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Israel ist kein Produkt des  US-Imperialismus
Jeffrey Herf, zvg.

Israel ist kein Produkt des
US-Imperialismus

Gemäss verbreiteter Meinung verdankt der jüdische Staat seine Existenz westlichen Mächten. Tatsächlich genossen die Zionisten zunächst mehr Zuspruch von Linken.

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Ein Grossteil der politischen Welt hat sich mit gewissen Erfindungen arrangiert, die um die Gründung des jüdischen Staates vor 75 Jahren kreisen. Es ist deshalb unabdinglich, die Gegebenheiten jener Ära in Erinnerung zu rufen, als noch heute gebräuchliche Begriffe Bedeutungen hatten, die sich grundlegend von denjenigen unterschieden, die im Kalten Krieg und seither zur gängigen Meinung geworden sind.

Im linken Verständnis jener Jahre meinte «Imperialismus» die Versuche Grossbritanniens, seinen Einfluss im Nahen Osten zu sichern, während die Zionisten, die gerade im britischen Mandatsgebiet Palästina einen jüdischen Staat gründen wollten, für «Antiimperialismus» standen. Die «Antirassisten» jener Jahre waren die Zionisten, die den Antisemitismus bekämpften, während es sich bei den «Rassisten» um das Palestine Arab Higher Committee handelte, das die vermeintliche rassische Homogenität der arabischen Gesellschaften feierte und dessen Führer im Zweiten Weltkrieg und während des Holocausts mit Nazideutschland kollaboriert hatten, sowie um die Islamisten, die aus ihrem Hass auf die Juden als Juden keinerlei Hehl machten.

Kommunisten für Israel

Zwar war der US-amerikanische Zuspruch unter Präsident Harry Truman wichtig für den neuen Staat, folgenreicher war jedoch die Unterstützung durch die Sowjetunion und den Ostblock. Der sowjetische Zionismus zeigte sich zunächst in der Unterstützung der Jewish Agency und dann Israels während der diplomatischen Auseinandersetzungen bei den Vereinten Nationen, in der Unterstützung der jüdischen Auswanderung aus Europa in das vorstaatliche Palästina sowie in der Entscheidung der kommunistischen Tschechoslowakei, sich über das von den USA und Grossbritannien initiierte UNO-Waffenembargo hinwegzusetzen und den Juden während des Krieges 1948 Waffen zu schicken, als diese am dringendsten auf solche Lieferungen angewiesen waren.

Israel war kein Produkt des «US-Imperialismus». Ganz im Gegenteil: Das zionistische Vorhaben wurde von leitenden Figuren des State Departments wie Aussenminister George Marshall und dem Planungschef im Aussenministerium, George Kennan, vehement bekämpft. Wie die gesamte Führungsebene im Bereich der nationalen Sicherheit sahen auch sie in der Gründung Israels eine Bedrohung für den Nahen Osten und einen Schlag gegen die ­gerade Gestalt annehmende Politik der Eindämmung des Kommunismus in Europa. In den Vereinigten Staaten ­waren es linke Politiker und Journalisten, in Frankreich ­Sozialisten, Kommunisten und gaullistische Veteranen der Résistance, die das zionistische Projekt als Teil einer weitaus grösseren und globalen Revolte begriffen, die sich zum einen gegen den Kolonialismus richtete und zum anderen die antinazistische und antifaschistische Stimmung nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Holocaust logisch fortführte.

Damals versuchten Linke in den Vereinigten Staaten, Haj Amin al-Husseini, den Grossmufti von Jerusalem, wegen seiner Rolle in der Verbreitung von Propaganda für das Naziregime vor Gericht zu bringen, scheiterten damit jedoch. Zu diesem Zeitpunkt waren der Hass, den der Mufti gegen Juden hegte, und seine Kollaboration mit den Nazis ein öffentlicher Belang. Zwischen Mai 1945 und Juni 1946 hielt ihn Frankreichs Regierung unter Hausarrest. Das Fehlen einer einflussreichen jüdischen Instanz in der Politik sowie die Inexistenz eines souveränen Staates zeigte sich in der Weigerung der Siegermächte, den Mufti vor Gericht zu bringen, obwohl seine Kollaboration mit Nazideutschland umfangreich dokumentiert war. Um gute Beziehung zu den arabischen Ländern bemüht, verweigerte Frankreich die Bitten um Auslieferung al-Husseinis nach Grossbritannien und schickte ihn auch nicht nach Nürnberg, wo ihm der Prozess hätte gemacht werden können. Stattdessen konnte er in den Nahen Osten zurückkehren und zum Anführer der palästinensischen Araber werden, wofür er noch nicht einmal vortäuschen musste, von seiner Verachtung der Juden abzulassen, die er während des Holocausts über die Radiogeräte Nazideutschlands verbreiten konnte.

