«In handwerklichen Berufen wird man niemals arbeitslos»
An der Vernissage der neuen «Q»-Ausgabe sprach Philipp Müller über seinen unorthodoxen Werdegang vom Tourenwagenfahrer und Gipser zum Unternehmer und FDP-Präsident – und über die Bedeutung und Zukunft des Handwerks.

Wussten Sie, dass Philipp Müller in jungen Jahren als «Vagabund» durch die Welt zog und en passant Europameister im Tourenwagenfahren wurde? Nach der Bezirksschule im Aargau verschlug es ihn zunächst in die Westschweiz. Eigentlich wollte er Confiseur werden, merkte jedoch bald, dass ihm das frühe Aufstehen nicht lag. Später führte ihn sein Weg auch in die USA. Parallel dazu war er 26 Jahre lang im Motorsport aktiv, zehn davon als Halbprofi.
Anlässlich der Vernissage der brandneuen «Q»-Ausgabe des Schweizer Monat sprach der ehemalige FDP-Präsident in der Grande Société in Bern über seine Erfahrungen als gelernter Gipser – und über die Zukunft des Handwerks in der Schweiz. Moderiert wurde das Gespräch von Lukas Leuzinger, dem stellvertretenden Chefredaktor der Zeitschrift.
Müller blickt auf eine bewegte Vita zurück: Nach seiner Ausbildung zum Gipser und Stuckateur übernahm er das Unternehmen seiner Familie (das er bis heute führt) und wirkte in verschiedenen politischen Ämtern – als Grossrat, Nationalrat und Ständerat. Von 2012 bis 2016 präsidierte er die FDP Schweiz.
Auf die Frage von Leuzinger, welche Rolle ihm am meisten bedeutete, nennt Müller nicht die Politik, sondern die Jahre nach der Schule: seine Zeit als Reisender, als «Vagabund». Diese Erfahrungen haben seine Ausbildung entscheidend ergänzt und waren mindestens so prägend wie die obligatorische Bildung selbst. Als Vagabund lerne man soziale Intelligenz und Durchsetzungsfähigkeit – Fähigkeiten, die ihm später in der Politik in Bundesbern zugutekamen. Dabei habe er auch Französisch gelernt, was er für die politische Schlagkraft eines Schweizer Politikers unverzichtbar hält.
Ende 2019 zog Müller nach 16 Jahren – nicht abgewählt, sondern aus freien Stücken – einen Schlussstrich unter seine politische Laufbahn. Ein Grund dafür war die zunehmend ausufernde Kommissionsarbeit: Die Dossiers sind immer dicker geworden, oft ergänzt mit unnötigen Details, und das habe ihm den Spass verleidet. Als liberaler Parlamentarier in Bundesbern bleibe die dringlichste Aufgabe, «Unsinn zu verhindern».
Warum ist er denn überhaupt Handwerker geworden? Müller erzählt mit einem Schmunzeln, sein Vater habe ihm ein Auto in Aussicht gestellt, wenn er den Gipser-Beruf erlerne – und er habe diese «Bestechung» damals angenommen. Dass die Digitalisierung das Handwerk obsolet machen könnte, glaubt er nicht. Zwar raten viele Eltern ihren Kindern oft von einer nichtakademischen Laufbahn ab, doch für Müller steht fest: «In handwerklichen Berufen wird man niemals arbeitslos.»
Auf die Frage, ob die Schweiz in Bildung und Forschung gut aufgestellt sei, antwortet Müller mit einem klaren Ja – «aber der Status quo muss verteidigt werden». Vor allem die Berufslehre brauche viel mehr Wertschätzung. «Ein Handwerker ist kein Abgestürzter, der zu dumm für eine akademische Karriere ist», betont er. Denkbar sei, handwerkliche Ausbildungen mit Titeln aufzuwerten, ähnlich wie Bachelor- oder Master-Abschlüsse. Auch monetär müsse das Handwerk stärker honoriert werden. «Ein Haus ist heute ein gemauerter Computer», sagt Müller – und wer es instand hält, brauche enormes Fachwissen. Viele unterschätzten etwa, was ein Hauswart tatsächlich täglich leiste, und was es dafür brauche.
Zum Schluss richtet er als ehemaliger Präsident der Freisinnigen einen Appell an die neue FDP-Führung: «Habt Freude! Zeigt Emotionen!» Humor, Begeisterung, auch Zorn seien in der Politik unverzichtbar. (Michael Straumann)