In dubio pro libertate?
Acht Jahre lang leisteten Gerhard Schwarz und Claudia Wirz in der NZZ publizistisch Gegensteuer gegen den überbordenden Staat. Nun ist ein Best-of ihrer Kolumnen als Buch erschienen.
«Natürlich ist der Mensch fehlbar, und die menschliche Vernunft wird vermutlich überschätzt. Aber das ist noch lange nicht ein hinreichender Grund für staatstragende Dauerbelehrungen, ganz im Gegenteil.» Diese Worte schrieb Claudia Wirz in einer der unzähligen Kolumnen, die sie zusammen mit Gerhard Schwarz unter dem Titel «Schwarz und Wirz» in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb.
Woche für Woche kommentierten die beiden publizistischen Urgesteine das politische Zeitgeschehen auf pointierte Weise. Im Fokus ihrer Beiträge stand vorwiegend der Schweizer Staat, der allmählich auszuufern drohe – sei es durch Bürokratisierung, Zentralisierung, Überregulierung oder Paternalismus. Aber auch andere gesellschaftspolitische Fehlentwicklungen wurden von ihnen mit der Schreibfeder kritisch begleitet.
Ihre Kolumne erschien von 2016 bis März 2024. Von den 400 Artikeln sind nun 101 in einem neuen Band erschienen, der den Titel «Weder lechts noch rinks» trägt – eine Anlehnung an ein Gedicht des Wiener Dichters Ernst Jandl.
In einer 2023 veröffentlichten Kolumne «Ist die Linke noch links?» hinterfragt Schwarz, ob die heutige Linke noch substantiell etwas mit der alten zu tun habe. Während die alte Linke die Interessen der Arbeiter vertreten hätte und sich noch fortschrittsgläubig zeigte, kümmere sich die heutige lediglich um die Anliegen von Minderheitengruppen und gehe «Weltuntergangspropheten» auf den Leim.
Wirz kritisiert in ihrem Beitrag «Gendern im Betrieb» (2022) die Gendersprache als ein «von oben diktiertes, pseudoreligiös betriebenes kollektivistisches Programm, das jeden Satz zum Gesinnungstest» mache und «Unangepasste unter sozialen Druck» setze. Es sei nicht die Aufgabe von Firmen, die Kunden und Angestellten politisch zu erziehen.
Das Unbehagen über die zunehmend in die Defensive geratene Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Kolumnen. Zuweilen offenbart Schwarz allerdings ein eigentümliches Verständnis von Freiheit. Während der Zeit des Corona-Notstands wies seine sonst erzliberale Sicht blinde Flecken in puncto Grundrechte auf. Im August 2021 forderte er die 1G- beziehungsweise 2G-Regel, mit der Ungeimpfte weiterhin Einschränkungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben erfahren sollten.
Gerade in einem Ausnahmezustand, in dem der Staat mit einer Fülle von Kompetenzen ausgestattet ist, hätten liberale Exponenten wie Schwarz im Sinne der Grundrechte publizistisch Gegensteuer geben müssen. Damals ging er als wichtige Stimme der NZZ nicht auf die Barrikaden, sondern befürwortete den staatlichen Paternalismus, den er sonst immer stark kritisiert. Bezeichnenderweise hat die Kolumne vom August 2021 nicht den Weg ins Buch gefunden. (ms)