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Journalistische Schattenseiten politischer Schlagseiten
Blick auf den Parkplatz des Al-Ahli-Krankenhauses in Gaza-Stadt nach dem Anschlag am 17. Oktober 2023. Bild: Reuters/Mohammed Al-Masri.

Journalistische Schattenseiten politischer Schlagseiten

Im Journalismus kommt es immer wieder zu systematischen Fehlern und blinden Flecken. Das hat auch mit dem politischen Weltbild von Journalisten zu tun, dem es allzu oft an Vielfalt mangelt.

Am 23. Oktober 2023 geschah etwas im internationalen Qualitätsjournalismus Aufsehenerregendes, weil äusserst Seltenes: Die altehrwürdige «New York Times» musste öffentlich eine fehlerhafte Berichterstattung zugestehen. Wie viele andere Redaktionen weltweit hatte die «New York Times» berichtet, Israel habe eine Rakete auf Gaza abgefeuert, die in ein Krankenhaus einschlug und dort hunderten Menschen – Ärzten, Krankenschwestern, Patienten – das Leben kostete. Bebildert wurde die Geschichte mit dem grossflächigen Foto einer verwüsteten Ruine.

Nur kurze Zeit später erwies sich das Krankenhaus jedoch als intakt; lediglich der Parkplatz des Krankenhauses wies Spuren eines Raketeneinschlags auf. Wie Israel anhand abgehörter Gespräche zeigen konnte, handelte es sich auch nicht um eine israelische Rakete, sondern die Fehlzündung einer Rakete des Islamischen Dschihads. Die «New York Times» war Falschaussagen der Hamas auf den Leim gegangen. Sie musste zugestehen, dass das illustrative Foto gar nicht das betroffene Krankenhaus zeigte.

Umgang mit Fehlleistungen

Das Veröffentlichen einer Korrekturnote ist üblicherweise das Signal eines schwerwiegenden journalistischen Fehlers. Kleinere Fehler werden hingegen im Zeitalter des digitalen Journalisten oft heimlich, still und leise direkt im digitalen Produkt korrigiert. Manchmal erscheint dann eine Fussnote, die auf Anpassungen am Bericht hinweist. Im Englischen gibt es dafür die schöne Bezeichnung «stealth editing». Die «New York Times» veröffentlichte etwa 2020 unter dem Titel des «1619 Project» eine Reihe von Aufsätzen, die die Sklaverei als Keimzelle der US-Geschichte beschrieben. Ein Projekt, das mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, aber nach Kritik von Historikern wiederholte «stealth edits» erfuhr. Zu prestigeträchtig war das Projekt, als dass man eine öffentliche Korrekturnote hätte veröffentlichen wollen.

In der deutschsprachigen Berichterstattung zur Flut- und Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima geschieht es mit fast schon einlullender Regelmässigkeit, dass Berichte zum Jahrestag des Ereignisses von tausenden Opfern der Atomkatastrophe sprechen – nur um nach Kritik des Publikums korrigieren zu müssen, dass es sich tatsächlich um Opfer des Tsunamis handelte, nicht etwa um Strahlentote. Meist erfolgen solche Korrekturen ebenfalls direkt im digitalen Produkt. Gelegentlich schicken Redaktionen einen verschämten Tweet hinterher, in dem die Korrektur zugestanden wird.

Eine aufwendige öffentliche Aufarbeitung erheblicher Fehlleistungen erlebte der deutsche Journalismus dagegen zuletzt, als das Magazin «Spiegel» bekannt gab, dass sein gefeierter und vielfach ausgezeichneter Autor Claas Relotius erhebliche Teile seiner Berichte frei erfunden hatte. Insgesamt 57 Korrekturen veröffentlichte der «Spiegel». Berichte über rechte Milizen an der texanischen Grenze zu Mexiko: übertrieben. Die Geschichte eines Syrers, der im deutschen Aachen 500 Euro auf der Strasse findet, bei der Polizei abgibt und den Finderlohn ablehnt: ausgeschmückt. Die Reportage zu Flüchtlingskindern, denen im Traum Angela Merkel erscheint: weitgehend erfunden.

Es ist schwierig, zuverlässige Aussagen über die Häufigkeit journalistischer Fehlleistungen zu machen. Spektakuläre Reinfälle, wie im Falle des Al-Ahli-Krankenhauses in Gaza, oder gar dreister Betrug, wie im Fall Relotius, sind angesichts des schieren Umfangs täglicher journalistischer Produktionsleistung als ausgesprochen selten zu betrachten. Kleinere Fehler wiederum gehen in der Flut der Berichterstattung und im Schatten des «stealth editing» unter. Weniger das Ausmass oder die Häufigkeit als vielmehr die Stossrichtung journalistischer Fehler könnte jedoch von erheblicher Brisanz für den öffentlichen Diskurs sein. Denn was, wenn journalistische Fehler allzu häufig in dieselbe Richtung weisen?

