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Journalisten sind deutlich  linker als die Wähler
Emil O. W. Kirkegaard. Bild: YouTube

Journalisten sind deutlich
linker als die Wähler

Umfragedaten aus 17 westlichen Ländern zeigen, dass Journalisten rot-grüne und EU-freundliche Parteien unterstützen, nationalistische oder libertäre aber ablehnen.

 

In vielen Artikeln wird die Linkslastigkeit der Medien beklagt. Harte Daten dazu sind jedoch nur schwer zu bekommen. Eine Möglichkeit, die Voreingenommenheit der Medien zu analysieren, besteht darin, bei den Journalisten selbst anzusetzen. Sozialwissenschafter haben jahrzehntelang Beweise dafür gesammelt, dass sich politische Überzeugungen auf das politische Verhalten auswirken – eine Aussage, an der wohl kaum jemand zweifelt. Dennoch führt dies zur Schlussfolgerung, dass es ein starker Beweis für die Voreingenommenheit der Medien wäre, wenn Journalisten nachweislich eine erhebliche politische Voreingenommenheit haben, indem sie bestimmte Positionen gegenüber anderen vorziehen.

Was wissen wir also über die politischen Neigungen von Journalisten? Nun, leider nicht sehr viel. Es gibt nicht viele akademische Untersuchungen zu diesem Thema, und was es gibt, konzentriert sich fast ausschliesslich auf Daten aus den USA. Die konservative Denkfabrik Media Research Center hat umfangreiche Daten über das Wahlverhalten amerikanischer Journalisten zusammengestellt. Sie schreibt etwa: «Mehr als die Hälfte der befragten Journalisten (52 Prozent) gaben an, bei den Präsidentschaftswahlen 2004 für den Demokraten John Kerry gestimmt zu haben, während weniger als ein Fünftel (19 Prozent) angaben, für den Republikaner George W. Bush gestimmt zu haben. Gewählt wurde letztlich Bush mit 51 zu 48 Prozent.»1 Doch die USA sind nur ein Land. Vielleicht sind die Dinge anderswo anders. Gemeinsam mit meinen Kollegen Noah Carl, Jonatan Pallesen und Emil Elgaard wollte ich herausfinden, ob dies der Fall ist.2

17 Länder, 150 Parteien

Die Vorgeschichte: 2017 entdeckte einer von uns Daten über das Wahlverhalten skandinavischer Journalisten aus Dänemark, Norwegen und Schweden und twitterte diese. Andere antworteten bald mit Daten für deutschsprachige Länder, und so ging es weiter. Da Akademiker nicht viel zu diesem Thema zu veröffentlichen scheinen, war es schwierig, die Umfrageergebnisse von Journalisten zu finden. Wir wandten uns an Muttersprachler der verschiedenen Länder, um sie zu bitten, in Zeitungen und Quellen wie Dissertationen nach Umfragedaten zu suchen. Durch die Zusammenarbeit mit Personen auf der ganzen Welt konnten wir Umfragedaten über das Wahlverhalten von Journalisten in 17 westlichen Ländern finden, die Daten für etwa 150 politische Parteien enthielten.3 Um die politische Voreingenommenheit von Journalisten in bezug auf eine bestimmte Partei zu berechnen, haben wir Daten von allgemeinen Wahlen in denselben Ländern zusammengestellt, die zeitlich so nah wie möglich an der jeweiligen Umfrage lagen.

Anhand der Wahldaten der Journalisten und der allgemeinen Wählerschaft ermittelten wir, wie stark die Journalisten eine bestimmte Partei im Vergleich zur Öffentlichkeit bevorzugten. Wir verwandten zwei primäre Messgrössen: 1) wie viele Prozentpunkte mehr oder weniger eine Partei bei den Journalisten im Vergleich zum Wähleranteil erhält und 2) das Verhältnis der Stimmenanteile der Journalisten im Vergleich zum Wähleranteil, also die relative Rate. Eine hypothetische Partei, die 30 Prozent der Stimmen bei den Journalisten, aber nur 10 Prozent der allgemeinen Wählerstimmen erhält, hat also eine Bevorzugung von 20 Prozent bei den Journalisten und eine relative Quote von 3 – sie wird von Journalisten dreimal häufiger gewählt. Beide Messzahlen haben ihre Stärken und Schwächen, und wir konnten uns nicht auf eine beste Metrik einigen, also haben wir beide parallel untersucht. Die Ergebnisse sind jedoch weitgehend identisch, so dass wir uns in diesem Text auf die relative Quote konzentrieren.

