In der Trump-Falle
Wie die Schweizer Medien sich im US-Wahlkampf die Agenda diktieren liessen.
Die Berichterstattung der Medien wirkt und hat einen zum Teil erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung und Entscheidungen der Bürger als Konsumenten, Unternehmer oder Wähler. Würden diese Aussage bereits viele vom Gefühl her bejahen, so gibt es in den letzten Jahren immer mehr Forschungsarbeiten, die den Einfluss der Medien mit modernen ökonometrischen Methoden untersuchen. So zeigt sich, dass die Einschätzung der Wirtschaftslage und die wirtschaftlichen Erwartungen zumindest zum Teil von der Medienberichterstattung abhängen1. Ähnliches gilt für das Konsumklima2. Im Bereich der Sozialpolitik zeigt eine aktuelle Studie3, dass sich in Deutschland der Anteil der Medienberichte zum Thema Ungleichheit in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt hat – und das, obwohl die Einkommensverteilung weitgehend unverändert geblieben ist. Kurzfristig kann das die Sorgen der Bevölkerung ansteigen lassen. Nachgewiesen ist auch, dass die Medienberichterstattung einen Einfluss auf die gefühlte Arbeitsplatzunsicherheit hat.4
Verzerrungen in der Berichterstattung
Nun hat die Wahrnehmung der Bürger auch Auswirkungen auf ihre Investitions-, Konsum- oder Wahlentscheidungen. Das alles wäre wenig problematisch, wenn Medien jeden Tag ein Eins-zu-eins-Abbild des gesamten Weltgeschehens berichten würden. Das ist freilich nicht möglich. Medien berichten immer nur über einen kleinen Teil des Geschehens und der berichtete Teil unterliegt wiederum verschiedenen systematischen Verzerrungen, die in den empirischen Wissenschaften «Bias» genannt werden. In der Literatur finden sich unter anderem der Advertising-Bias, wenn die Tendenz der Berichterstattung zugunsten von Werbekunden eines Mediums verzerrt wird, der Newsworthiness-Bias, wenn Meldungen, denen ein hoher Nachrichtenwert zugesprochen wird, andere mit einem geringeren Nachrichtenwert verdrängen, der Negativity-Bias, wenn Medien lieber über Katastrophen, Verbrechen oder beunruhigende Entwicklungen berichten als über wirtschaftlichen Aufschwung oder gelöste Kriminalfälle, oder den Political-Bias, wenn Medien mit einer Tendenz in die eine oder andere politische Richtung berichten.
Wenn Medien nun wirken und zudem die Medienberichterstattung diversen Verzerrungen unterliegt, dann kann es problematisch sein, wenn Konsumenten, Unternehmer oder Wähler ihre Entscheidungen anders treffen, als sie das vor dem Hintergrund einer weniger verzerrten Informationslage gemacht hätten. Auch dafür gibt es wissenschaftliche Belege: so zeigen Forschungsarbeiten, dass Automobilkäufe zumindest zum Teil von der Medienberichterstattung über die Automobilindustrie abhängen5, dass die Auslandsberichterstattung einen Einfluss auf ausländische Direktinvestitionen hat6, dass eine verzerrte Medienberichterstattung Entscheidungen bei Wahlen beeinflusst. Auch bei Entscheidungen von Behörden oder Terrorgruppen ist das der Fall: So hängen die Zahlungen der US-Katastrophenhilfe zum Teil von der Berichterstattung über Naturkatastrophen ab8 und anhand der Global Terror Database konnte nachgewiesen werden, dass ein Anstieg der Terrorzahlen nicht nur mehr internationale Medienberichte zum Thema auslöst, sondern mehr Medienberichte zu Terror auch zu mehr und brutaleren Terrorakten führen9.
