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(K)eine nationale Tragödie

Die Schweiz der politisch Korrekten ist seit der letzten Verfassungsabstimmung in Aufruhr. Aber warum eigentlich?

Natürlich gehört eine Bauvorschrift, konkret eine solche zu Minaretten, nicht in eine Verfassung. Und natürlich berührt ein Verbot des Baus von Minaretten die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Wenn auch nicht zentral; denn Moscheen dürfen in der Schweiz – im Unterschied etwa zu Kirchen in grossen Teilen des islamischen Raumes – nach wie vor ohne Schikanen gebaut werden. Aber jedem, der Augen hat zu sehen, muss klar sein, dass es hier um eine symbolische Ausei-nandersetzung ging; das Volk hat das einzige ihm zur Verfügung stehende Mittel ergriffen, um einem tiefsitzenden und von seinen Eliten offensichtlich verdrängten Unbehagen angesichts des auf der Weltbühne zusehends aggressiver auftre-tenden Islams Ausdruck zu geben.

Es gab einmal – im Vordern Orient und im Spanien des Mittelalters – einen sozusagen humanistischen Islam, der deutlich toleranter war als das Christentum. Und auch der Islam der Ottomanen im späten 19. Jahrhundert hätte sich wieder in diese Richtung entwickeln können. Doch all das ging unter in der kleptokratischen und korrupten Herrschaft kleiner Eliten über einen ungebildeten und bewusst ungebildet gehaltenen Pöbel.

Das ist der Hintergrund der schweizerischen Verfassungsabstimmung, deren Ausgang man als sachlich falsch oder richtig beurteilen mag. Aber eine Katastrophe ist er nicht. Er ist vielmehr ein Warnschuss vor den Bug von Führungs-schichten, die sich zunehmend vom Volk entfernen, das sie zu vertreten vorgeben. Diesen wäre eher zu raten, mit gerei-nigten Brillen über die eigenen Bücher zu gehen, als sich über die Dummheit und den angeblichen Rassismus des Vol-kes zu empören. Und sich ins ewige Feindbild SVP zu verbeissen.

Allerdings scheint sich – neben der Hoffnung auf die «fremden Richter» in Strassburg, Brüssel und New York – eher ein gewisser Konsens der demokratisch Rechtgläubigen vorzubereiten, wonach man selber eine Verfassungsinitiative zur religiösen Toleranz starten könnte, mit der zugleich das Minarettverbot entsorgt würde. Theoretisch wäre solches denk-bar. Aber es wäre zugleich ein Zeichen höheren Blödsinns. Glaubt man denn wirklich, das Volk lasse sich so austrick-sen? Wenn man den Weg einer neuen Initiative gehen wollte, müsste sie die Verpflichtung der Behörden mit sich brin-gen, sich national und international gegen alle militanten Formen religiöser und weltanschaulicher Haltungen einzuset-zen. Dann könnte man das Minarett-Thema den kantonalen Bauordnungen überlassen.

Der Abstimmungskampf über die Minarette hat allerdings noch einige mehr oder weniger wichtige Seitenprobleme aufgezeigt.

Zu den weniger wichtigen gehört die Tatsache, dass einmal mehr in einer umstrittenen Vorlage (bei andern spielt es keine Rolle) die Trendaussagen des politischen Teils des sogenannten Forschungsinstituts gfs Lügen gestraft wurden. Trotz all den nie veröffentlichten Korrekturfaktoren der «Wissenschafter». Dass solche Umfragen in einer Zeit, da die Medien immer mehr der Unterhaltung dienen, nicht abgeschafft werden können, liegt auf der Hand. Aber warum das Staatsfernsehen DRS diesen Scharlatanen ein Monopol verschafft und sie einseitig mit Gebührengeldern finanziert, statt den freien Markt spielen zu lassen, bleibt ein Rätsel.

Problematischer sind die Abstimmungskommentare prominenter Politiker. Es waren ja nicht nur die – wie üblich – «missverstandenen» Bemerkungen des Schwätzers, den sich die CVP als Parteipräsidenten hält, zu einem Verbot von Burkas und jüdischen Friedhöfen. Auch der Präsident des Initiantenkomitees, Walter Wobmann, enttarnte sich mit seiner Fernsehstellungnahme gegen jüdische Friedhöfe als Antisemit. Denn wenn es bei den Minaretten um Symbole eines militanten Islamismus geht, wo wäre dann das militante Judentum – eine Religion, die ihren Glauben eben gerade nicht andern aufzwingen will?

Und endlich bekam man wieder einmal die Unfähigkeit unseres Bundesrates demonstriert. Den Damen und Herren war klar, dass das Abstimmungsergebnis im Falle eines nicht unmöglichen Jas im In- und Ausland Erklärungsbedarf schaffen würde. Für einen solchen Fall muss man alles tun, um sich nicht selber an die Wand zu manövrieren, sondern sich Optionen offenzuhalten. Was aber taten unsere Politzwerge? Sie warnten überall vor den schlimmen Wirkungen, welche ein Ja für das Ansehen der Schweiz im Ausland haben müsste. Da kann man dann natürlich diesem selben Aus-land nachher nicht mehr erklären, wieso es nun doch nicht so sei. Und im Inland kann man dann, vor dem gleichen Hintergrund, auch wieder nicht glaubhaft zur Besonnenheit aufrufen.

MAX FRENKEL, geboren 1938, ist promovierter Jurist und freier Publizist. Von 1987 bis 2003 war er als politischer Redaktor für die NZZ tätig.

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