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Intellektuelle Schwerathletik

Am Anfang stand eine kleine, aber nachwirkende Demütigung. Als wir vor einiger Zeit zu zweit für ein Interview mit Didier Sornette in dessen Büro antrabten, roch es streng, als hätte eben jemand Sport getrieben. Den Kraftgeräten, die im Büro herumstanden, schenkten wir zunächst keine Aufmerksamkeit. Sornette, adrett gekleidet in Hemd und Jeans, empfing uns freundlich, […]

Am Anfang stand eine kleine, aber nachwirkende Demütigung. Als wir vor einiger Zeit zu zweit für ein Interview mit Didier Sornette in dessen Büro antrabten, roch es streng, als hätte eben jemand Sport getrieben. Den Kraftgeräten, die im Büro herumstanden, schenkten wir zunächst keine Aufmerksamkeit. Sornette, adrett gekleidet in Hemd und Jeans, empfing uns freundlich, duzte uns sogleich und hielt uns eine Schachtel Pralinen hin. Erst im Laufe des Interviews wurde uns klar: Sornette selbst isst keine Pralinen, sondern entsorgt sie, indem er sie seinen Gästen mit einem Strahlen im Gesicht anbietet. Dafür isst er viel Gemüse und Früchte und jagt alle paar Stunden seinen Puls auf 150 Schläge pro Minute hoch, auch während seiner Schreib- und Lektürearbeit – mit dem alleinigen Zweck, seine Gehirnleistung zu steigern.

Die ganze Szenerie wirkte leicht skurril. Aber als wir uns am Ende des Gesprächs mit dem ETH-Professor in Klimmzügen massen, zeigte er uns den Meister. Wie er uns versicherte, reichten ihm dafür 15 Minuten Training pro Tag. Wirklich? Und so kam er unserer Bitte nach und verfasste seinen ersten grossen Essay für den «Monat», über die Macht des Schlafens, die Kunst der guten Ernährung, das Leben als Dauerübung, eine Mischung aus den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Grossmutters bewährten Rezepten. Der nachhallende Titel: «Du kannst dein Leben steigern».

Ein Teil der Redaktion begann sich also mit Ernährung, Muskelaufbau und Krafttraining zu beschäftigen. Sornette zitierte in seinem Essay die Schriften des amerikanischen Ökonomen Arthur De Vany, dessen Aufsätze fortan zu unserer Pflichtlektüre gehörten. De Vanys evolutionäre Anthropologie beruht auf der Grundthese, dass die körperliche Vernunft des Menschen am besten in der unvorhersehbaren, ständig variierenden Umgebung des Jägers und Sammlers funktioniere. Konkret bedeutet dies, dass wir gut daran tun, uns immer wieder selbst zu überraschen – durch hohe Intensität in der Aktivphase und lange Pausen, durch unregelmässige Mahlzeiten und kleine Fastenzeiten, das ganze unter Ausschluss der Einnahme neuerer Arten von Kohlenhydraten.

Einige Redaktionsmitglieder pflegen einen spielerischen Umgang mit De Vanys Erkenntnissen (oder Einbildungen); andere nerven sich daran, wenn sich beim Essen auch gesprächsweise alles ums Essen dreht. Was mich betrifft, so muss ich sagen: Ich fühle mich definitiv besser und altere gelassener, seit ich mich bewusst ernähre und bewege. Und mir gefällt die Idee, die dahinter steckt: Denken und Schreiben ist richtig schöne, ist richtig krasse Schwerathletik!

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