische, das Pädagogische − das ist typisch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Schmid unterläuft es da und dort ein wenig, zum Beispiel durch Heirat mit einer Frau, die seine patriarchalischen Ansprüche mit Haut und Haar zurückwies.
Kontextualisierung und Ausdifferenzierung
Ein Problem stellte hier die Kontextualisierung dar. Schmid wurde vor über einem Jahrhundert geboren. Vieles aus seiner Lebenszeit ist historisch geworden und bedarf der Erklärung. Zum Beispiel durfte damals der Ehemann von Gesetzes wegen seiner Frau verbieten, eine berufliche Tätigkeit auszuüben. Aber was im einzelnen soll gesagt werden, und welche Ausführlichkeit ist jeweils am Platze? Auch hier wieder walten, ziemlich gebieterisch, ökonomische Gesetze. So habe ich vielleicht nicht immer im notwendigen Ausmass Handlungen und Aussagen ins zeit-, geistes- oder mentalitätsgeschichtliche Umfeld gebettet und, über den Nennwert hinaus, auf ihren Stellenwert gezeigt, und kann nur hoffen, wenigstens die Akzente halbwegs richtig gesetzt zu haben.Ich habe mich nicht beschränkt, aber konzentriert darauf, was Karl Schmid für das Gemeinwesen geleistet hat. Daher mussten sich andere Lebensbereiche mit geringerer Aufmerksamkeit begnügen. Zum Beispiel wäre Karl Schmids Verhältnis zu den Frauen ein interessanter Aspekt. Ich habe verschiedentlich auf sein konservatives Frauenbild hingewiesen, aber, abgesehen von der Ehe, nicht seine konkreten Beziehungen beleuchtet. Manche von ihnen könnten als «Affären» angesprochen werden, ohne dass damit aber sehr viel gesagt wäre. Viele Frauen begleitete er offenbar mehr väterlich denn als Liebhaber, was sich auch der bekannten Korrespondenz entnehmen lässt.
Wollte man Karl Schmid psychoanalytisch auf den Leib rücken, so wäre etwa auch dieser Leib selbst näher zu betrachten: Schmid setzte ihm in suizidaler Weise zu, vor allem durch seine Nikotinsucht, die er innerfamiliär für tabu erklärte, wobei er sich diesbezüglich auch der versammelten medizinischen Fachwelt gegenüber als beratungsresistent erwies. Hatte er in der Jugend und noch im frühen Erwachsenenalter Sport getrieben, Skifahren und Bergsteigen, so brach dies später vollkommen ab. Gleichzeitig widmete er dem Körperlichen durchaus seine diaristische Aufmerksamkeit.
Angesprochen werden musste das Thema Depression. Das Wort taucht in den biographischen Tabellen sehr häufig auf, aber auch in seinen Briefen. In der Diskussion mit Christoph Schmid wurde mir klar, dass dieser Begriff nur zum Teil wörtlich genommen werden darf. Er hat wohl einen klinischen Aspekt, dient daneben aber auch als Sammelbezeichnung. Karl Schmid sprach von Depression, wo andere von Ärger oder Frustration gesprochen hätten. Schliesslich neigte er dazu, in seinen schriftlichen Befestigungen, vor allem den nicht an Dritte gerichteten, das Negative herauszustreichen. Er kommt immer etwas zu kurz, ist immer etwas weniger gut als von sich selbst erwartet, wird immer etwas zu schlecht behandelt und besprochen. Schmid hat hier eine Selbstherabsetzungspraxis entwickelt, die sich sehen lässt und die ihrerseits psychoanalytischer Deutung offenstünde.
Und wo bleibt Elsie Attenhofer? Nun, sie ist die prominenteste Nebenfigur in meiner Geschichte, aber eben nur Nebenfigur. Elsie Attenhofers Leben ist im wesentlichen in bezug auf ihren Mann geschildert, ihre Optik kommt nicht voll zum Tragen. Selbstverständlich hätte sie eine eigene Biographie verdient, wie auch eine Doppelbiographie ihren Reiz hätte. Aber das war nicht mein Thema. Im übrigen ist mir bis heute nicht klar geworden, ob diese Ehe ein Grundlagenirrtum war oder ob Schmid gerade eine Frau suchte und brauchte, die diametral anders geartet war als er selbst.