Skepsis in Washington und London

Während das zionistische Projekt unter Linken und Linksradikalen im Westen und im Ostblock Unterstützung fand, stiess es im angloamerikanischen nationalen Sicherheitsapparat auf Misstrauen und auf Widerstand. Beständig zog sich die Assoziation jüdischer Flüchtlinge mit kommunistischer Unterwanderung des Nahen Ostens durch die Berichterstattung der britischen und amerikanischen Geheimdienste. In den Machtzentralen in London und Washington verstärkten antikommunistische Argumente den Widerstand gegen das zionistische Projekt, da die dortigen Wortführer mutmassten, der neue jüdische Staat würde die sowjetische Expansion im Nahen Osten stärken. Im September 1947 versicherte George Marshall seinem britischen Kollegen Ernst Bevin, dass der «wesentliche Grundpfeiler unseres Denkens [des Aussenministeriums, A.d.A.] die Aufrechterhaltung der britischen Stellung im Nahen Osten unter grösstmöglicher Ausdehnung» sei. Der Anspruch der Zionisten, die britische Präsenz in Palästina durch einen unabhängigen jüdischen Staat zu beenden, bedrohte genau diesen «Grundpfeiler».

Nachdem eine Zweidrittelmehrheit in den Vereinten Nationen für die Teilungsresolution vom 29. November 1947 gestimmt hatte, versuchte die Führung des Aussen­ministeriums, das Resultat zu unterminieren oder zu revidieren. Im Januar 1948 schrieb George Kennan, der sich auch als Urheber bekannter diplomatischer Notizen zur Eindämmung des Kommunismus hervortat, dass die Unterstützung des UNO-Teilungsplans zur Schaffung eines arabischen und eines jüdischen Staates den amerikanischen Interessen in der Region schade und angesichts gefährdeter Ölströme nach Europa «den Erfolg des Marshallplans ernsthaft bedrohen» würde. Zudem «profitiert die UdSSR vom Teilungsplan, wenn er gewaltsam umgesetzt wird, da er es den Russen ermöglicht, bei der ‹Aufrechterhaltung der Ordnung› in Palästina mitzuhelfen. Sollten sowjetische Truppen zum Zwecke der Teilung in Palästina stationiert werden, hätten kommunistische Agenten eine ausgezeichnete Basis, von der aus sie ihre subversiven Aktivitäten ausbauen, Propaganda betreiben und versuchen könnten, die gegenwärtigen arabischen Regierungen durch ‹demokratische Volksregierungen› zu ersetzen.» Er schlussfolgerte, dass «unsere zentralen Interessen in diesen Gebieten in dem Masse, in dem wir die Teilung unterstützen, weiterhin negativ beeinflusst werden». Der intellektuelle Architekt der Eindämmungspolitik argumentierte also, dass das zionistische Projekt das wesentliche aussenpolitische Ziel der Vereinigten Staaten untergraben würde.

Die sowjetische Abkehr

Ende 1949 änderte Stalin seinen Kurs und leitete einen vier Jahrzehnte andauernden Ostblock-Antizionismus ein. Das US-amerikanische Bündnis mit Israel begann erst nach dem Sechstagekrieg von 1967, als die Vereinigten Staaten begriffen, dass Israel eher ein Gewinn denn eine Bürde für die Förderung ihrer Nationalinteressen sein würde. Zwischen 1948 und 1967 war Israels Allianz mit Frankreich und nicht mit den Vereinigten Staaten das wichtigste, ja sogar das einzige Bündnis des jüdischen Staates, dessen Partner Bereitschaft zeigte, nicht nur rhetorische oder diplomatische Unterstützung anzubieten, sondern auch erhebliche militärische Hilfe zu leisten.

All diese Gegebenheiten des israelischen Gründungsmoments verschwanden im Kalten Krieg und in dessen Folge aus dem internationalen Gedächtnis. Allzu oft wurde ihr Platz durch Erfindungen besetzt, die von immenser jüdischer Macht und westlicher imperialistischer Unterstützung raunten – Verzerrungen, die zum Standardrepertoire der sowjetischen, der palästinensischen wie der linken antizionistischen Propaganda im Westen wurden. Tatsächlich war es eine Gruppe säkularer, moderner Juden, die die Errichtung des Staates Israel ermöglicht hatte, wofür diese Leib und Leben riskiert hatten, indem sie in der kurzen Ära des Ostblock-Zionismus diese flüchtige Gelegenheit sowie die moralische Unterstützung des Präsidenten der Vereinigten Staaten beim Schopfe packten. Die Stimmung im aufkommenden Kalten Krieg und dessen jeweilige In­teressen arbeiteten gegen das zionistische Projekt, nicht zu seinen Gunsten.

Für das jüdische Volk und für all jene, die vom allgemeinen Geist der Freiheit erfüllt waren, der mit dem Sieg über den Nationalsozialismus und Faschismus einherging, war die Gründung des jüdischen Staates im Jahr 1948 Anlass für Stolz und Freude. In diesen Tagen der Unruhe in Israel ist es wichtig, auch an den Säkularismus, an die ­Modernität und an das Bekenntnis zu demokratischen Prinzipien der zionistischen Generation zu erinnern, die 1948 für die Unabhängigkeit Israels gekämpft und diese auch gewonnen hat.

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