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In der U-Bahn mit Geschnetzeltem

Silvano Cerutti: «Gschnätzlets. Short Stories». Zürich: Salis, 2007.

Der Musikjournalist Silvano Cerutti legt mit dem Band «Gschnätzlets – Short Stories» sein Buch-Debüt vor. Es enthält auf 135 Seiten 30 kurze Geschichten. 30 Bissen für zwischendurch, ein Buch für die U-Bahn, fürs WC, für Leute mit wenig Zeit. Kurzgeschichten aus der Schweiz – man muss unweigerlich an Peter Bichsel denken, nicht nur, weil man gerne an ihn denkt, sondern auch weil man sich denkt: Ja, dieses Genre wird trotz Bichsel, Borchert, Bernhard, Böll im deutschsprachigen Raum nach wie vor etwas vernachlässigt. Okay, man könnte auch an Hermann, Bachmann und Faber denken, alles nicht sonderlich originell (die Auswahl, nicht die Autoren selbst) und zum Teil auch nicht mehr sehr aktuell. Man denkt sich also, gut, Short Stories, mal wieder. Das Interesse ist geweckt. Man betrachtete das Buchcover, ein leerer Teller, ein leeres Glas, eine Gewürzgarnitur, sauberes Besteck, aber ein ordentlich bekleckertes Tischtuch und denkt: Weinflecken? Blut? Suff (Ernest Hemingway)? Splatter (Edgar Allan Poe)? Man blättert los, bringt die ersten paar Erzählungen hinter sich und denkt: Okay, jetzt könnte aber auch mal eine andere Erzählhaltung eingenommen werden. Man nimmt die Verlagsinformation zur Hand: «roh, ungeschminkt, als wäre der Leser mit der erzählenden Person eng befreundet», heisst es dort. Aha. Weiter. Ein an sich grosser Freundeskreis, aber ein sprachlich und intellektuell doch sehr ähnlicher. Ja, die Erzählenden stammen aus den unterschiedlichsten Schichten – aber sie reden alle gleich, sie erzählen alle gleich, sie sind alle gleich formlos und haben gleich viel bzw. wenig Tiefgang. Ja, es werden Kraftausdrücke eingestreut, das allein macht eine Figur jedoch noch nicht authentisch. Da werden alle Figuren über einen sprachlichen Kamm geschoren, da gibt es keine Ausreisser nach oben und unten, das ergibt eine nivellierte Sprache mit da und dort eingestreuten Dialekthäppchen. Das ist ein etwas dünnes Gericht, denkt man und erinnert sich wehmütig an ein Wesensmerkmal der Short Story: stark komprimierten Inhalt. Man wünscht sich Verdichtung und Aussparung, Komplexität und Mut zur Lücke. Man muss sich mit Allerweltsoffensichtlichkeiten zufriedengeben. Jaja, die Arbeitswelt ist brutal geworden, da und dort Entlassene und Ungerechtigkeit. Gut, eine Kurzgeschichte muss nicht unbedingt eine Pointe, sie darf auch einen offenen Schluss haben, aber da muss das Präsentierte dann doch etwas mehr hergeben. Da dürfen nicht nur Gegenwartsklischees angezapft und dann nicht wirklich differenziert betrachtet werden. Emotionen und Konflikte sind zwar zur Genüge vorhanden, doch hier poltert ein alter entlassener Hase sprachlich und analytisch gleich indifferent wie ein junger Selbständiger. Das heisst, es werden einem zwar die verschiedensten Gerichte aufgetischt, aber nach ein, zwei Happen immer wieder entzogen. Das könnte einen ärgern, aber da sie alle ohnehin ähnlich schal schmecken, hält sich der Unmut in Grenzen. Kein Züri-Gschnätzlets mit Kalbs-, kein Basler Gschnätzlets mit Rindfleisch. Nicht Fisch – nicht Fleisch. «Gschnätzlets» ist ein Buch das dem Leser weder den Magen füllt, noch ihn sonstwie satt macht.

vorgestellt von Markus Köhle, Wien

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