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In Schwamendingen mit einer Schweizerin

Susann Sitzler: «Vorstadt Avantgarde. Details aus Zürich-Schwamendingen». Zürich: Limmat, 2007.

Alltag ist höchst subjektiv, heisst es an einer Stelle von «Vorstadt Avantgarde». Höchst subjektiv wird auch diese Besprechung. Die Schweizer Journalistin Susann Sitzler, die eigentlich in Berlin lebt, verbrachte im Frühjahr 2006 drei Monate in Schwamendingen. Aus diesem Aufenthalt sollte ein Buch werden, das dem in Verruf geratenen Quartier gerecht wird. Schwamendingen – Ausländerghetto? Bünzlitown? Bauerndorf? Sitzler fragte nach, und Stefan Altenburger steuerte auf besondere Art und Weise glänzende Fotografien bei. Schwamendingen also. Offenbar ein beredtes Wort, für mich bloss ein wohlklingendes. Ich wohne in Wien, nach Zürich sind es zehn Zugstunden. Ausserdem trennt mich die Medienlandschaft und eine Landesgrenze vor internschweizerischem Basiswissen. Bin ich also unwürdig, diese «Details aus Zürich-Schwamendingen» zu besprechen? Nein. Was mich als Rezensent für dieses Buch qualifiziert, steht schon im Vorwort, nämlich, dass die meisten Leute in der Schweiz noch nie in Schwamendingen gewesen seien.

Sitzler geht behutsam vor, doch verleugnet sie sich nie. In den Fliesstext montiert sie mitunter scharf formulierte Tagebucheinträge. Der Wille, dem Quartier etwas Gutes zu tun, ist an manchen Stellen herauszulesen, doch im ganzen verschweigt Sitzler nichts, sondern ist sichtlich um Objektivität bemüht. Sie hat fleissig recherchiert, fährt mit Daten auf und analysiert sachlich. Dennoch ist den Schilderungen von Begegnungen mitunter anzumerken, wie sehr sich die Interviewerin zusammenreissen musste, um nicht aus der Rolle zu fallen. Vieles in Schwamendingen sei auf kleine, bescheidene Bedürfnisse ausgerichtet, aber: «Nichts ist so unsexy wie kleine, bescheidene Bedürfnisse.» Doch Sitzler überlässt es den Lesern, sich ein Bild über den längst vorverurteilten Stadtteil und die von ihr befragten Einwohner zu machen. Sie zeichnet einerseits ein schillerndes, andererseits ein von unübersehbaren Grautönen geprägtes Gemälde. Eines, das nicht in das Wohnzimmer vergangenheitsorientierter Schweizer passt, sehr wohl aber in eine immer schneller sich verändernde und weiterentwickelnde Gesellschaft. «Schwamendingen» steht daher nicht nur für den Kreis 12, sondern gewissermassen für die Schweiz an sich: «Reinhards Schwager kommt von den Philippinen. Als er zum ersten Mal in Schwamendingen war, sagt er: ‹Die Schweiz muss ein totes Land sein. Überall sind Wiesen, und nirgends sieht man darauf einen Menschen. Warum ist das wohl so? Warum nutzt niemand diese weitläufigen, allgemein zugänglichen Rasenflächen zwischen den Genossenschaftshäusern?› ‹Vielleicht ist das eine schweizerische Eigenart›, meint Reinhard.» Sitzler ist der Ansicht, dass das ganze Land von Schwamendingen profitiere, da man hier erkennen könne, was einen störe am Leben in der Schweiz. Es sei gut, dass die Schweiz Schwamendingen habe. Und es ist gut, dass nicht nur Schwamendingen dieses Buch hat.

vorgestellt von Markus Köhle, Wien

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