Gemeinsames Weltbild als Fehlerquelle

In den USA entbrannte eine solche Debatte angesichts der Berichterstattung über Polizeirassismus. So erwiesen sich nach ausführlichen Untersuchungen die Fälle einiger Ikonen der «Black Lives Matter»-Bewegung als deutlich ambivalenter, als die ursprüngliche, breite Berichterstattung vermuten liess. Während Demonstranten noch empört die Namen von Trayvon Martin, Michael Brown oder Jacob Blake skandierten, wurden die vermuteten Täter wegen Selbstverteidigung freigesprochen. Eine Umfrage des «Sceptic Magazine» zeigte im Anschluss, dass US-Bürger die Zahl unbewaffneter schwarzer Opfer von Polizeigewalt pro Jahr um das Zehn- bis Hundertfache überschätzen.

Morde der Polizei an unbewaffneten Schwarzen, Reaktorkatastrophen, rechte Milizen, heldenhafte Flüchtlinge, israelische Kriegsverbrechen: Gemeinsam haben diese Beispiele journalistischer Fehlleistungen, dass sie sich allzu bequem in das Weltbild eines urban-kosmopolitischen und progressiven Milieus einfügen, eines Milieus also, das den journalistischen Berufsstand zunehmend dominiert. Studie um Studie – ob in der Schweiz, in Deutschland oder in den USA – zeigen, dass das Berufsfeld Journalismus gegenüber der Gesamtbevölkerung politisch etwas nach links verschoben ist. Der durchschnittliche Journalist steht also politisch links vom durchschnittlichen Bürger. Stark überrepräsentiert sind unter Journalisten gemäss deutschen Daten Anhänger der Grünen.

Jene, die die Linksverschiebung im Berufsfeld Journalismus für unproblematisch halten, weisen gerne darauf hin, dass diese Verschiebung statistisch betrachtet nicht sehr stark ausgeprägt sei. Der durchschnittliche Journalist ist also kein Linksradikaler. Dem entgegen steht das Argument, dass das journalistische Berufsfeld stark homogen links geprägt sei. Wasser auf die Mühlen dieser Kritik war etwa jüngst eine – methodisch nicht unumstrittene – Umfrage unter den Volontären der deutschen ARD, nach der gerade einmal 4 Prozent der Befragten Union, FDP oder AfD wählen würden (nach aktuellen Umfragen aber fast 60 Prozent der wählenden Bevölkerung). Doch auch seriöse Studien zeigen immer wieder, dass zwei Drittel bis drei Viertel der befragten Journalisten, sofern sie eine Verortung vornehmen, sich selbst auf der linken Hälfte des politischen Spektrums verorten. Konservative Journalisten sind eine sehr kleine und offenbar verschwindende Minderheit.

Systematische Verzerrungen schleichen sich ein

Warum ist diese homogene politische Zusammensetzung des Berufsfelds von Interesse für das Phänomen journalistischer Fehlleistungen? Die Antwort steckt in den mit ideologischer Homogenität verbundenen blinden Flecken. Die Kognitionspsychologie zeigt, dass unser Denken stark von schnellen, spontanen Einordnungen geprägt ist – getragen von Heuristiken. Dabei spielt die Zuverlässigkeit der Informationsverarbeitung durchaus eine Rolle. Einen erheblichen Einfluss auf die Informationsverarbeitung hat jedoch auch unser soziales Umfeld. Als soziale Wesen sind wir fundamental auf die Kooperation mit unseren Mitmenschen angewiesen. So kann auch die Annahme einer Information vorteilhaft sein, die nicht wirklich zutreffend, aber sozial anerkannt ist. Die soziale Passung schlägt also gelegentlich die Wahrhaftigkeit.

«Als soziale Wesen sind wir fundamental auf die Kooperation mit

unseren Mitmenschen angewiesen. So kann auch die Annahme

einer Information vorteilhaft sein, die nicht wirklich zutreffend,

aber sozial anerkannt ist.»

Auf diese Weise schleichen sich systematische Verzerrungen – sogenannte «Biases» – in unser Denken ein: Wir erkennen Muster, wo keine existieren. Wir akzeptieren eher Informationen, die unser Weltbild bestätigen. Wir wenden Stereotype an, um neue Informationen zu verarbeiten. Wir bevorzugen Informationen, die unserem Status oder dem unserer Gruppe schmeicheln. Wir urteilen über unsere «Ingroup» freundlicher, über die «Outgroup» dagegen kritischer.

