«Ja, meine Herren! Unser Alpenland soll der Hochaltar der Freiheit in Europa sein.»
Alfred Escher, undatiert. Lithografie von Johann Conrad Werdmüller (1819–1892) nach einem Aquarell von Clementine Stockar-Escher (1816–1886). Privatbesitz. Bild: Stiftung Alfred Escher.

«Ja, meine Herren! Unser Alpenland soll der Hochaltar der Freiheit in Europa sein.»

Im September 1848 ereignet sich im monarchistischen Europa Einzigartiges: Inmitten des alten Kontinentes schliesst sich ein loses Bündel von Kantonen zusammen und gibt sich eine bundesstaatliche Verfassung auf demokratischer Basis. Demokratie ist zu diesem Zeitpunkt alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Im Deutschen Bund wird die Märzrevolution niedergeschlagen. In Frankreich gelingt die bürgerliche Februarrevolution zwar, viele Beobachter sehen die junge Republik jedoch als fragil. Die Bedenken sollten sich bewahrheiten: 1851 ruft der gewählte Staatspräsident Louis Napoléon Bonaparte das zweite Kaiserreich aus.

Besorgt über die unruhige Lage im unmittelbaren Ausland wendet sich Nationalratspräsident Alfred Escher am 5. April 1850 an das Parlament: Seine Rede, die wir hier in gekürzter Form abdrucken, ist im zeitlichen Kontext des monarchistischen Aufbäumens der Vertreter der «Reaktion» gegen die bürgerlichen Revolutionen in Deutschland und Frankreich zu verstehen. In voller Länge nachzulesen ist sie im neu erschienenen Buch «Alfred Eschers Thronreden» (NZZ Libro, 2021), das von Historiker Joseph Jung zusammengestellt wurde.


Die Beziehungen der Schweiz zum Ausland anlangend, gewann es vor einiger Zeit den Anschein, als wollte vonseiten besonders zweier Grossmächte eine feindselige Stellung der Schweiz gegenüber eingenommen werden. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass von bedrohlichen Zumutungen des Auslands, die in Aussicht stehen oder bereits erfolgt seien, nirgends mehr die Rede war als in der schweizerischen Presse, die, wenn auch mit anerkennungswerten Ausnahmen, doch im Ganzen genommen in dieser Beziehung eine wenig erquickliche Geschäftigkeit an den Tag gelegt hat. Dessen ungeachtet kann aber nicht daran gezweifelt werden, dass die ­Reaktion in Europa etwas der Schweiz gegenüber im Schilde führte, ja dass, was sie für einmal aufzuschieben für gut gefunden haben mag, deswegen noch nicht als ohne weiteres aufgehoben betrachtet werden darf.

Es ist nun einmal der Reaktion das Land vor allen ein Ärgernis, das nicht etwa durch eine wühlerische Propaganda, sondern einzig durch die ruhige Macht des Beispiels mit den Anstoss zur letzten denkwürdigen Erhebung der Völker Europas gegeben und das hinwieder aus dem Sturm, der infolge dieser Erhebung unseren Weltteil erschütterte, die gewichtigsten und dauerhaftesten Errungenschaften gerettet hat: Die Schweiz als gekräftigter demokratischer Freistaat ist der Dorn im Auge der europäischen Reaktion. Der Vorwurf, welchen sie der Schweiz macht, ist also eigentlich der, dass die Schweiz eben ist, was sie zum Teile schon von alters her war und nun nach ihrer neu errungenen Verfassung in noch erhöhtem Masse sein soll. Aber so offen wird dann freilich nicht gesprochen, wenn es darum zu tun ist, der Schweiz zu Leibe zu gehen. Gründe brauchen ja nicht angeführt zu werden, wo Vorwände denselben Dienst leisten. Die eigentliche Anklage gegen die Schweiz bleibt dann also im Hintergrund der Gedanken, und auf dem Papier werden Beschwerden irgendwelcher Art erhoben, die ja, wenn man sie finden will, auch immer gefunden werden können.

Besondere Verhältnisse im Vaterland

Wie soll sich nun aber bei solcher Stimmung der europäischen Reaktion gegen die Schweiz unser Vaterland dem Ausland gegenüber verhalten? Ich habe im letzten Sommer, als wir am Schluss der ersten Sitzungsabteilung voneinander Abschied nahmen, von dieser Stelle aus Ihnen zugerufen, der Wille des schweizerischen Volkes gehe dahin, «dass die Schweiz sich nicht ohne dringende Not in auswärtige Händel einmischen, dass sie aber, wenn ihr vom Ausland in irgendwelcher Weise zu nahe getreten werden wollte, dies mit aller Entschiedenheit und unter Anwendung aller der Schweiz zu Gebote stehenden Kräfte zurückweisen solle». Was ich damals gesagt, kann ich jetzt nur wiederholen. Der Wille unseres Volkes ist derselbe geblieben. Er beruht auf einer richtigen Würdigung der besonderen Verhältnisse unseres Vaterlandes.

Es darf nicht aus dem Auge gelassen werden, dass die Schweiz ein kleines Land ist. Dieser Umstand kann nicht in Berücksichtigung…

Alfred Escher, undatiert. Lithografie von Johann Conrad Werdmüller (1819–1892) nach einem Aquarell von Clementine Stockar-Escher (1816–1886). Privatbesitz. Bild: Stiftung Alfred Escher.
«Ja, meine Herren! Unser Alpenland soll der Hochaltar der Freiheit in Europa sein.»

Im September 1848 ereignet sich im monarchistischen Europa Einzigartiges: Inmitten des alten Kontinentes schliesst sich ein loses Bündel von Kantonen zusammen und gibt sich eine bundesstaatliche Verfassung auf demokratischer Basis. Demokratie ist zu diesem Zeitpunkt alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Im Deutschen Bund wird die Märzrevolution niedergeschlagen. In Frankreich gelingt die bürgerliche Februarrevolution zwar, viele […]

«Wo Meinungen vom Mainstream
abweichen dürfen.»
Julia Hänni, Bundesrichterin,
über den «Schweizer Monat»