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Alexis Schwarzenbach: «Auf der Schwelle des Fremden. Das Leben der Annemarie Schwarzenbach». München: Rolf Heyne, 2008.
Dominique-Laure Miermont: «Annemarie Schwarzenbach. Eine beflügelte Ungeduld». Aus dem Französischen von Susanne Wittek. Zürich: Ammann, 2008.

Offenbar ist der Nerv des Zeitgeistes getroffen. Ein Kult wird zelebriert. Ein Mythos gefeiert. Einer Ikone gehuldigt: Publikumsandrang, täglich vom 19. März bis am 1. Juni dieses Jahres, im gewöhnlich eher leeren Strauhof, dem Zürcher Ort für literarische Ausstellungen. Eine raumfüllende Installation stimmt die Besucher ein. Kunstvoll assoziiert sie Abgründe, zeigt in fliessenden Bildern – unterlegt mit O-Tönen und ausgesuchter Musik – Schicksalsstationen einer Schönen, Reichen, Begabten, Gefährdeten. Konflikt mit der Familie, Reisen als Flucht und Suche nach Identität, Trauer, Leiden an den Bedingungen des Lebens sind dargeboten – ästhetisch und emotional höchst ansprechend.

Nein, nicht Lady Diana wird retrospektiv präsentiert. Gefeiert wird der 100. Geburtstag Annemarie Schwarzenbachs (1908–1942), und wir gehen durch Zürichs aktuelle Literaturausstellung «Eine Frau zu sehen».

Dem Geheimnis des «faszinierenden Lebens» dieser «atemraubend schönen Frau» und der sie «umdunkelnden Tragik» auf der Spur, schieben sich die Besucher an mäandrierenden Gestellen vorbei, beugen sich über die vielen kleinen Bilder, recken die Hälse, um die Dokumente lesen zu können, lauschen in einer Kabine den Erinnerungen Annemarie Schwarzenbachs an ihre übermächtige Mutter, während eine Filmsequenz die beiden einträchtig miteinander zeigt; manche tauschen, ehrfürchtig flüsternd, Eindrücke aus. Von der «ergreifenden Schönheit» der literarischen und journalistischen Texte ist allerdings dabei nichts zu hören…

Fan-Artikel, besser noch: Devotionalien, denkt der Beobachter unwillkürlich, Devotionalien liessen sich hier bestimmt gut verkaufen! Dabei hat er freilich nicht Billig-T-Shirts mit Porträtaufdruck im Sinn. Eher Kostbares und Edles, durchaus auch Teures. Wie etwa die prächtige, mächtige Bild-Biographie «Auf der Schwelle des Fremden» des Grossneffen Alexis Schwarzenbach, Kurator der «Ausstellung zum Buch», wie es im Verlagsprospekt heisst. Der Historiker konnte aus dem Vollen schöpfen: Beziehungen öffneten ihm (Archiv-)Türen und gewährten ihm Zugang zu Schatztruhen voller Material; das Familien-Archiv und Nachlässe, insbesondere Foto-Nachlässe von Familienmitgliedern, waren ihm zugänglich. Geld spielte bei der Herstellung offenbar keine Rolle. So entstand dieser wunderbare Band, dem es an nichts mangelt, vor allem nicht an privaten Fotos. Annemarie ist auf ihnen zu sehen, in jeder Lebensphase, in jeder erdenklichen Pose, sogar einem Bergsee entsteigend, «oben ohne». Wer mag sich da noch durch die wirklich eindrücklichen Fotoreportagen der Reisejournalistin Annemarie Schwarzenbach ablenken lassen?

Nicht ganz im Sinne des Titels, aber augenfällig ist, dass Alexis Schwarzenbach seine schöne Grosstante nicht «Auf der Schwelle des Fremden» stehen lässt, sondern sie ganz nah heranholt an den Betrachter, der hoffentlich auch zum Leser wird, denn es lohnt sich. Weit ausholend und aus intimer Kenntnis der Familiengeschichte(n) breitet er vor ihm das Leben Annemarie Schwarzenbachs im Familienkontext aus, streut Anekdoten ein, die glücklicherweise nicht zu Nähkästchenplaudereien ausarten. Der Autor hält Distanz.