Ihre gemeinsamen Kinder Regine und Christoph haben diese Arbeit teilnehmend begleitet, ohne mir Vorschriften machen zu wollen. Es war nicht immer einfach für sie, sich und ihre Familie als Objekt zu sehen, und sie waren gewiss auch nicht überall meiner Meinung. Sie liessen mich aber nicht nur walten, sondern, viel mehr als das, sie wiesen auf sachliche Unkorrektheiten hin, und sie nahmen mit Verständnis hin, dass meine Arbeit nicht alle ihre zusätzlichen Informationen aufnehmen konnte. Ich habe diese keineswegs selbstverständliche sympathetische Kooperation ausserordentlich geschätzt. Das einzige Problem, das ich mit Regine Benalcázar-Schmid hatte, war, dass ich immer wieder in Unsicherheit fiel, ob nun auf dem zweiten a ihres Namens ein accent aigu oder ein accent grave zu setzen sei.
Mein Dank geht schliesslich an Professor und alt Regierungsrat Hans Künzi. Er ist in Zürich als Vater der S-Bahn in die Geschichte eingegangen. Unter Eingeweihten bleibt er aber vor allem als Gründer der Karl-Schmid-Stiftung in Erinnerung. Seine Begeisterung für Karl Schmid war legendär und ansteckend. Nur zu gerne hätte ich ihm dieses Buch auf den Tisch gelegt. Leider aber ist er schon im Jahr 2004 verstorben. So darf ich es ihm wenigstens widmen.
Der Sinn einer Biographie
Was ist der objektive Sinn einer Biographie, abgesehen von der theoretischen Möglichkeit, dass sich der eine Leser, die andere Leserin mit ihr unterhält? Sagen wir es so: Obwohl es eine traditionelle Individualbiographie ist, kann sie der kollektiven Verständigung über die Werte unserer Gemeinschaft dienen. Damit ist auch die nicht abschliessend zu beantwortende Frage nach der Vorbildhaftigkeit gestellt. Wo könnte Karl Schmid heute Vorbild sein? Zum einen war es eine eindrucksvolle Lebensverwirklichung. Schmid war auf seiner Stufe ein Vollbringer. Er hat geleistet und geliefert. Er hat sich, zum andern, auf eine exemplarische Weise für die res publica eingesetzt, wie dies auch heute noch möglich ist – kaum mehr im Quantitativen und in der Breite seiner Tätigkeiten, aber doch im selben Geiste der Miliz.
Die Karl-Schmid-Stiftung feiert Dernière. Auch Karl Schmid befasste sich mit seinem Ende. Schon 1966, als 59jähriger, schrieb er in einem Brief sinngemäss, auf die Länge des Lebens komme es nicht an:2
«Jedes menschliche Leben ist, wenn man will, ein Stumpengeleise, mit dem Prellbock des Todes an seinem Ende. Aber ich meine, die Vorstellung, glücklichere Zeitgenossen seien auf Schienen, die ins Unendliche hinauslaufen, sei irrig. Wird denn der Wert eines Menschenlebens an der Zahl der Kilometer bemessen, die man zurückgelegt hat? Sollen wir in unserm Alter überhaupt noch zum Bild der Lokomotive greifen, um uns zu interpretieren; sind wir ein Bewegungsapparat? Die ganze Metaphysik ist schief. In unserm Alter ist man nicht mehr Wagen oder Schiff, sondern Hafen – vielleicht – für ein paar andere Schiffe. Baum, in dem viele junge Vögel nisten können.»
Möge das neue Buch helfen, ein paar junge Vögel anzulocken. Es ist auf diesem Baum noch Platz.
1 Brief an Christoph Schmid, 6.4.1970, in: Karl Schmid: Gesammelte Briefe. Bd. II 1963–1974, hrsg. von Sylvia Rüdin, Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2000, S. 1071.
2 Brief an Sylvia Soliva, 5.6.1966, in: Karl Schmid: Gesammelte Briefe. Bd. II, S. 903.