In diesem Wahlkampf ist alles noch verrückter
Während manche ihren politischen Gegner verspotten, wünschen ihm andere den Tod. Eindrücke aus einer dysfunktionalen Demokratie.
Wir kommen Ende Juni in den USA an, und schon geht es politisch drunter und drüber. Zunächst liefern sich Joe Biden und Donald Trump eine denkwürdige Fernsehdebatte, die den geistigen Verfall des Präsidenten schonungslos offenlegt. Es folgt das Attentat auf Trump, und unmittelbar nach unserer Rückkehr zieht Joe Biden seine Kandidatur zurück. Verrückte Zeiten in der amerikanischen Politik.
Bei der konservativen Texas Public Policy Foundation in Austin sieht man der Debatte siegessicher entgegen. Sie wird auf einem grossen LED-Screen zwischen einer US-Flagge und einer Texas-Flagge übertragen. Die Zuschauer sitzen im Halbrund auf gepolsterten Sesseln in blauem Velours. Das Publikum ist mittleren Alters, aber auch einige Junge sind dabei.
«The Honorable» Chuck DeVore, ein ehemaliger republikanischer Abgeordneter in Kalifornien, führt mit einem Gedicht ins Programm ein, das er extra für diesen Anlass geschrieben habe. Es heisst «Adderal and Alcohol» und macht sich vor allem über die schwindenden Geisteskräfte von Biden lustig. In der Einleitung zur Debatte sagt DeVore, die Debatte sei ein Test, um zu schauen, ob der Präsident fit sei für das Amt. Falls nicht, könnten die Demokraten Biden dazu zwingen, nicht anzutreten. Seine Worte erweisen sich als prophetisch.
Während Biden sehr undeutlich spricht und äusserst nervös ist, tritt Trump cool und reserviert auf. Auf die Fragen gehen beide Kontrahenten kaum ein. Trump weicht aus und lügt am Laufmeter. Biden verliert sich immer wieder und weiss zuweilen selbst nicht, worüber er spricht.
Unzufriedenheit auf beiden Seiten
1500 Kilometer entfernt, in Chicago, herrscht Konsternation. Hier trifft sich eine Gruppe von politisch Interessierten aus beiden Lagern, die sich regelmässig austauschen, um die tiefen Gräben zu überbrücken. Nach der 90-minütigen Show, die sie gemeinsam verfolgen, sind beide Seiten nicht wirklich glücklich. Sie werde immer noch für Biden stimmen, um Trump zu verhindern, sagt Mina, eine Sympathisantin der Demokraten. «Aber das war desaströs.» Mit den Kandidaten, die zur Auswahl stehen, ist eigentlich niemand zufrieden. Manche liebäugeln damit, den chancenlosen Robert F. Kennedy zu wählen. «Wenn er genug Stimmen holt, gibt es vielleicht eine Reform des politischen Systems», hofft Sean. Das Interesse an der schweizerischen Demokratie ist an diesem Abend jedenfalls gross.
Rund zwei Wochen später erreicht uns die Nachricht vom Attentat auf Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania. Die Nachricht ist ein Schock, der die Dynamik des Wahlkampfs schlagartig ändert. Im persönlichen Gespräch sagen mehrere Sympathisanten der Demokraten nur halb im Scherz, es sei schade, dass der Täter lediglich Trumps Ohr getroffen habe.
«Im persönlichen Gespräch sagen mehrere Sympathisanten der
Demokraten nur halb im Scherz, es sei schade, dass der Täter
lediglich Trumps Ohr getroffen habe.»
Die Jungen sind desillusioniert
Die meisten Leute sind allerdings weder feurige Trump-Hasser noch begeisterte Fans, sondern eher ernüchtert bis frustriert über den Zustand der Politik. In New Glarus, das von Schweizer Einwanderern gegründet worden ist, reden drei Alphornspieler nach einem Auftritt miteinander. Auf die Frage, was sie über die Wahlen denken, antwortet einer von ihnen: «Wir versuchen, nicht zu viel darüber nachzudenken.» Er könne weder mit Trump noch mit Biden etwas anfangen. «Gemäss Verfassung muss man mindestens 35 Jahre alt sein, um Präsident zu werden. Aber warum gibt es keine Obergrenze?» Einige Wochen später hat Joe Biden ein Einsehen und nimmt sich aus dem Rennen, um den Weg für seine Vizepräsidentin Kamala Harris freizumachen. Mit 59 Jahren ist sie im Vergleich zum 81-jährigen Biden und zum 78-jährigen Trump geradezu eine jugendliche Kraft.
Gemäss einer aktuellen Umfrage der Harvard University unter jungen Wählern sind nur gerade 3 Prozent von ihnen der Meinung, in einer gesunden Demokratie zu leben – der Anteil liegt damit nur knapp über dem statistischen Fehlerbereich. Das politische System der USA wirkt in diesem Wahlkampf so dysfunktional wie noch nie.