Kapitalismus für Arme
Picture provided by courtesy of Martin Burt.

Kapitalismus für Arme

Selbst ihre Befürworter misstrauen der Freiheit oft, sobald es um die wirtschaftlich Schwächsten geht. Doch statt Armut von oben herab zu verwalten, müssen wir die Menschen stärken, damit sie ihr Leben selbst meistern können.

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Lange Zeit haben wir das kapitalistische Wirtschaftssystem für seine Fähigkeit gelobt, das Leben für die meisten Menschen, die unter seiner unsichtbaren Hand leben, zu verbessern – indem wir neue Ideen, Kombinationen und Führungspersönlichkeiten zulassen, die inno­vativ sind und für Wirtschaftswachstum sorgen. Die Instabilität des Kapitalismus wird als notwendiges Übel angesehen: Scheitern fördert Innovation und beseitigt Ineffizienz; Armut zwingt uns zum Streben und zur Selbstverbesserung. Dieses dynamische und oft turbulente ­System beruht auf einer einzigen doktrinären Wahrheit: Wir glauben an das Privateigentum an den Mitteln der Wohlstandserzeugung. Dieses Gebot wird durch unseren liberalen ­politischen Rahmen gestützt. Er hält die Freiheit von Individuen hoch, die gleich sind vor den Gesetzen, denen sie sich selber unterstellt haben.

Diese Überschneidung zwischen persönlicher Freiheit und persönlichem Reichtum wird am deutlichsten in der breiten Palette der auf dem Markt erhältlichen Instrumente zur Vermögensverwaltung. Diese verschiedenen Tools helfen vermögenden Privatpersonen, ihren Reichtum zu visualisieren, langfristige Ziele zu definieren, Schwachstellen zu erkennen, Fortschritte zu verfolgen und sich mit einem Netzwerk von engagierten Mitarbeitern zu verbinden. Auf Knopfdruck können sie daten­gestützte Entscheidungen in Echtzeit treffen, um eine ­bessere Zukunft für sich und ihre Familie zu schaffen.

Doch warum verwerfen wir so gerne unsere liberalen Ideale, sobald es um Armut geht? Warum wird Reichtum privatisiert und Armut verstaatlicht? Am anderen Ende des Einkommensspektrums gibt es eine ebenso breite Palette von Instrumenten zur Armutsbekämpfung, die nicht so sehr von Armen genutzt als vielmehr auf sie angewandt werden – in der Regel in Form von pauschalen staatlichen Wohlfahrtsprogrammen oder Almosen. Was würde pas­sieren, wenn wir die Armut den Armen zurückgeben und ­ihnen erlauben würden, ihre Armut mit denselben Freiheiten und Instrumenten zu definieren und zu bewältigen, die auch Wohlhabende geniessen?

Zyniker behaupten, dass Armutsbekämpfung eine zu grosse und komplexe Aufgabe sei, um sie an Arme zu delegieren – vielleicht weil sie glauben, dass sie nicht die Fähigkeiten und den Verstand haben, um erfolgreich zu sein. Schliesslich ist Armut komplex: Das Einkommen ist nur eine von vielen sich verändernden Komponenten, zusammen mit individuellen und strukturellen Defiziten in ­Sachen Sicherheit, Gesundheit, sanitären Einrichtungen, Bildung, Wasser und mehr. Vielleicht glauben Zyniker, dass alle unsere bisherigen Bemühungen zur Armuts­bekämpfung nichts anderes als ein Kampf gegen Windmühlen waren. Oder sie befürchten, dass die Beseitigung der strukturellen Armut die völlige Abkehr vom Kapitalismus bedeutet – ein unvorstellbares Rezept.

Ein Werkzeug zur Selbstdiagnose

Doch seit wann scheut der Kapitalismus vor Komplexität zurück? Können wir einen Weg finden, die dem Kapitalismus innewohnende Innovation und Kreativität zu nutzen, um mit neuen Ideen und Kombinationen zu experimentieren, um frische Führungspersönlichkeiten im Kampf gegen die Armut zu gewinnen? (Tip: Die Antwort ist Ja.)

In weniger als einer Generation können wir die weltweite Armut für immer beseitigen. Dies ist kein leeres Versprechen – wir tun es bereits in 50 Ländern mit 450 Organisationen.

Mit der App «Poverty Stoplight» können Armutsbetroffene ihre Situation analysieren und entscheiden, welche Herausforderungen sie angehen müssen.
Bild: Poverty Stoplight.

Mein Team bei der Fundación Paraguaya hat die App «Poverty Stoplight» entwickelt, ein farbcodiertes Instrument, das definiert, was es bedeutet, sehr arm (rot), arm (gelb) und nicht arm (grün) zu sein, und zwar anhand von 50 Indikatoren in sechs Bereichen: Einkommen und Beschäftigung; Gesundheit und Umwelt; Unterkunft und ­Infrastruktur; Bildung und Kultur; Organisation und Partizipation; Selbstreflexion und Motivation. Die Indikatoren sind jedem bekannt, der sich mit Armutstheorie auskennt, aber…