
Jeremias Gotthelfs Moralpredigt ist altbacken, doch die Geschichte von «Der Geltstag» ist zeitlos
Im Rahmen einer umfassenden Neuausgabe lässt sich der grosse Schweizer Epiker neu entdecken.
Was für eine Wucht dieser Roman doch sei, meint Alex Capus schwärmerisch in seinem Nachwort zu «Der Geltstag», der im Rahmen einer umfassenden Neuausgabe prominent und nahbar ein Comeback erfährt. Man kann ihm recht geben: Eine Wucht ist das Buch – diese «vierhundertseitige Moralpredigt» – gleich in mehrfacher Sicht.
Gezeigt wird der Verfall eines Wirtshauses durch die verantwortungslose Führung von Eisi und Steffen, was schliesslich zum titelgebenden Geltstag führt, also zum Konkurs. Was die Wucht dieser Geschichte ausmacht, ist aber weniger die im Emmental angesiedelte Handlung als vielmehr deren Umsetzung durch Gotthelf. Von einem Schock kann keine Rede sein; die Leser sind bereits zu Beginn auf das unvermeidliche Ende gefasst. Dafür erstreckt sich bis zum Schluss das vielleicht Typischste der Gotthelf-Epik: geistige Lehrhaftigkeit und eine ganz besondere Sprache, die immer wieder Dialektwörter und -sätze aufnimmt.
Doch man muss auch zugeben, dass es ein harter Brocken ist. Kann man die Handlung, die sich ohne weiteres auch in die Gegenwart übertragen lässt, noch ohne Probleme verstehen, sind es eben diese stilistischen Eigenarten des Buches, die das Lesen erschweren. Ein Glossar, das dem Roman angefügt ist, hilft dem Leser (auch dem Schweizer Leser), die eigenwillige Sprache zu bewältigen. So ist die Ausgabe gleichzeitig nahe am Original und doch zugänglich.
Dass Gotthelfs «Geltstag» zu dessen Lebzeiten nicht den gleichen Anklang fand wie andere seiner Werke, lässt sich womöglich noch damit erklären, dass darin der kirchliche Zorn, mit dem der strenggläubige Gotthelf seine Zeitgenossen zuweilen anprangert, stärker zutage tritt als die Hoffnung, die Situation der beiden Wirtsleute möge sich bessern. Doch es zeigt sich gerade heute (und der altbackenen Standpaukerei zum Trotz), dass es eine Geschichte ist, die den Test der Zeit bestehen kann. Jedenfalls ist der grösste Schweizer Epiker im renommierten Diogenes-Verlag gut aufgehoben.
Jeremias Gotthelf: Der Geltstag – Die Wirtschaft nach der neuen Mode. Herausgegeben von Philipp Theisohn. Mit einem Nachwort von Alex Capus. Zürich: Diogenes, 2025.