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In Nöten mit der Liebe

Wer würde schon Einspruch erheben, wenn im Titel eines Buches, das «Liebesgeschichten» verspricht, von «Glück» die Rede ist? Denn wer würde das Hochstimmungspaar Liebe und Glück auseinanderdividieren wollen – wenigstens zu Beginn der Geschichten? Und wer schaut deshalb nicht zweimal auf den Titel des neuen «Liebesgeschichten»-Buches von Adolf Muschg, der da heisst: «Wenn es ein […]

Wer würde schon Einspruch erheben, wenn im Titel eines Buches, das «Liebesgeschichten» verspricht, von «Glück» die Rede ist? Denn wer würde das Hochstimmungspaar Liebe und Glück auseinanderdividieren wollen – wenigstens zu Beginn der Geschichten? Und wer schaut deshalb nicht zweimal auf den Titel des neuen «Liebesgeschichten»-Buches von Adolf Muschg, der da heisst: «Wenn es ein Glück ist»?

Wer Adolf Muschgs Werk kennt, weiss, dass das Liebesglück seinen Figuren kaum widerfährt. Zarte Wohlgefühle, lichte Momente oder jenes Geborgensein, das dem Urvertrauen entwächst – es sind Lebenselixiere, die ihnen nicht zugehören. Und wenn, dann wissen sie nicht, wohin damit. Was ihr Leben begleitet, ist das gesamte Arsenal menschlichen Elends. Adolf Muschg quält sein Personal mit Verrat und Verlassenwerden, mit Inzest, Behinderung, Krankheit und Tod durch Gewaltanwendung – eigener oder fremder. Nun hat der Autor eine Auswahl getroffen und 23 seiner «Liebesgeschichten», entstanden zwischen 1964 und 2002, in einem Band gesammelt. So, dass eine geballte Ladung an Schrecken nochmals nachzulesen ist – ein Stück Literatur sempre fortissimo.

«Diskant», eine Mutter-Sohn-Erzählung aus dem Jahr 1976, ist eine Ausnahme, nicht in der Thematik, aber im Ton. Sie schreitet ruhig fort, gelangt einstimmig von Satz zu Satz, lässt Raum zum Atemholen, so, dass man dem Sohn, der sich seiner altersstarrköpfigen Mutter zu erwehren sucht, auf den Fersen bleibt und Erfolg wünscht… Die Gegengeschichte «Bass» (1977) ist eine der vielen Wurzelgeschichten – eine Handlung mit vielen Verästelungen, deren Sprache man zwar bestaunt, die man sich aber entschlackter wünschte. So auch in der 1984 entstandenen Erzählung «Orka, der Geograf». August Killer, wie er eigentlich heisst – Orka ist sein Übername –, verstummt mehr und mehr: «Vielleicht war er ein wenig schützenswert. Aber davon sprach er nicht. Wenn die andern so etwas nicht spürten, dann ist ihnen auch nicht zu helfen, wenn man es ihnen sagt.» Orka schweigt und leidet, doch die Stille, die ihn umgibt, das Stammeln und Nichtmehrweiterkönnen, ist in der Erzählung abwesend. Die Leerstellen sind mit bewundernswerter rhetorischer Brillanz gefüllt, mit gelehrter Eloquenz – mit einem Willen, jeden Gedanken, jedes Wort unter Kontrolle zu haben.

«Da gibt es Stellen, die hast du unterschlagen», sagen die Enkel in einer Geschichte zu ihrem Grossvater. Vielleicht meinen sie die totenstillen Abgrundstellen, die entstehen, wenn es einem die Sprache verschlägt – kurz bevor der Schmerz hervorbricht. In seiner Frankfurter Poetikvorlesung sagte Adolf Muschg: «…denn schöne Sätze lassen sich natürlich als Panzerung verstehen…» Schönheit als Panzerung gegen die Leerstellen, da, wo sich das Eigentliche, das Existentielle ereignet?

Wem es die Sprache verschlägt – vor Glück oder vor Unglück, sagt keine schönen Sätze. Auch keine lauten. Der ist dort getroffen, wo die Kontrolle versagt. Wo alles erstmal ins pianissimo kippt.

vorgestellt von Silvia Hess, Ennetbaden

Adolf Muschg: «Wenn es ein Glück ist». Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2008.

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