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In der Leere mit sich allein

Jacqueline Moser: «Lose Tage». Frankfurt a.M.: Weissbooks, 2008.

In Adrians Leben gibt es viele Frauen: Linda, Patricia, Tonja, auch Carmela; mit Carmela schlittert er sogar in die Ehe. Als Adrian noch klein war, gab es die unzähligen Au-pair-Mädchen. Eine Frau aber fehlt, schon immer, so sehr, dass Adrian sie immer neu erfindet – die Mutter. Eine grosse Schauspielerin sei sie geworden, erzählte der kleine Junge. Der erwachsene Adrian träumt, die Mutter sei in das Haus seiner Kindheit zurückgekehrt, in Graubünden, wo alles mit einer Begegnung auf dem Kartoffelacker begann, als Adrians Vater sich in das fremde Mädchen verliebte. Fremd sollte sie bleiben, auch nach der baldigen Hochzeit, und nach der Geburt ihrer beiden Kinder verschwand sie spurlos. Ihr Mann, Adrians Vater, verlor nie wieder ein Wort über die Frau, in die er sich Hals über Kopf verliebt hatte.

Und so blieb dem kleinen Adrian nichts anderes übrig, als mit wachsender, vergeblicher Wut nach der abwesenden Mutter zu fragen. Die Antworten musste er sich in stummer Familienrunde selbst geben. Seine Schwester Carla hat ihm nie ein Wort geglaubt. Überhaupt scheint sie der Sprache zu misstrauen. Ihren Ausdruck findet sie in der Musik, ebenso ihre Heimat. Sie ist so früh wie möglich von zu Hause ausgezogen und immer unterwegs. Mit dem Orchester auf Tournee, was vielleicht nur eine virtuose Form der Flucht ist. Adrian und Carla sind also längst erwachsen, aber das Loch, das die abwesende Mutter gerissen hat, lässt sich nicht stopfen. Carla kann vor der Leere nicht fliehen, Adrian das Traumbild mit keiner Wirklichkeit in Einklang bringen.

Diese Abwesenheit gestaltet Jacqueline Moser in ihrem ersten Roman «Lose Tage» so eindringlich wie lakonisch. Das Drama eines ganzen Lebens vermag sie in wenige Sätze zu fassen; das trifft auch auf die Randfiguren zu, die in Adrians und Carlas eigentümlich engen Welten auftauchen. Darin liegt eine grosse Stärke dieses Textes, zugleich auch eine Schwäche, zumindest im Hinblick auf die Gattungsbezeichnung. «Lose Tage» ist eine lose Folge von Vignetten, die oft, insbesondere im ersten Drittel, eine grosse Intensität erreichen. Doch zu einem Roman sind sie nicht zu fügen, und so lässt ausgerechnet diese Anstrengung einen starken Text im Lauf der Lektüre blasser und blasser werden. Schade, doch von Jacqueline Moser ist sicher noch einiges zu erwarten.

vorgestellt von Patricia Klobusiczky, Berlin

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