Der letzte Teil der Studie bestand darin, ein Mass für die politische Position der über 150 politischen Parteien in 17 Ländern zu ermitteln. Dazu griffen wir auf die englische Version von Wikipedia zurück, die in der Regel einen kleinen Kasten enthält, in dem die Position der einzelnen Parteien und ihre Ideologien beschrieben werden. Auf dieser Grundlage konnten wir den meisten Parteien eine numerische Links-rechts-Position auf einer Skala von –3 bis +3 zuweisen. Ein Problem dabei ist, dass Wikipedia selbst wohl eine gewisse Verzerrung aufweist. Wikipedia-Artikel basieren auf Freiwilligenarbeit. Die Autoren sind möglicherweise ebenfalls linksorientiert. Dazu sind uns leider keine Umfragen bekannt, obwohl sich Wikipedia über die mangelnde Vielfalt ihrer Redakteure beklagt hat. Ausserdem müssen sich die Wikipedia-Artikel auf veröffentlichte Arbeiten stützen, in denen die Positionen der Parteien beschrieben werden, und diese können nur von Journalisten und Akademikern stammen, die wiederum linksorientiert sind.

Einordnung der Parteien

Unser Lösungsversuch: Wir beschlossen, 25 Forschungsassistenten zu rekrutieren, welche die Positionen der einzelnen Parteien auf einer Skala bewerten sollten. Jedem Assistenten wurde gesagt, dass er Wikipedia für seine Beurteilung nicht zu Rate ziehen sollte, aber ansonsten jede andere Quelle nutzen könne. Wir hofften, dass so eine Vielzahl von Quellen konsultiert würde, dass Freunde aus dem betreffenden Land befragt und Parteiprogramme gelesen würden. Auf diese Weise erhielten wir für jede Partei eine neue Einordnung der politischen Positionen, die wir dann mit denen von Wikipedia verglichen. Erfreulicherweise stimmten sie mit einer Korrelation von 0,87 sehr gut überein.

Ein merkwürdiges Ergebnis war, dass die Daten der Bewerter kaum rechtsextreme Parteien zeigten, während viele Parteien in Wikipedia als «far right» beschrieben wurden. Eine Hypothese hierfür ist, dass die Forschungsassistenten rechtsextreme Parteien als faschistische und neonazistische Parteien betrachten, von denen in unserer Studie praktisch keine berücksichtigt wurden, da sie nicht genügend Wählerstimmen erhielten.

Danach waren wir mit der Zuverlässigkeit der Daten zu den politischen Positionen zufrieden, zumindest insofern, als sie die relativen Positionen der Parteien angaben, nicht notwendigerweise ihre absolute Position. Parteien, die als Mitte bezeichnet werden, sind vielleicht in mancher Hinsicht nicht wirklich im Zentrum, aber sie liegen in der Mitte der Parteienverteilung.

Als Nächstes wurden die Positionen der Parteien mit unseren Messungen der Präferenzen der Journalisten in Beziehung gesetzt. Da wir zwei verschiedene Messgrössen und zwei Sätze von Positionsdaten hatten, führte dies zu vier Ergebnissen. Diese waren jedoch recht ähnlich, so dass wir hier nur das Ergebnis zeigen, das die Parteienzuordnung der Bewerter verwendet (Abb. 1).

Das Muster ist in gewisser Weise nicht linear: Die Parteien der äussersten Linken erhalten weniger Unterstützung von Journalisten als die Parteien der linken bis mittleren Linken. Die durchschnittliche Präferenz der Journalisten scheint also links bis Mitte-links zu sein. Aber was zeichnet die Parteien aus, die von Journalisten unterstützt werden? Anhand der spezifischen Ideologien, die Wikipedia auflistet – in der Regel etwa vier für eine Partei –, konnten wir den Parteien in den verschiedenen Ländern auf ziemlich einheitliche Weise Ideologien zuordnen. Einige Parteien wurden als EU-positiv eingestuft, andere als einwanderungsfeindlich, einige als konservativ, andere wiederum als demokratisch-sozialistisch. Ähnlich wie bei der Links-rechts-Position berechneten wir dann die relative Präferenz der Journalisten für solche Ideologien auf der Grundlage der Positionen der Parteien (Abb. 2).

Unsere Ergebnisse sind nicht sehr überraschend. Wir stellen fest, dass Journalisten nationalkonservative Parteien nicht besonders mögen: Sie wählen sie viel weniger häufig wie die Allgemeinheit. Wenig mögen sie auch nationalistische, EU-skeptische oder libertäre Parteien. Auf der anderen Seite stehen sie besonders auf grüne, feministische und EU-freundliche Parteien. Auch traditionelle linke Ideologien wie der Sozialismus und seine Varianten werden allgemein positiv bewertet.