Trump vs. Clinton
Sind Schweizer Medien nun besser als andere? Neben dem Presserat, der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten definiert, und vielfältigen Initiativen zur Rettung des Journalismus gibt es in der Schweiz auch das Medienqualitätsrating (MQR), das aufwendig versucht, Medienqualität zu messen. Einblicke und Erkenntnisse zur Frage, ob die Schweizer Medien besser sind als die anderer Länder, bietet eine Analyse der Berichterstattung in Schweizer Medien zum US-Wahlkampf 2016 zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. Für die Untersuchung, die ich wissenschaftlich begleitete, hat das internationale Medienanalyseinstitut Unicepta die Berichterstattung in elf Schweizer Medien analysiert, darunter die Abonnementszeitungen «Aargauer Zeitung», «Basler Zeitung», NZZ und «Tages-Anzeiger», der Boulevard mit «20 Minuten» und «Blick», die sonntäglich erscheinenden «NZZ am Sonntag», «Sonntagsblick» und «Sonntagszeitung» sowie die TV-Formate «Sonntalk» (Tele Züri) und «10 vor 10» (SRF). Insgesamt wurden 808 Beiträge zu Trump und Clinton im Kontext des US-Wahlkampfs ausgewertet, unter anderem im Hinblick auf die Akteure, Themen, Bewertungen und zitierte Quellen.
Die Tonalität
Was auf den ersten Blick auffällt, ist die ausbrechende Negativität, mit der über den Wahlkampf und die beiden Spitzenkandidaten berichtet wurde: Der Anteil kritischer Beiträge über Donald Trump lag bei 71 Prozent. Nur 6 Prozent der Beiträge waren positiv. Dies zeigt, wie stark Trump mit den Vorstellungen auch der Schweizer Medien kollidierte. Dabei erfuhr Donald Trump während des gesamten Wahlkampfs eine wesentlich kritischere Berichterstattung als Hillary Clinton. Allerdings war auch das Medienbild von Hillary Clinton aussergewöhnlich negativ. Der Anteil der negativen Berichte über Clinton lag bei 42 Prozent, der der positiven Berichte bei 24 Prozent. Die Berichterstattung über die US-Wahlen zeigte damit das Duell zweier Image-Verlierer. Allerdings unterschied sich das Ausmass der Kritik zu Trump und Clinton zum Teil doch recht kräftig. Schlagzeilen wie «Der Hetzer und der Träumer» («Tages-Anzeiger» vom 11.2.2016), «Trumps Liste der Schande» («Blick» vom 4.3.2016), «Trump, der Totengräber» (NZZ vom 5.8.2017) waren an der Tagesordnung. Wie negativ Trump in Schweizer Medien während des US-Wahlkampfs dargestellt wurde, zeigt ein Vergleich mit einer Untersuchung aus dem Jahr 2013 auf Basis von 20 internationalen TV-Nachrichtensendungen10: Berichte zur Mafia oder zu Al-Qaida waren in knapp über 60 Prozent der Fälle negativ. Bei Kim Jong-Un waren es knapp unter 70 Prozent. Demnach war die Berichterstattung in Schweizer Medien zu Donald Trump in einem ähnlichen Ton gefärbt wie die internationale Berichterstattung zur organisierten Kriminalität, Terrorgruppen oder dem despotischen Staatsführer Nordkoreas.
Für eine offensichtliche Parteinahme der Schweizer Medien kann man allerdings vor dem Hintergrund der aussergewöhnlich kräftigen Negativität, mit der über beide Kandidaten berichtet wurde, nicht ausgehen. Jedoch darf die Frage erlaubt sein, inwieweit eine so negative Berichterstattung über zwei Spitzenkandidaten einer demokratischen Wahl nicht eine Belastung für die Wahrnehmung der Demokratie generell darstellt. Zudem wirft das Ausmass der Negativität eine weiterführende Frage auf: Haben sich die Schweizer Medien hinreissen lassen, über die Merkwürdigkeiten des US-Wahlkampfs in boulevardesker bis gruselig-schauriger Art zu berichten, oder waren beide Kandidaten so gruselig, dass sich eine positivere Berichterstattung für verantwortungsbewusste Journalisten verbat? Um diese Frage zu klären, reichen Betrachtungen der Tonalitäten der Berichterstattung nicht aus. Vielmehr muss die Frage geklärt werden, wie es zu einer so negativen Berichterstattung kam. Welche Themen wählten die Schweizer Journalisten? Welche Quellen wurden zitiert?
