Ist es angerichtet?
Europa schmecken und denken
Massen von arbeitslosen Jugendlichen, eine als Spaltpilz wirkende Währung, Schuldensumpf, gestörtes Verhältnis zwischen Paris und Berlin – es ist derzeit ein Leichtes, die Europäische Union als krisenuntaugliches Gebilde zu kritisieren, das irgendwann an den ökonomischen und politischen Realitäten zerschellt. Auch in dieser Zeitschrift wird seit Jahren dezidiert und mit guten Gründen Kritik geübt am intransparenten Machtapparat in Brüssel, verfehlter Top-down-Politik und verführerischem Utopismus. Doch gerade in Zeiten der Krisen sind Kritiker dazu aufgefordert, konstruktive Gegenvorschläge und Gegenentwürfe zum angeblich alternativlosen Weg des Sichdurchwurstelns vorzubringen, statt bloss wohlfeil weiter zu kritteln.
Europa lebt von der Vielfalt der Ideen und Mentalitäten, die sich in ständigem Wettbewerb befinden und den Akzeptanztest immer wieder neu zu bestehen haben. Gerade laden Grossbritanniens Gedankenspiele mit einem Austritt auch die Schweiz ein, sich mit der mithin als Tabu behandelten Frage nach der Zukunft der EU neu zu befassen. Ist ein Rück-, Ab- oder Umbau denkbar? Die neue Ungewissheit bietet eine echte Chance, um über Alternativen zum Status quo nachzudenken, die von bekannten Mustern wie «mehr Europa» oder «weniger Brüssel» abweichen. Es stellt sich ebenso simpel wie grundsätzlich die Frage: Was ist Europa eigentlich? Wie soll es künftig aussehen? Und was steht der Idee eines weiterhin prosperierenden Kontinents im Weg?
Weil Europa nicht nur eine Kopf-, sondern auch eine Bauchfrage ist, tritt Hans Magnus Enzensberger für uns eine kulinarische Tour d’Horizon an und fragt: Was is(s)t Europa? Die Ökonomen Bruno S. Frey, Beat Kappeler, Reiner Eichenberger und David Stadelmann zeigen, wie die EU institutionell anders aussehen könnte. Und der russische Philosoph Michail Ryklin präsentiert eine russische Aussensicht auf den mit sich hadernden Kontinent – und führt vor Augen, dass Vielfalt dort floriert, wo man sie entstehen lässt.
Wir wünschen anregende Lektüre.
Die Redaktion