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Joachim Fest: Ich nicht. Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend»

Reinbek: Rowohlt Verlag, 2006

Viele haben oder hätten Joachim Fest zu dessen Lebzeiten als unverbesserlichen Rechten bezeichnet, der mit viel Einfühlungsvermögen eine Hitler-Biographie geschrieben habe, zwanzig Jahre lang als Herausgeber der «konservativen» Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ fungiert und dort 1986 dem Berliner Historiker Ernst Nolte eine Plattform geboten habe, um den Historikerstreit auszulösen.

Gewiss, Fest war, was in Deutschland – nach den Jahren des Nationalsozialismus – kaum einer zu sein wünschte: ein Konservativer. Er war es aber nicht in einem dogmatischen Sinne, der ihn zum Parteigänger hätte werden lassen. Sein kurzes Engagement für die CDU bezeichnete er später als «Irrweg». Er war vielmehr ein Werte-Konservativer, der stets auf seine Unabhängigkeit bedacht war und viel Sinn für Liberalität besass. Diesen liberalen Geist liess er auch als für das Feuilleton zuständiger Herausgeber der FAZ walten. Unter seiner Ägide wurden Linke wie Heinrich Böll oder Erich Fried als Autoren gewonnen. Er förderte junge Redaktoren, die heute in so mancher überregionalen Zeitung wichtige Positionen bekleiden. Widerspruch war erlaubt, solange kluge Argumente angeführt wurden. Wenn später über die FAZ gesagt wurde, man müsse sie, unabhängig von politischen Präferenzen, unbedingt lesen, dann war dies auch Joachim Fests Verdienst.

Wer Fests Leben Revue passieren lässt, stösst auf Personen, die nicht so recht in das Klischeebild des Mannes passen. Ulrike Meinhof, die spätere RAF-Terroristin, gehörte während der 1960er Jahre, als Fest unter anderem Chefredaktor beim NDR in Hamburg war, zu seinen häufigen Gesprächspartnern. Wiewohl beide unterschiedliche Auffassungen vertraten, massen sie ihre Argumente jeweils am anderen. «Mit wenigen machte es so viel Vergnügen zu streiten wie mit Ulrike Meinhof», bekannte Fest. «Jedes Mal, wenn wir uns irgendwo bei einer Party trafen, zogen wir uns in eine Ecke zurück und redeten über Politik.» Mit Horst Janssen, dem bedeutenden deutschen Graphiker, verband ihn eine enge Freundschaft. Das Verhältnis zu dem exzentrischen Künstler, der dem Alkohol verfallen war, erwies sich bisweilen als problematisch. Dennoch liess Fest von dieser ungleichen Verbindung nicht. Ein Resultat davon war ein beeindruckendes Janssen-Porträt: «Selbstbildnis von fremder Hand». Und schliesslich eine weitere Begegnung: Joachim Fest und Bernd Eichinger, hier der auf Haltung bedachte Bürgerliche, dort der gerne über die Stränge schlagende Produzent. Für den Film «Der Untergang» fanden die beiden zueinander.

Ein Gegensatz ganz anderer Art offenbarte sich im vergangenen Jahr, als ihre autobiographischen Bücher Joachim Fest und Günter Grass gleichsam vertauschte Rollen einnehmen liessen. Der Literatur-Nobelpreisträger und Angehörige des linken Mainstream, der in Fragen der Aufarbeitung der Vergangenheit stets als moralische Instanz aufgetreten war, gab nun «Beim Häuten der Zwiebel» seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS zu. Grass rechtfertigte sein 60jähriges Schweigen mit dem Argument, er habe bisher nicht die rechte Form für sein Bekenntnis gefunden. Während im Rückblick manche hehre Äusserung des Schriftstellers als Ausdruck von Doppelmoral erscheinen muss, ist Fest ein solcher Vorwurf schwerlich zu machen.

«Ich nicht» hat er die «Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend» überschrieben. Darin setzt er seinem Vater Johannes Fest ein Denkmal. Dieser, ein überzeugter Anhänger der Weimarer Republik, Preusse, Katholik und Bildungsbürger, erwies sich als unnachgiebig gegenüber dem NS-Regime. So musste der Lehrer und Rektor die Leitung seiner Schule abgeben und wurde aus dem Staatsdienst entlassen. Man warf ihm seine führende Mitgliedschaft in der Zentrumspartei, im Reichsbanner, einer Organisation zum Schutz der Republik, sowie seine «öffentlich herabsetzenden Reden gegen den Führer» und weitere Nationalsozialisten vor. Angebote des Regimes, über den Eintritt in die NSDAP in den Lehrerberuf zurückzukehren, lehnte er ab. Der Vater von fünf Kindern führte zu Hause einen «zweiten Abendtisch» ein, wo gemeinsam mit den älteren Kindern, also auch Joachim, das Essen eingenommen wurde. «Ein Staat», sagte er, «der alles zur Lüge macht, soll nicht auch noch über unsere Schwelle kommen. Ich will mich der herrschenden Verlogenheit wenigstens im Familienkreis nicht unterwerfen.»