Die Themen
Ein wesentlicher Treiber der unglaublich intensiven Negativität in der Berichterstattung war die Themenauswahl: In den meisten Fällen berichteten die Schweizer Medien nämlich nicht zu Sachthemen, wie Trumps Migrationspolitik oder Clintons Aussenpolitik, sondern über andere Aspekte, wie das Auftreten der Kandidaten im Wahlkampf, ihre Stellung in ihren Parteien und insbesondere die Persönlichkeit der beiden Kandidaten. 39 Prozent aller Berichte zu Trump und 47 Prozent aller Berichte zu Clinton drehten sich um die persönliche und charakterliche Eignung der Kandidaten für das Amt – verbunden mit extremen Bewertungen: Bereits Clinton wurde im Hinblick auf ihre Persönlichkeit mit einer durchschnittlichen Bewertung von minus 43 Prozent als charakterlich schwach und ungeeignet für das Amt dargestellt und damit ganze 18 Prozentpunkte schlechter als in der Berichterstattung zu ihr insgesamt. Trump hingegen erreichte in Berichten über seine Persönlichkeit mit einer durchschnittlichen Bewertung von minus 73 Prozent unterstes Niveau. Auch hier war die Bewertung noch einmal um 8 Prozentpunkte schlechter als Trumps eh schon schlechte Bewertung insgesamt.
Allerdings gelang es Trump mit seiner provozierenden und disruptiven Art besser als Clinton, wenigstens einige Sachthemen und Politikvorschläge auf die Schweizer Medien-Agenda zu heben – vom «Muslim-Ban» über die Mauer nach Mexiko bis hin zur Neuordnung der Beziehungen zu Russland. Auf der anderen Seite unterminierten die E-Mail-Affäre und die Attacken Trumps auf Clinton auch in den Schweizer Medien die Wahrnehmung der Integrität Clintons. Clinton hingegen gelang es kaum, mit ihren Politikvorschlägen durchzudringen. Zu den zehn meistberichteten Themen im Trump-Kontext gehörten mit der Flüchtlings- und Migrationspolitik auf Rang 7, dem Themenfeld Gesellschaft und Werte auf Rang 8 und der allgemeinen Aussenpolitik auf Rang 9 immerhin drei Sachthemen. Die Top-10-Themen zu Clinton waren in den Schweizer Medien bis auf Gesellschaft und Werte auf Rang 10 frei von Sachpolitik.
Die Urheber
Neben der Themenwahl gab es einen zweiten Treiber der aussergewöhnlichen Negativität in der Berichterstattung: die Stimmen, die die untersuchten Schweizer Medien zu Wort kommen liessen. Wenn es um Trump ging, räumten die Schweizer Medien einem Mann besonders viel Raum ein: Donald Trump selbst. In der Berichterstattung über Trump kam Trump selber 89mal zu Wort und damit wesentlich häufiger als alle anderen Akteure. Clinton wurde hingegen zu Clinton lediglich 17mal zitiert. Umgekehrt war Donald Trump aber auch die meistzitierte Quelle zu Hillary Clinton: in 133 Zitaten liess Trump kaum ein gutes Haar an seiner Gegnerin. Dagegen wurde Clinton zu Trump lediglich 58mal zitiert. Die Angriffe Trumps auf seine Gegenspielerin, denen die Schweizer Medien eine Bühne boten, spielen damit für die Bewertung Clintons eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus erschütterten vor allem die Äusserungen James Comeys in der E-Mail-Affäre die Wahrnehmung der Integrität Clintons erheblich. Clinton konnte diesen Angriffen nichts entgegensetzen, denn in eigener Sache kam sie in den Schweizer Medien nur relativ selten zu Wort und sie konnte auch nur wenig von Unterstützern aus den eigenen Reihen profitieren.
