In Mundart quer durch die Evangelien
«Nach den vier Evangelien» gearbeitet zu sein, beansprucht Hansjörg Schneiders Dialektstück «Jesus und die drei Mareien», das bis zum 22. März während dreieinhalb Monaten in der Luzerner Mariahilf-Kirche zu sehen war. Der Untertitel verweist auf ein erstaunlich legeres Verhältnis des vor allem seiner Hunkeler-Krimis wegen beliebten Autors zur Eigentümlichkeit der Quellen. Gleich im ersten Satz […]
«Nach den vier Evangelien» gearbeitet zu sein, beansprucht Hansjörg Schneiders Dialektstück «Jesus und die drei Mareien», das bis zum 22. März während dreieinhalb Monaten in der Luzerner Mariahilf-Kirche zu sehen war. Der Untertitel verweist auf ein erstaunlich legeres Verhältnis des vor allem seiner Hunkeler-Krimis wegen beliebten Autors zur Eigentümlichkeit der Quellen. Gleich im ersten Satz des knappen «Vorworts» wird das Missverständnis noch deutlicher: «Die vier Evangelien sind glänzend geschriebene Reportagen…» Was die Wissenschaft seit Albert Schweitzers «Geschichte der Leben-Jesu-Forschung» über die Strukturen neutestamentlicher Überlieferung zutage gefördert hat, scheint nicht bis zu Schneider vorgedrungen zu sein. Statt dessen tut er so, als könne man heute noch den arglosen Historisten mimen, der Stellen aus den Synoptikern und Johannes umstandslos ineinander montiert, sie teilweise neu arrangiert und kräftigst mit eigenen Ausschmückungen versetzt.
Schneiders hermeneutische Lässigkeit hat nicht nur dramaturgische, sondern auch inhaltliche Konsequenzen. In unvorteilhafter Konfrontation mit Sokrates erscheint Jesus in dem durch einen Erzähler verknüpften Bilderbogen schlicht als jemand, der «doziert» und «behauptet», «Monologe» führt und «nicht zum Nachdenken» auffordert, «sondern zum Glauben». Gleichwohl gibt der Autor seinen Respekt zu Protokoll. «Jesus Christus» sei «auch dann noch eine grossartige Figur, wenn man ihn als gewöhnlichen Menschen betrachtet», und dies nachgerade in seinen Qualitäten als «Rebell» gegen verkrustete Ordnungen. Ein schrecklicher Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen. Eben weil Schneider es herzlich gut mit Jesus meint, bricht er ihn auf das Niveau des aufgeklärt Kompatiblen herunter. Eine Provokation ist das längst nicht mehr, eher bedient er damit munter den Massengeschmack.
Gegen eine mögliche Andersheit des Mannes aus Nazareth schottet der Autor sich ab. Folgerichtig bedarf Jesus der Ergänzung durch das Trio der (einem Kindergedicht entlehnten) Mareien. Die archaischen Muttergöttinnen fungieren zugleich als Sprachrohre heutiger Korrektheit. Das Erotische vernachlässige er, halten sie ihm vor, auch den Humor, überhaupt all das, was er haben sollte, um so zu sein, wie wir ihn uns wünschen. Zuviel Geist, zu wenig Natur, lautet die Diagnose, etwas zu weltfremd, will heissen: jenseits «vom richtige Läbe». Sein Bestehen auf gültigen Wahrheiten macht ihn zum «Fanatiker». Und auch an der Rede vom Heulen und Zähneklappern nehmen wir Anstoss. Kein Wunder, dass das Stück immer wieder ins allzu Eingängige, ja Banale abgleitet. Fast Szene um Szene könnte man auf Beispiele hin durchgehen, wie spirituelle Dimensionen getilgt werden. Auf ein «S´het öpper gredt» schrumpft die Logos-Theologie des Johannes-Prologs zusammen. In der Geburtsgeschichte muss Joseph als nölender Pflegevater wider Willen die Comedy-Figur geben. Hanebüchen wird das Verhältnis Jesu zur jüdischen Tradition traktiert. Was «bim Moses» steht, hält der 12jährige im Tempel kurzerhand für «alte Chabis».
Hier wäre auch einiges zum Gebrauch der von Drastik und Saloppheiten durchsetzten Mundart zu bemerken. Nicht nur in den Kritiken, die vom Veranstalter ins Netz gestellt wurden – und die diesen Namen ebensowenig verdienen wie zwei dem Buch als Anhang beigegebene hymnische Stimmen –, preist man allgemein eine elementare Kraft des Alltagsidioms. «Schweizerdeutsch ist so unverbraucht frisch und passt hervorragend zur einfachen Sprache der Evangelien», gibt Schneider selbst in einem Interview das Thema vor: «In dieser ganz anderen Tonart kommt die Frohe Botschaft ganz neu und lebendig daher.» Teilweise mag das ja so sein. Anderseits könnte damit vielleicht aber auch nur eine trügerische Vertrautheit erschlichen werden. «Nid nome a di dänke, sondern au a di andere.» Will man etwa von dieser Formulierung des Gebots zur Nächstenliebe ernsthaft behaupten, sie sei «unverbraucht frisch» und verleihe ihm mehr Authentizität oder Glaubwürdigkeit? Angesichts der Herausforderungen des Verstehens, vor die uns die Evangelien und ihre Auslegungsgeschichte stellen, ist das blosse Ausweichen in eine vermeintlich treffsichere Regionalsprache recht blauäugig.
Übrigens enthält das Stück durchaus beeindruckende Sequenzen. Dafür sind die Vorlagen eben doch zu stark – einschliesslich der Verse über die Vergänglichkeit des Menschen aus dem 144. Psalm, die als Epilog nachgestellt sind.
vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Münster
Hansjörg Schneider: «Jesus und die drei Mareien. Nach den vier Evangelien. Theaterstück in Schweizerdeutsch». Zürich: Ammann, 2007.