Solche Erfahrungen wirkten prägend. So berichtet Joachim Fest in den «Erinnerungen» von einem Gespräch mit seinem Bruder Winfried, das wohl in den 1970er Jahren stattfand, über den Einfluss des Elternhauses: «Ich sprach von den vielfältigen Angriffen, denen ich als Verweigerer der linken Zeitstimmung ausgesetzt sei, und wir zitierten lachend die Dummheiten, die über mich im Umlauf waren. In Wirklichkeit sei uns, ergänzte Winfried, was keiner dieser ‹gross gewordenen Pimpfe› ahnte und keiner von ihnen je kennen gelernt hatte, in jungen Jahren eine Art Stolz auf die Abweichung beigebracht worden. Ich sagte, sooft ich nach den Prinzipien gefragt würde, die mich seit je leiteten, hätte ich auf meine skeptische Einstellung und sogar meinen Widerwillen gegen den Zeitgeist und seine Mitläufer verwiesen. Das ‹Ego non!› jenes nie vergessenen Tages, an dem unser Vater den zweiten Abendtisch eingeführt hatte, sei mir nie zweifelhaft gewesen. Die Lehre der NS-Jahre laute für mich, dem Meinungsstrom zu widerstehen und nicht einmal anfällig dafür zu sein. So sei die Versuchung durch den Kommunismus nie ernsthaft an mich herangetreten, wie viele geachtete, im einen oder anderen Falle sogar fast befreundete Zeitgenossen ihr mindestens zeitweilig auch erlagen.»

Nichts ist so, wie es scheint. Selbst mit Blick auf Fests Lebensthema – Hitler und der Nationalsozialismus – trügt der Schein. Er hat es sich nicht ausgesucht. Als der «Rias», der Rundfunksender im amerikanischen Sektor, ihm Anfang der 1950er Jahre ein Angebot unterbreitete, eine Sendereihe zur deutschen Zeitgeschichte zu übernehmen, war Fest gar nicht angetan. Die Zeitgeschichte hatte er bisher tunlichst vermieden. Sein Interesse galt einer lange zurückliegenden Epoche, der italienischen Renaissance. Die Leidenschaft dafür hatte er bereits in den 1930er Jahren entdeckt – auf Anraten seines Vaters. Sein Vater war es auch, der ihn von der Zeitgeschichte fern halten wollte. Für einen ernsthaften Historiker, so Johannes Fest, seien Hitler und Konsorten kein Gegenstand, sondern schlichtweg ein «Gossenthema». Joachim Fest indes wies den Geschichtsbegriff seines Vaters als altmodisch zurück. Überdies betonte er das Wissbedürfnis der Jüngeren, die erfahren wollten, wie es zum Dritten Reich gekommen sei.

Als Leser können wir uns über Fests Themenwahl – Gosse hin, Gosse her – glücklich schätzen. Er war ein Stilist, dessen Eleganz und Brillanz heute ihresgleichen sucht. Die Porträts, die er schliesslich für den «Rias» verfasste, bildeten die Grundlage für die 1963 vorgelegte Sammlung «Das Gesicht des Dritten Reichs», die immer noch lesenswert ist. Standen hier die Täter im Mittelpunkt des Interesses, waren es fast dreissig Jahre später (1994) die Gegner. «Staatsstreich» nannte Fest das Buch, in dem er den «langen Weg zum 20. Juli» nachzeichnete. Aber sein wichtigstes Werk bleibt die Hitler-Biographie (1973). Sie wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und hat seither eine Auflage von fast einer Million Exemplaren erreicht. Hitler wird darin nicht dämonisiert, gewissermassen aus der Geschichte herausgehoben, sondern in sie eingeordnet. Darin liegt die eigentliche Bedeutung der Biographie. Fests Zugang war kein moralischer. Dieser, betonte er des öfteren, sei wenig erkenntnisfördernd und diene meist den Nachgeborenen, um eine gute Figur abzugeben.

Fest rieb sich am Zeitgeist, griff in Debatten ein. Seine Angriffe gegen Linke wurden vielfach als Äusserungen eines Antikommunisten missverstanden. Tatsächlich waren sie Ausdruck seines Antitotalitarismus. Fest wusste nur zu gut um die Gefährdungen der Demokratie, gleich von welcher Seite des politischen Spektrums sie ausgingen. Er war ein grosser Skeptiker. Das zeigte sich auch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. In seinem 1991 publizierten Essay über den «zerstörten Traum» feierte er das «Ende des utopischen Zeitalters», weil die grossen Heilsentwürfe, die den Himmel auf Erden versprachen, stets nur die Hölle verwirklicht hätten. Doch von Triumph war keine Rede. In der Fortsetzung seiner Überlegungen wandte sich Fest 1993 der «schwierigen Freiheit» zu. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches seien die freien Gesellschaften wieder auf sich selbst verwiesen. Gefahr drohe weniger von aussen, sondern im Innern: «aus der Tendenz zur Überdehnung der Freiheit im Namen der Freiheit».

Joachim Fest hegte den Zweifel seit frühen Tagen. Nur einmal, so scheint es, liess ihn dieser im Stich. Albert Speer, Hitlers Chefarchitekt und Rüstungsminister, dem Fest bei der Abfassung seiner Erinnerungen 1969 geholfen hatte und über den er später eine Biographie schrieb (1999), konnte Fest offenbar täuschen. Speer wusste wohl mehr über die Massenvernichtung der Juden, als er Fest glauben machen wollte. Selbst grosse Skeptiker irren bisweilen. – Am 11. September 2007 hat sich Joachim Fests Todestag zum erstenmal gejährt.

besprochen von RALF ALTENHOF, geboren 1964. Der Autor ist promovierter Politologe und Publizist in Freiberg (D)

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