Neben der Selbstdarstellung Trumps liessen die Schweizer Medien weitere Unterstützer zu Wort kommen, unter anderen Trumps Ehefrau und Tochter. Aber auch die frühere US-Botschafterin Faith Whittlesey trug zu einer eher positiven Darstellung Trumps bei. Die bei weitem überwiegenden kritischen Stimmen kamen neben den Journalisten selbst und der Trump-Konkurrentin Clinton von Wissenschaftern wie dem Politologen Stephan Bierling, dem Historiker Jakob Tanner und dem Philosophen Georg Kohler, aber auch von Jacqueline Badran und Regula Rytz, die bislang noch nicht als Expertinnen für US-Wahlkämpfe aufgefallen waren. Im Artikel «Trump hat mich als Frau und Mexikanerin angegriffen» wurde zudem eine 19jährige Praktikantin der «Aargauer Zeitung» mit mexikanischem, Schweizer und US-amerikanischem Pass zitiert.11
Schweizer Medien in der «Trump-Falle»
Ebenso wie die Medien in anderen Ländern gingen auch die Schweizer Medien in die «Trump-Falle»: Durch seine Attacken auf echte und vermeintliche Gegner in den USA und anderswo bestimmte Trump die Medienagenda. In der Themenwahl fokussierten die Schweizer Medien nur zu einem geringen Teil auf die sachthematischen Herausforderungen, vor denen die Vereinigten Staaten stehen. Stattdessen standen der Wahlkampf Trumps und insbesondere die persönliche und charakterliche Eignung der Kandidaten im Fokus der Berichterstattung. So mutierte die Auslandsberichterstattung zum Gossip. Donald Trump gelang es mit seiner disruptiven und provozierenden Art – im Gegensatz zu Clinton – aber auch immer wieder, seine machtpolitischen Vorschläge auf die Schweizer Medienagenda zu katapultieren. Clintons Politikangebote spielten hingegen kaum eine Rolle. Kritisch ist die Auswahl der Urheber durch die Schweizer Medien zu beurteilen: Dass Trump die meistzitierte Quelle zu Trump und zu Clinton war, lässt sich mit dem Grundsatz einer ausgewogenen Berichterstattung kaum vereinen.
Nicht zuletzt die zahlreichen Forschungsergebnisse zur Medienwirkung haben die Bedeutung der Medien in der Demokratie abermals deutlich werden lassen. Ihrer Rolle als vierter Gewalt können sie allerdings nur gerecht werden, indem sich Medien ihrer Verantwortung bewusst sind. Standards müssen nicht nur punktuell, sondern fortwährend eingefordert und auch kontrolliert werden. Hierbei sind insbesondere die Medien selbst gefragt.
1 Richard Nadeau, Richard G. Niemi und Timothy Amato: Elite economic forecasts, economic news, mass economic expectations, and voting intentions in Great Britain (2000). In: European Journal of Political Research, 38, S. 135–170. Stuart N. Soroka: Good News and Bad News: Asymmetric Responses to Economic Information (2006). In: The Journal of Politics, 68, S. 372–385.
2 Lex Hoogduin, Karel-Jan Alsem, Steven Brakman, Gerard Kuper: The impact of newspapers on consumer confidence: does spin bias exist? (2008). In: Applied Economics, 40 (5), S. 531–539. Mark Doms and Norman Morin: Consumer sentiment, the economy, and the news media (2004). In: Finance and Economics Discussion Series 2004-51, Board of Governors of the Federal Reserve System.
3 Matthias Diermeier, Henry Goecke, Judith Niehues, Tobias Thomas: Impact of Media Coverage on Inequality on Worries of the Citizens (2017). In: DICE discussion paper 258.
4 Marcel Garz: Job Insecurity Perceptions and Media Coverage of Labor Market Policy (2012). In: Journal of Labor Research, 33, S. 528–544.
Marcel Garz: Unemployment Expectations, Excessive Pessimism, and News Coverage (2013). In: Journal of Economic Psychology, 34, S. 156–168.
5 Ralf Dewenter, Ulrich Heimeshoff und Tobias Thomas: Media Coverage and Car Manufacturers’ Sales (2016). In: Economics Bulletin, 36, S. 976–982.
6 Christian Helmenstein, Philipp Krabb und Tobias Thomas: Standorts-Sentiment als Determinante der Investitionstätigkeit – Zur Erklärungskraft von internationaler Medienberichterstattung und nationaler Perzeption für Standortentscheidungen (2016). In: Wirtschaftspolitische Blätter, 63, S. 171–187.
7 James N. Druckman and Michael Parkin: The Impact of Media Bias: How Editorial Slant Affects Voters (2005). In: Journal of Politics, 67 (4), S. 1030–1049.
8 Thomas Eisensee und David Strömberg: News Droughts, News Floods, and U. S. Disaster Relief. In: The Quarterly Journal of Economics, 122 (2), S. 693–728.
9 Klaus B. Beckmann, Ralf Dewenter und Tobias Thomas: Can news draw blood? The impact of media coverage on the number and severity of terror attacks (2017). In: Peace Economics, Peace Science and Public Policy, 23 (1), S. 1–16.
10 Racheline Maltese und Matthias Vollbracht (2016): Trust Meltdown VII, InnovatioPublishing.
11 «Aargauer Zeitung» vom 10.11.2016.