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Kampf um die Währungshoheit

Die Digitalisierung gefährdet das staatliche Geldmonopol. Mit der Herausgabe von digitalem Zentralbankgeld könnten sich die Währungshüter gegen diesen Trend stemmen.

Kampf um die Währungshoheit
Markus Brunnermeier (links) und Dirk Niepelt (rechts), zvg.

 

Die Digitalisierung erfasst immer mehr Bereiche unseres Alltags, auch beim Bezahlen und Investieren. Damit ergeben sich auch für Regierungen und ­Zentralbanken neue Herausforderungen.

Heute bezahlen Verbraucher und Firmen in der Schweiz im wesentlichen bar oder sie übertragen Einlagen auf Girokonten. Das Bargeld wird von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) herausgegeben, die Münzen vom Bund, die Einlagen werden von den Banken emittiert. Da sowohl Bargeld als auch Einlagen auf Schweizer Franken lauten und hin- und hergewechselt werden können, besteht aus Sicht der Nutzer ein einheitlicher Franken-­Währungsraum. Im Hintergrund wickeln die Banken Zahlungen untereinander mit Reserven ab. Diese werden wie Bargeld von der SNB herausgegeben, sie existieren aber nur in elektronischer Form und können nur von Finanz­instituten gehalten werden.

Vier Trends, die das Geldsystem umkrempeln

Dieses Geldsystem befindet sich in einer Transformation. Erstens wird die direkte Verbindung zwischen SNB und Verbrauchern und Firmen zunehmend gekappt, weil Barzahlungen aufgrund der Verschiebung unseres Lebens in digitale Räume an Gewicht verlieren und Kunden vermehrt mit Überweisung, Karte oder Mobiltelefon bezahlen.

Zweitens steigt die Bedeutung von Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon, deren Geschäftsmodelle auf dem Verknüpfen von Daten beruhen, was durch künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen weiter begünstigt wird. Technisch gesehen bestehen grosse Ähnlichkeiten zwischen dem Versenden einer E-Mail, dem Anbringen eines Likes oder der Auslösung einer Zahlung. Der Einstieg ins Zahlungsverkehrsgeschäft ist daher für Big-Tech-­Firmen einfach und lukrativ, zumal wenn er teilweise noch durch das regulatorische Maschennetz fällt. In China ­treiben Alipay und WeChat Pay diese Entwicklung an vorderster Front voran.

Ein dritter Trend betrifft Kryptowährungen wie ­Bitcoin oder Ethereum. Ihr Erfolg in den letzten Jahren reflektiert Fortschritte bei der Verschlüsselungstechnik, Vernetzung, krisenbedingtes Misstrauen gegenüber Banken, libertäres Gedankengut im Sinne von Hayeks Währungswettbewerb, aber auch Spekulation und Inflationsängste. Als Zahlungsmittel spielen sie bislang nur eine untergeordnete Rolle und häufig dort, wo sie Zahlungsverkehrsrestriktionen oder staatliche Überwachung umgehen helfen. Als Anlagevehikel bleiben sie relevant, solange mögliche Käufer an sie glauben; wie lange das sein wird, steht in den Sternen. Strukturell leiden Kryptowährungen infolge der System­architektur noch immer an Kapazitätsbeschränkungen bei der Abwicklung von Zahlungen und hohem Ressourcenverbrauch. Ausserdem unterliegen Bitcoin und Co. grossen Preisschwankungen, nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht durch Aktiva «gedeckt» sind. Sogenannte Stablecoins bieten mehr Solidität: Sie sind an offizielle Währungen – vorwiegend den US-Dollar – gekoppelt, und ihre Herausgeber versprechen eine Deckung durch liquide Aktiva, die in der Praxis jedoch nicht immer erfolgt. Stablecoins ähneln ­daher Geldmarktfonds, deren Anteilscheine kurzfristig eingelöst und gegen die hinterlegten Aktiva eingetauscht werden können und die einem Run-Risiko ausgesetzt sind.

Der vierte Trend schliesslich betrifft den Umbau von Produktions- und Lieferketten im Rahmen von Industrie 4.0: Sensoren an Werkstoffen und Waren erlauben in Echtzeit den Nachvollzug von Lieferungen oder die Positionsbestimmung. Aktuelle Daten stehen allen Beteiligten einheitlich auf Blockchains zur Verfügung, und parallel zu den Güterbewegungen wird von «Smart Contracts» gesteuert die Bezahlung vorgenommen. Industrie 4.0 lässt eine explosionsartige Zunahme von Zahlungen erwarten und könnte dazu führen, dass sich industriespezifische Zahlungssysteme oder sogar Währungen herausbilden.

