In die Mitte der Vermittler
Vielfalt statt Einigkeit: Gedanken zur Schweizer Medienlandschaft
In medias res: zum Kern der Sache, in die Mitte der Dinge hinein, ohne Umschweife, direkt. Horaz gebrauchte die Wendung in seiner «Ars poetica», um Homers «Illias» zu loben, und formulierte damit zugleich das Credo journalistischen Schreibens, damals wie heute. Printmedien sind die Mitte zwischen Information und Leser, und sie nehmen ihre Aufgabe als Vermittler wahr, indem sie zum Kern der Sache vorstossen.
So müsste es jedenfalls sein. In der Empörungs- und Unterhaltungsgesellschaft fokussieren die Medien jedoch mit Vorliebe und immer lieber auf nebensächliche Dinge, auf Personen, Gesichter, News, Banalitäten. Die Medien sind selbst emotional ergriffen, und sie schauen nicht mehr genau hin. Halten wir kurz Rückblick:
Die Medien haben sich an Nebensächlichkeiten einer ereignislosen Bundesratswahl selbst berauscht, indem sie Spekulation auf Spekulation haben folgen lassen. Einziger Lichtblick: die Aufdeckung der Verfehlungen eines Bundesratskandidaten durch die «Weltwoche». Hier hatte eine Zeitschrift den Mut, genau hinzuschauen. Was aber taten die anderen Medien? Sie reihten Verschwörungstheorie an Verschwörungstheorie, indem sie darüber werweissten, wer hinter der Aufdeckung stecken könnte. Dieselbe Zeitschrift, die zuerst mutig agierte, verlor jedoch kurz darauf selbst die Mitte, als sie eine Kampagne gegen den Präsidenten des Direktoriums der Nationalbank fuhr. Die happigen Vorwürfe waren offensichtlich auf bloss eine, nicht über alle Zweifel erhabene Quelle und unvollständige Akten gestützt, die auf schrille Art und Weise publik gemacht wurden. Hier wiederum haben die meisten Medien brav mitgespielt, weil es ihnen in den Kram passte.
Zwei wesentliche Fragen wurden derweil ausgeblendet. War es die Idee der Gründer und Reformer unseres Staats, eine Wahl der Exekutive unseres Landes zuzulassen, die in erster Linie der Profilierung der Parteipräsidenten dient und die glaubwürdige Interessenvertretung der Schweiz in einem immer garstiger werdenden internationalen Umfeld hintanstellt? Und ist es Aufgabe der Nationalbank, von ihr euphemistisch «makroprudenzielle Massnahmen» genannte Finanzmarkt-Regelungen zu erlassen, die demokratisch nicht legitimiert, für die Zukunft unseres Finanzplatzes aber von fundamentaler Bedeutung sein dürften?
Es sind solche Fragen, die die Medien in medias res erläutern und diskutieren könnten bzw. müssten. Doch es herrscht breites einiges Schweigen. Und Einigkeit in den Medien ist ein schlechtes Zeichen. Was es vielmehr braucht, ist mehr Dissidenz, mehr Abweichung – «Weltwoche» und «Wochenzeitung» machen es vor. Unter «Woz»-Autoren gibt es zwar bewährte Verschwörungstheoretiker, aber sie schauen zwischendurch auch mal genauer hin – und versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Viele andere Medien hingegen hängen an den Lippen der Politiker, PR-Leute und Beamten, die den Medien geben, was sie haben wollen: Mutmassungen, Unterstellungen, Gerüchte, Metameinungen. Kein angefragter Politiker hat in der SNB-Affäre gesagt, er wolle zuerst Klarheit haben, danach überlegen und zuletzt sprechen – alle forderten bereits aufgrund unvollständiger Presseberichte in salopper Weise irgendwelche Massnahmen. Was einzig zählt, ist das Mitmeinen.
Ebenso wichtig ist, dass möglichst viele unterschiedliche und voneinander unabhängige Träger im Mediengeschäft aktiv sind – siehe «Weltwoche» und «Woz». Wenn hingegen alle Informationen aus demselben Newsroom stammen, um darauf bloss in verschiedene Produkte abgefüllt werden, tritt Pseudopluralismus an die Stelle echter Vielfalt. Not tut ein echter Wettbewerb der Recherchen, eine kluge Konkurrenz der Meinungen. Der Staat gibt zwar vor, durch Förderung der Privaten Medienhäuser einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs zu leisten – in Wahrheit will er sie (sich) jedoch dadurch bloss gefügig machen.
Was es in unserem Medienzeitalter wirklich braucht, sind möglichst viele unabhängige, kritische und – jawohl – auch selbstkritische Medienunternehmen. Sie allein sind die Garantie für jene unabhängige intellektuelle Arbeit, auf die es in einer Demokratie ankommt. Nur eine Vielzahl von Trägern und von Geschäftsmodellen schafft die Grundlagen dafür, dass freie Meinungsäusserung, ein freier Diskurs im besten Sinne der Aufklärung, wirklich stattfindet. Herrscht echter Medienwettbewerb, verschwinden über kurz oder lang gerüchtweise Metameinungen, moralisierende Besserwisserei und politische Korrektheit. An ihre Stelle treten engagierte Recherchen, klare Ansichten, freies Denken. Dann sind wir wieder bei Horaz: in medias res, beim Kern der Dinge.
Georges Bindschedler ist Unternehmer und als Aktionär bei verschiedenen Medienunternehmen engagiert.