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In den Kissen des deutsch-arabischen Diwans

Ilma Rakusa & Mohammed Bennis (Hrsg.): «Die Minze erblüht in der Minze. Arabische Dichtung der Gegenwart». München: Hanser, 2007.

Wer aus Leichtsinn historische Augenblicke verpasst, den bestraft das Leben. Als an einem Vorfrühlingstag des Jahres 2000 das Telefon klingelte und mich eine Frauenstimme in gebrochenem Englisch dazu einlud, als Lyrikkritiker an einer deutsch-arabischen Dichterbegegnung im Jemen teilzunehmen, sagte ich aus fadenscheinigen Gründen ab. Jemen – das schien in einer so exotischen Ferne zu liegen, dass eine Dichterbegegnung zwischen arabischen Poeten und ahnungslosen deutschen Autoren und Journalisten wenig produktive Ergebnisse versprach. Die Stimme am Telefon gehörte der irakischen Lyrikerin Amal al-Jubouri, und das von ihr mit viel Geduld und noch mehr Überredungskunst organisierte Dichtertreffen fand dann tatsächlich im September 2000 statt. Es wurde zum Ausgangspunkt eines arabisch-deutschen Literaturdialogs, der eine jahrzehntewährende Phase der interkulturellen Indifferenz beendete. Erst seit dieser Begegnung hat Goethes Utopie aus dem «West-Östlichen Diwan» wieder eine Chance: «Wer sich selbst und andere kennt,/ Wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen.»

Die substantiellsten Beiträge zu dieser Wiedererweckung des europäisch-arabischen Dialogs verdanken wir neben Amal al-Jubouri dem Übersetzer und Essayisten Stefan Weidner und der in Zürich lebenden Dichterin Ilma Rakusa, die seit vielen Jahren die Schnittpunkte nicht nur zwischen den west- und osteuropäischen Literaturen, sondern eben auch diejenigen zwischen Orient und Okzident auslotet. Die von Ilma Rakusa und dem marokkanischen Lyriker Mohammed Bennis unter dem Titel «Die Minze erblüht in der Minze» herausgegebene Anthologie zur «Arabischen Dichtung der Gegenwart» legt nun beeindruckende Ergebnisse dieser Dichterbegegnungen vor. Neben ausgewählte Gedichte der wichtigsten arabischen Poeten, wie Fuad Rifka, Mahmud Darwish oderAdonis, treten sehr konzise Essays von Stefan Weidner, Klaus Reichert oder Abbas Beydoun, die in knapper Form die literaturhistorischen Wurzeln und aktuellen Metamorphosen der arabischen Poesie freilegen. Der aufregendste Beitrag stammt von Stefan Weidner, der die Schwierigkeit und Notwendigkeit einer neuen Koran-Übersetzung als einer Urquelle arabischer Dichtkunst erörtert. Die meditativen Intensitäten des Marokkaners Hassan Najmi und die metaphorisch disziplinierten Gedichte von Fuad Rifka zeigen, dass die arabische Poesie alles andere ist als «ein hochpathetisches und abstraktes Raunen», wie so mancher ignorante Literaturmensch hierzulande glaubt. Der libanesische Poet Fuad Rifka hat den Grundimpuls aller modernen Lyriker so benannt: «Er träumt / eine Frage zu sein / hinter allen Fragen.»

vorgestellt von Michael Braun, Heidelberg

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