Reserven für alle

Allen vier Trends ist gemeinsam, dass sie die Bedeutung von Geld stärken, das nur in digitaler Form existiert und von Privaten – also nicht von der SNB oder anderen Notenbanken – herausgegeben wird. Dies stellt Zentralbanken vor die Herausforderung, die nationale Geld- und Währungshoheit und damit ihre Möglichkeiten zur Beeinflussung von Konjunktur, Preis- und Finanzstabilität oder Staatseinnahmen verteidigen zu müssen. In einem Extrem­szenario könnten Schweizer Maschinenbauer auf Euro lautende Token für Zahlungen nutzen, weil dies auch die mit ihnen vernetzten europäischen Zulieferer und Kunden tun. In einem moderateren Szenario könnten Verbraucher und Firmen zwar nicht vom Franken in andere Währungen wechseln, doch die Basis des Franken-Währungsraums – die SNB und ihre Geldpolitik – verlöre relativ zum Überbau aus alten und neuen Finanzdienstleistern dennoch an Gewicht und Einfluss.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Bedrohung planen Zen­tralbanken die Einführung von digitalem Notenbankgeld, Central Bank Digital Currency oder kurz CBDC genannt. Eine solche CBDC wäre digitales, von der Zentralbank emittiertes Geld für das breite Publikum. Anders als herkömmliche Einlagen wäre sie also eine Forderung gegenüber der Zentralbank, und im Gegensatz zu Reserven könnten die digitale Zentralbankwährung Haushalte und Firmen, nicht nur Finanzinstitute, halten: CBDC gliche «Reserven für alle», die man zum Beispiel durch seine Geschäftsbank verwalten oder in Token-Form auf dem Telefon halten und zur Zahlung nutzen könnte. Da CBDC im Prinzip die gleichen Funktionalitäten wie neue private Geldformen böte, würde sie die Zentralbanken in ihrem Kampf um Geld- und Währungshoheit stärken. Vielleicht würde sie auch weniger Mängel beim Verbraucherschutz, beispielsweise dem Schutz der Privatsphäre, aufweisen als Zahlungsmittel von Big-Tech-Firmen.

«Die Herausgabe von CBDC

dürfte Versuche zur

politischen ­Einflussnahme ­befördern.»

CBDC brächte neben grossen strukturellen Veränderungen im Bankensektor auch Risiken mit sich, insbesondere politische Risiken. Denn die Herausgabe von CBDC ginge mit einer Verlängerung der Bilanz der Zentralbank und mittelfristig höheren Gewinnen aus Geldschöpfung und Anlagegeschäft einher. Dies dürfte Versuche zur politischen Einflussnahme befördern: Verschiedenste Interessengruppen würden Finanzierungen und Gewinnverwendung in ihrem Interesse fordern.

Offensiv oder defensiv?

Einige wenige Notenbanken haben bereits CBDC emittiert. Viele andere, darunter die Europäische Zentralbank, tragen sich mit dem Gedanken. Für die Notenbanken, die nicht mitziehen wollen, macht das die Lage umso schwieriger, denn zusätzlich zur wachsenden privaten Konkurrenz müssen sie ihr Geld und ihre Währung auch gegen ­attraktive ausländische CBDC verteidigen. Auch momentan noch zögernde Notenbanken, darunter die SNB und das amerikanische Fed, könnten sich daher früher oder später doch für einen e-Franken oder Digital Dollar aussprechen.

Es gibt jedoch auch Alternativen zur offensiven Herausgabe von CBDC: Eine defensivere Strategie zielt ins­besondere auf die Regulierung der vielfältigen neuen privaten Geldformen, Zahlungskanäle und dahinterstehenden Akteure, soweit diese bekannt und justiziabel sind. Dies erfordert allerdings grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Aufsichtsorgane und verlangt die Bereitschaft, den regulatorischen Rahmen angesichts der Umwälzungen anzupassen.

Längerfristig scheint die Defensivstrategie selbst für ein Land wie die Schweiz, das aufgrund des etablierten ­Finanzplatzes aus einer Position der Stärke heraus agiert, eher schwierig. Denn potentiell schädliche Einflüsse ab­zu­wehren ist auf Dauer weniger erfolgversprechend als die Förderung positiver Einflüsse. Wo ein e-Franken die Bedürfnisse der heimischen Kunden und Gesellschaft besser erfüllen kann als ein in der Schweiz genutzter digitaler Euro oder Google-­Token, da kann das Land von seiner ­Herausgabe profitieren.

Die Welt verändert sich und mit ihr unser Geld. Den Trends der Zeit mit ihren Auswirkungen auf die nationale Geld- und Währungshoheit können Länder offensiv oder defensiv begegnen. Wir erwarten, dass sich mehr und mehr Länder für «Reserven für alle» und damit für die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung entscheiden werden.

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