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Jede (wirklich jede) Idee hat eine faire Chance

Der Kunstbetrieb erschafft sich gerne seine eigene Realität. Das darf er auch und ist sein grosses Privileg. Trotzdem: auch der Kunstbetrieb unterliegt den Gesetzen der Schwerkraft. Das ewige Mantra, den wahren Wert der Kunst an ihrer relativen Randständigkeit zu messen, gleicht dem Versuch, die Gravitation aufzuheben. Es soll deshalb hier explizit gesagt sein: Nur weil viele […]

Jede (wirklich jede) Idee hat eine faire Chance
Simon und Felix Philipp Ingold, photographiert von Thomas Burla.

Der Kunstbetrieb erschafft sich gerne seine eigene Realität. Das darf er auch und ist sein grosses Privileg. Trotzdem: auch der Kunstbetrieb unterliegt den Gesetzen der Schwerkraft. Das ewige Mantra, den wahren Wert der Kunst an ihrer relativen Randständigkeit zu messen, gleicht dem Versuch, die Gravitation aufzuheben. Es soll deshalb hier explizit gesagt sein: Nur weil viele etwas konsumieren, ist es nicht schlecht; nur weil wenige etwas schätzen, ist es nicht gut. Kulturschaffende, v.a. aber auch die Kunstkritik, sind die einzigen, die dies ernsthaft in Frage stellen. In keiner anderen Branche wird diese kontraintuitive Marginalisierungsmentalität propagiert.

Bezogen auf die Literatur verweist Ingold im letzten «Monat» auf die zunehmende Vermischung von Unterhaltung und «schöner» Literatur. Er schlägt eine klare Abgrenzung anhand analoger und digitaler Vermittlungsformen vor. Die Spezies der Leser wird damit zur Zweiklassengesellschaft: Kindle-Besitzer bekommen in Zukunft nur noch Trash vorgesetzt, während Connaisseure in schweren Wälzern mit Goldschnitt blättern. Oder so ähnlich. Kundensegmentierung ist ein bewährtes Marketingkonzept, aber eine Premium-Strategie im Literaturmarkt ist zum Scheitern verurteilt. Die Unterscheidung von elitär und nichtelitär bestimmt sich über den Inhalt, nicht über das Medium. Die Qualität der schönen Literatur wird nicht verbessert, wenn ihr die analoge Buchform vorbehalten ist. Und Preisdiskriminierung ist bei Büchern aufgrund der weitgehend homogenen Zahlungsbereitschaft der Leser wenig effektiv. Bücherwürmer sind üblicherweise nicht so gut betucht wie z.B. Autonarren. Während es durchaus Sinn macht, wenn Lamborghini sein neustes Modell in einer Kleinstauflage von drei Stück für jeweils 3,9 Millionen Dollar verkauft, eignen sich Bücher nicht als Prestigeobjekt. Im Gegenteil: elitäre Inhalte schwer zugänglich bzw. unerschwinglich zu machen ist kontraproduktiv, weil sie dann überhaupt nicht mehr rezipiert werden.

Der Exklusivitätsanspruch der schönen Künste ist verständlich, aber ist er auch berechtigt? Brauchen wir die Unterscheidung von U- und E-Kultur, wie sie gewisse Hohepriester der Feuilletons gerne beschwören? Ein kurzer Blick auf den Stand des Elitismus generell genügt und es kann nur eine Schlussfolgerung geben. Die Welt ist, zumindest in dieser Hinsicht, flach. Der globale Markt der Ideen und der freie Informationsfluss haben das Konzept von Inhalten völlig neu definiert. Natürlich gibt es Opinion Leaders, Vordenker und Gurus mit Einfluss. Aber jede schöpferische Leistung hat heute das Potential, eine «Global Audience» zu erreichen, und steht damit im direkten Wettbewerb mit beliebig vielen anderen Leistungen. Es ist das Korrektiv, gegen das sich jede etablierte Meinung und Idee behaupten muss. Aus diesem Wettbewerb geht kein einzelner Gewinner hervor, aber tendenziell setzen sich die besten Ideen durch. Wenn Ideen oder Konzepte an mangelnder Aufmerksamkeit scheitern, dann meist aus gutem Grund.

Ich bin überzeugt, dass keine wirklich brillante Idee je unentdeckt geblieben ist. Es kann frustrierend lange dauern, aber irgendwann ist die Zeit reif. Apple stellte 1992 mit dem «Newton» den ersten PDA vor, eine ambitionierte Innovation, die ihrer Zeit voraus war. Das Gerät war revolutionär, aber unausgereift und entpuppte sich als Ladenhüter. 1997 beerdigte Apple den «Newton». Wie sich neun Jahre später zeigen sollte, war es nur ein künstlicher Tiefschlaf. Reinkarniert als iPhone wurde der «Newton» zum Erfolgsprodukt schlechthin.

Egal ob in der Technologie oder in der Kunst: elitärer Separatismus widerspricht nicht nur dem Zeitgeist, sondern schadet auch der Sache. Das Elitäre muss Teil der Gesellschaft sein und sich eine hörbare Stimme verschaffen. Nicht durch Anpassung, aber durch Einmischung, und zwar auf allen Kanälen. David Foster Wallace hat es vorgemacht: seine Artikel über Sport waren genauso stark wie seine Romane. Wenn auch nur ein Sportbegeisterter dadurch mit seinem (elitären) Werk in Berührung kommt, ist das etwas durchweg Gutes.

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