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Journalismus auf der Couch

Gern werden Facebook, Twitter, YouTube & Co. verantwortlich gemacht für den Brexit, Trump oder den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa.

In den sozialen Medien sorgten – so der Vorwurf – algorithmische Filter für Echokammern, in denen Radikalismus gäre. Ich wage die Gegenthese: nicht die neuen Medien sind schuld am Aufstieg des Rechtspopulismus, sondern die «alten». Ein Beispiel aus Deutschland: ein Anführer der Alternative für Deutschland (AfD) bezeichnete jüngst die zwölf Jahre des National­sozialismus im Vergleich zu 1000 Jahren «erfolgreicher» deutscher Geschichte als einen «Vogelschiss». Die mediale Empörung war ebenso gewaltig wie vorhersehbar: Unzählige Berichte, Kommentare, Diskussionsrunden verurteilten den Tabubruch. Das Ergebnis: in Meinungsumfragen stieg die AfD auf neue Höchstwerte.

In der Beziehungspsychologie würde man das Verhältnis zwischen neuen Populisten und «alten» Journalisten als toxisch bezeichnen, als eine Co-Abhängigkeit: Erstere gieren nach Aufmerksamkeit. Ihre gewählten Mittel: Radikalität und Provokation. Die meist links oder linksliberal eingestellten Journalisten empören sich aufrichtig dagegen, engagieren sich. Ihr Mittel dazu: die Berichterstattung.

Der Psychologe Maslow sagte: «Ich glaube, es ist verlockend, wenn das einzige Werkzeug, das man hat, ein Hammer ist, alles zu behandeln, als ob es ein Nagel wäre.» Das ist das Dilemma des Journalismus: Die Schaffung von Aufmerksamkeit, das Berichten, Debattieren, Kommentieren ist der «Hammer» des Journalismus. So folgt auf jede populistische Provokation eine neue Aufmerksamkeitswelle.

Toxisch ist diese Beziehung, weil Populisten daraus nur eine Lehre ziehen können: mehr Radikalität heisst mehr Aufmerksamkeit. Durch jede Empörungswelle wird dabei der Journalismus verbissener, pädagogischer und unglaubwürdiger. Beide Seiten bringen ineinander das Schlechteste hervor. Was ist also ein Facebook-Algorithmus verglichen mit dieser dysfunktionalen Beziehungsdynamik?

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