Grüne Parteien, keine konservativen

Wir haben zudem versucht, die verschiedenen Einflüsse voneinander zu trennen, indem wir eine unter Wirtschaftswissenschaftern beliebte Methode namens Bayes-Modell-Mittelwertbildung angewandt haben. Es handelt sich im wesentlichen um eine fortgeschrittene Version der multiplen Regression, die sich besonders für Situationen eignet, in denen es nur wenige Datenpunkte (in unserem Fall etwa 120 Parteien) im Vergleich zur Anzahl der erklärenden Faktoren (etwa 20) gibt. Die Ergebnisse dieser Analysen zeigen, dass die eindeutigsten Faktoren, welche die Unterstützung der Journalisten für eine Partei vorhersagen, darin bestehen, ob sie grün (positiv), konservativ (negativ) und nationalistisch (negativ) ist.

Wenn man davon ausgeht, dass die Voreingenommenheit in etwa so ist, wie wir es beschrieben haben, kann man sich nun fragen: Wie wirkt sich das auf die Art und Weise aus, wie die Nachrichten gemacht werden? Wir schlagen dem Leser vor, sich eine Nachrichtenredaktion vorzustellen, in der nur Trump-Anhänger arbeiten. Wie würden sie zum Beispiel mit Fragen zum «Sturm» auf das Kapitol in Washington, D.C., vom 6. Januar 2021 umgehen? Tatsächlich gibt es wohl aber kaum eine solche Redaktion. Es gibt jedoch viele US-Redaktionen, in denen kein einziger bekennender Wähler der Republikaner sitzt. Das linke «Slate-Magazin» hat eine Umfrage unter seinen Mitarbeitern veröffentlicht, die 0 Prozent Unterstützung für Trump bei den Wahlen 2020 ergab. Wer ist davon überzeugt, dass die Berichterstattung solcher Redaktionen über Geschichten wie Bidens Umgang mit der Korruption und den Drogenmissbrauch seines Sohnes unparteiisch sein wird?

Aber wir müssen uns nicht nur auf Gedankenexperimente verlassen. Es gibt mindestens eine veröffentlichte Studie aus dem Jahr 1996, in der Journalisten hypothetische Entscheidungen in einer Redaktion treffen mussten, um herauszufinden, wie ihre Überzeugungen ihre Entscheidungen beeinflussten.4 Die Autoren liessen Journalisten aus fünf Ländern (USA, Grossbritannien, Deutschland, Italien und Schweden) über verschiedene Fragen in der Redaktion entscheiden. Dabei ging es vor allem um Entscheidungen wie die Wahl der Schlagzeile und des Bildes. Ihre Schlussfolgerung lautete: «In allen fünf Ländern besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den persönlichen Überzeugungen der Journalisten und ihren Nachrichtenentscheidungen. Die Beziehung ist am stärksten in Nachrichtensystemen, in denen Parteinahme ein anerkannter Bestandteil der täglichen Berichterstattung ist, und ist bei Zeitungsjournalisten stärker ausgeprägt als bei Rundfunkjournalisten, aber Parteinahme hat einen gewissen Einfluss auf Nachrichtenentscheidungen in allen Bereichen der täglichen Nachrichten, selbst in denen, die durch Gesetz oder Tradition zu politischer Neutralität verpflichtet sind.» Wir haben den noch lebenden Autor der Studie, Thomas E. Patterson, Professor der Politikwissenschaften an der Harvard Kennedy School, per E-Mail gefragt, ob es irgendwelche Wiederholungen der Studie gebe. Er erklärte: «Ich glaube nicht, dass es eine Replikation gab.»

Fehlende Anreize für Untersuchungen

Der Mangel an akademischen Studien über die Voreingenommenheit der Medien ist selbst symptomatisch für die gleiche politische Voreingenommenheit unter Akademikern, über die in den letzten Jahren ebenfalls viel diskutiert wurde – und die wahrscheinlich noch stärker ist als die Voreingenommenheit unter Journalisten. Warum sollte ein normaler, linksorientierter Wissenschafter, der in der Medienwissenschaft tätig ist, die Voreingenommenheit der Medien untersuchen, wenn man vermutet, dass die Schlussfolgerung lauten würde, dass sie eher links sind? Das würde den Wissenschafter zur Zielscheibe für seine Kollegen machen, die ihn nun verdächtigen würden, konservativ oder sonst ein Dissident zu sein. Ausserdem wäre es schwierig, die Studie zu veröffentlichen, da die Gutachter und Redakteure der Fachzeitschriften ebenfalls linksorientiert und daher besonders kritisch sind. Und wenn die Studie veröffentlicht würde, würden wahrscheinlich rechtspopulistische Medien darüber berichten, die der Forscher nicht mag, und das könnte ihm Ärger mit studentischen Aktivisten einbringen. Es ist unschwer zu erkennen, dass nur wenige Akademiker an einer solchen Studie interessiert wären.

Es ist unmenschlich, nicht voreingenommen zu sein. Es gibt aber im Grunde keine andere Möglichkeit, mit der Voreingenommenheit in der Wissenschaft und in den Medien umzugehen, als zu versuchen, zu einem ausgewogeneren Zustand zurückzukehren.

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