Politik oder politische Ideologie kann dabei ein relevanter Marker der eigenen Identität und der Gruppenzugehörigkeit sein. Ausgeprägt ist dies eher bei höher Gebildeten und bei politisch stark Interessierten: Charakteristika, die auf viele Journalisten zutreffen. Je höher die Bedeutung oder Salienz des eigenen politischen Weltbildes, desto wahrscheinlicher ist also, dass wir zum Opfer von kognitiven Kurzschlüssen aufgrund politischer Sympathien und Antipathien werden. Dann erkennen wir Muster, die ins politische Weltbild passen – auch dort, wo sie nicht existieren. Wir neigen dazu, das politische Gegenüber schneller und harscher zu verurteilen – und sehen hingegen politischen Freunden Fehler eher nach. Wir sind eher bereit, vorteilhafte Informationen über jene zu glauben, denen wir politische Sympathien entgegenbringen – und umgekehrt sind wir sensibler für den Splitter im (politisch) fremden Auge.

Wissensvermittlung benötigt Meinungsvielfalt

Der Journalismus gehört – wie auch die Wissenschaft und der Kulturbetrieb – zu den epistemischen Institutionen unserer Gesellschaft. Diese bieten dem kollektiven «uns» Orientierung, sie differenzieren wahr von unwahr, richtig von falsch. Epistemische Institutionen verlassen sich nicht auf das Wohlwollen oder die Selbstdisziplin ihrer Angehörigen – sie haben Mechanismen etabliert, um ihre Funktionsweise zu stärken. Dazu gehören der Wettbewerb und vor allem auch die wechselseitige Beobachtung und Kritik: in der Wissenschaft etwa das «Peer-Review», im Journalismus die Redaktionssitzung, das Fact-Checking, das Vieraugenprinzip. Auch diese Qualitätssicherungsmechanismen sind jedoch menschlicher Fehlbarkeit unterworfen, insbesondere der kollektiven. Was, wenn alle im Wettbewerb dasselbe anbieten? Was, wenn alle derart ähnlich ticken, dass ihnen die Fehler des Gegenübers nicht auffallen? Dann versagen auch das Peer-Review, der Faktencheck und das Vieraugenprinzip. Claas Relotius oder das «1619 Project» der «New York Times» wurden mit Journalismuspreisen regelrecht überhäuft.

Ideologische Homogenität ist daher eine enorme Gefahr für die Funktion epistemischer Institutionen. Gegen sie sind die etablierten Sicherungsmechanismen nicht gefeit. Auch ein im Durchschnitt eher kleiner politischer Bias im Berufsfeld kann daher den Journalismus massgeblich schwächen – wenn er mit grosser Homogenität verbunden ist. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit von Fehlleistungen. Aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fehlleistungen allzu oft in dieselbe Richtung weisen, dieselben Gruppen bevorzugen oder eben benachteiligen – und dadurch zu einer Spaltung und zunehmenden Polarisierung der Öffentlichkeit beitragen.

Die Gefahr (politisch) blinder Flecken und systematischer Fehleranfälligkeit im Journalismus wird potenziert durch den Umstand, dass dasselbe Milieu in Journalismus, Wissenschaft und Kultur dominiert. Die epistemischen Institutionen korrigieren also auch untereinander die Fehlerquelle ideologischer Homogenität nicht. Ein Farbenblinder wird die eigenwillige Farbwahl der Krawatte seines farbenblinden Gegenübers nicht bemerken. Die Medienkritik rudert allzu oft im selben Boot, in dieselbe Richtung wie die beobachteten Medien. Gemeinsam ist man sich auch allzu schnell einig, dass Medienkritik von ausserhalb der dafür auserkorenen Institutionen illegitim, gar gefährlich sei («Misinformation!»). So enden die epistemischen Institutionen in just jener Echokammer, die sie bei ihren Kritikern eifrig diagnostizieren.

«Gemeinsam ist man sich auch allzu schnell einig, dass Medienkritik von ausserhalb der dafür auserkorenen Institutionen illegitim, gar gefährlich sei (‹Misinformation!›).»

Wer Fehler im Journalismus vermeiden will, insbesondere systematische, wird am Wert der Vielfalt nicht vorbeikommen – insbesondere der Perspektivenvielfalt. Keine Aus- und Weiterbildung, keine professionellen Standards, kein Fact-Checking, keine Preisverleihung kann vor den Gefahren zu grosser Homogenität im kollektiven Denken feien.

Christian Hoffmann, zvg.

Sicher, Thinktanks oder «Watchdogs» können den Journalismus von aussen kritisch begleiten. Die Crowd der Social-Media-Nutzer kann journalistischen Fehlleistungen nachstellen – wie etwa die «Community Notes» auf Twitter/X. Doch Druck von aussen führt oft nur zu Solidarisierung nach innen. Er hermetisiert die Echokammer, statt sie aufzubrechen. Wirkliche Lösungen müssen von innen, aus den epistemischen Institutionen heraus, entstehen, wenn ihr Scheitern wirksam und nachhaltig vermieden werden soll. Das setzt Erkenntnis voraus – welcher wiederum die Perspektiveneinfalt im Wege steht.

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