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Ist nach dem Crash vor dem Crash?

Zehn Prinzipien, die das Finanzsystem vor dem Crash bewahren. Sie gelten übrigens auch für überschuldete Staaten.

1.

Was zerbrechlich ist, sollte gleich zerbrochen werden, solange es noch klein ist. Nichts in der Wirtschaft sollte so gross werden dürfen, dass es zu gross ist, um unterzugehen («too big to fail»). Die Wirtschaftsentwicklung läuft so ab, dass sie jenen mit den grössten verborgenen Risiken – das heisst, den Instabilsten – dazu verhilft, die Grössten zu werden.

2.

Keine Sozialisierung der Verluste und Privatisierung der Gewinne. Was immer staatlicher Rettung bedarf, sollte verstaatlicht werden; alles, was keiner Rettung bedarf, sollte frei, klein und risikotragend sein. Wir haben es hinbekommen, das Schlechteste am Kapitalismus mit dem Schlechtesten am Sozialismus zu verbinden. Im Frankreich der 1980er Jahre übernahmen die Sozialisten die Banken. Nun haben nach der Jahrtausendwende in den Vereinigten Staaten die Banken die Regierung übernommen. Völlig surreal.

3.

Leute, die mit verbundenen Augen am Steuer eines Schulbusses sassen (und ihn an die Wand fuhren), sollten nie wieder einen Bus in die Finger bekommen. Das Wirtschaftsestablishment (Universitäten, Aufsichtsbehörden, Zentralbankiers, Regierungsmitarbeiter und alle möglichen Wirtschaftswissenschafter) hat mit dem Versagen des Systems seine Legitimität eingebüsst. Es ist unverantwortlich und verrückt, nun den Fähigkeiten ebendieser Experten zuzutrauen, einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden. Wir sollten uns stattdessen an kluge Leute halten, deren Hände sauber sind.

4.

Lass niemanden, der an einem Boni-Tropf hängt, an die Verwaltung eines Kernkraftwerks – oder deiner eigenen Finanzrisiken. Man kann sich darauf verlassen, dass er in Sachen Sicherheit jede Kurve schneidet, wenn es darum geht, «Gewinne» auszuweisen, und dabei seinen «Konservatismus» beschwört. Boni tragen den unsichtbaren Risiken eines möglichen grossen Zusammenbruchs keine Rechnung.Und es ist diese Asymmetrie des Bonussystems, die uns in unsere heutige Lage gebracht hat. Kein Zuckerbrot ohne Peitsche, keine Anreize ohne Sanktionen – im Kapitalismus geht es um Belohnung und Bestrafung, nicht bloss um Belohnung.

5.

Einfachheit als Gegengewicht zur Komplexität. Die Komplexität, die die Globalisierung und die hohe Vernetzung des Wirtschaftslebens begleitet, muss durch einfache Finanzprodukte ausgeglichen werden. Die komplexe Ökonomie ist selbst bereits eine Form von Leverage – Leverage der Effi;zienz. Solche Systeme überleben dadurch, dass sie über «Luft» und Redundanz verfügen. Wenn dann Schulden draufgepackt werden, kommt es zu einem wilden, unberechenbaren und gefährlichen Karussell, das keinerlei Raum für Fehler lässt. Der Kapitalismus kann Auswüchse und Blasen nicht verhindern: Aktienblasen (wie im Jahr 2000) erwiesen sich als mild; Schuldenblasen aber sind bösartig.

6.

Gib Kindern kein Dynamit, selbst wenn eine Warnung draufsteht. Komplexe Derivate sollten verboten werden, weil niemand sie versteht und nur wenige vernünftig genug sind, dies auch einzusehen. Bürger müssen hier vor sich selbst geschützt werden, vor Bankern, die ihnen sogenannt «abgesicherte» («hedged») Produkte verkaufen, und vor blauäugigen Aufsichtsbehörden, die auf Wirtschaftstheoretiker hören.

7.

«Vertrauen» sollte nur bei Schneeballsystemen (Ponzi-Systemen) im Spiel sein. Regierungen sollten niemals «Vertrauen wiederherzustellen» haben. Gerüchtekaskaden sind Ausfluss komplexer Systeme. Regierungen können Gerüchte nicht aufhalten. Wir können uns nur helfen, indem wir jederzeit selber in der Lage sind, Gerüchte beiseite zu wischen und ihnen zu widerstehen.

8.

Gib einem Süchtigen nicht einfach mehr Drogen, wenn er an Entzugserscheinungen leidet. Von zu viel Leverage hervorgerufene Probleme mit noch mehr Leverage kurieren zu wollen, ist nicht Homöopathie, sondern Realitätsverweigerung. Die Verschuldungskrise ist kein vorübergehendes Problem, sondern ein strukturelles. Wir müssen in die Rehabilitation.

9.

Bürger sollten für ihre Altersvorsorge nicht von Finanzanlagen oder vom Rat fehlbarer «Experten» abhängen. Das Wirtschaftsleben sollte von der Finanzindustrie abgekoppelt werden. Wir sollten lernen, die Märkte nicht als Lagerhäuser für Wertaufbewahrung zu benutzen – sie weisen nicht jene Sicherheit auf, die normale Bürger brauchen. Bürger sollten sich um ihre eigene Geschäftstätigkeit (die sie selbst kontrollieren) sorgen können und nicht um ihre Investitionen sorgen müssen (die sie nicht kontrollieren).

10.

Benutze zerbrochene Eier zu einer Omelette. Aus dieser Krise lässt sich nicht mit Klittereien wieder herauskommen, genauso wenig wie ein Boot mit morschem Rumpf durch Flickwerk wieder seetüchtig gemacht werden kann. Wir müssen den Schiffskörper neubauen, mit neuem (stärkerem) Material; wir müssen das System neu machen, bevor es dies von sich aus tut. Wir sollten freiwillig zum Kapitalismus 2.0 übergehen – indem wir alles ungehindert zu Bruch gehen lassen, was kaputtgehen muss; indem wir Schulden in Risikokapital umwandeln; indem wir das Ökonomen- und Business-School-Establishment entmachten; indem wir den Wirtschaftsnobelpreis abschaffen; indem wir kreditfinanzierte Firmenübernahmen (leveraged buy-outs) verbieten; indem wir Banker dorthin verweisen, wo sie hingehören; indem wir die Boni von denen zurückfordern, die uns in den Dreck gefahren haben; und indem wir den Leuten beibringen, sich in einer Welt mit weniger Sicherheiten zurechtzufinden.

Dann erleben wir eine Wirtschaft, die unserem biologischen Umfeld eher entspricht: kleinere Unternehmen, eine reichhaltigeres Ökosystem, kein Leverage – eine Welt, in der Unternehmer die Risiken tragen, nicht Bankiers; eine Welt, in der jeden Tag, unbeachtet von den News, Unternehmen zur Welt kommen oder aus ihr verschwinden können.

Mit anderen Worten: einen Ort, der besser gefeit ist gegen schwarze Schwäne und andere Unwahrscheinlichkeiten.

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