Es sei Annemarie Schwarzenbach wichtig gewesen, als Schriftstellerin wahrgenommen zu werden, betont er. Ihm aber scheint ihr Wunsch nicht unbedingt Befehl gewesen zu sein. Sein Buch – wissenschaftlich fundiert, sprachlich geschliffen, denn Schwarzenbach ist ausgewiesener Historiker – feiert vielmehr Glamour und Tragik und ist ein Luxusprodukt. Dass es damit Bedürfnisse bedient, bestätigen Auskünfte verschiedener Zürcher Buchhändler: Trotz seinem Preis ist es ein Verkaufserfolg; die literarischen Texte Annemarie Schwarzenbachs hingegen sind weniger gefragt. Das Publikum lässt sich eben gern einladen, durch ein vermeintliches Schlüsselloch zu schauen.

Schlüssellochintimität wird auch geboten bei der Besichtigung von «Annemarie Schwarzenbachs Elternhaus Bocken, bis 1979 Wohnsitz der Familie». Alexis Schwarzenbach führt durch das normalerweise nicht öffentlich zugängliche Haus, das dem Credit Suisse gehört, den «Schauplatz der schweren Auseinandersetzungen zwischen Annemarie und ihrer Mutter Renée». Preis: gerade mal 39 Franken, inklusive «Voucher für einen Sandwichlunch». Im Nu ausverkauft. Na bitte! Homestories und diese Art Events sind heute gefragt. Wer will schon nur noch lesen? Selbst die «Welterstveröffentlichung» der «Schlüssel-Erzählung» – gemeint ist Annemarie Schwarzenbachs sexuelles Coming-out – «Eine Frau zu sehen», auch wenn sie schmal ist, lässt sich schliesslich anstrengungslos als Hörfassung konsumieren. Auch dem ist Rechnung getragen und das Hörbuch, gelesen von Bibiana Beglau, dem Buch beigefügt.

Die Anstrengung des Lesens lässt sich nicht umgehen bei der, ebenfalls datumsgenau erschienenen, Übersetzung der Biographie von Dominique-Laure Miermont «Annemarie Schwarzenbach. Eine beflügelte Ungeduld». Der Untertitel lässt Schlimmes befürchten. Aber der ist möglicherweise gewählt als verkaufsförderndes Zugeständnis an Lesererwartungen; denn serviert wird kein Psychokitsch, sondern Lesenswertes. Die französische Übersetzerin vieler Werke Annemarie Schwarzenbachs und Klaus Manns legte zusammen mit Nicole Müller bereits 1989 eine fundierte Biographie Schwarzenbachs vor: «L’Ange inconsolable» («Der untröstliche Engel», 1995). Nicht gerade ein Bestseller. Die Umstände waren wohl nicht danach, die Querelen um den Nachlass noch nicht beigelegt, und die Schwarzenbach-Renaissance dämmerte gerade erst herauf. Ihre neue «vibrierende Biographie» – so der Klappentext des Verlags, der sich voll guter Hoffnung wohl ein bisschen an dem Rummel beteiligt – basiert auf nun erst zugänglichen Quellen.

Bezeichnend für die Rezeptionsweise seit der Wiederent-

deckung Schwarzenbachs ist, dass ein Bild die Autorin inspirierte, ein Porträtfoto, das «eine unergründliche Hoff-nungslosigkeit» ausstrahle. Dementsprechend schildert sie das kurze, schillernde, schrille Leben der Annemarie Schwarzenbach als unendliche Geschichte einer Krankheit und entwickelt ein differenziertes Psychogramm eines Lebens in psychischer Not. Ob dieses Leben aber wirklich gelten kann als «Abbild der Instabilität und des fortschreitenden Zusammenbruchs einer Gesellschaft und eines Kontinents, die ihre Orientierung verloren haben»? Darüber würde der Leser gern mit der Biographin diskutieren, denn ihm entgeht nicht, was ihr roter Faden nur selten berührt: dass es ein privilegiertes Leben auf grossem Fuss war. Annemarie Schwarzenbach konnte es sich leisten.

«Es handelte sich bei ihr um eine schreibende Millionärstochter aus der Schweiz, die aus Spielerei und wahrscheinlich, um sich irgendwie interessant zu machen, regen Verkehr mit Prominenten pflegte und grosse Reisen machte», charakterisiert Oskar Maria Graf sie in seiner derben Art. Angesichts der derzeitigen Schwarzenbach-Begeisterung wünscht man sich gelegentlich einen solch frechen, gar nicht devoten Zwischenruf.

Überhaupt: Wäre es nicht an der Zeit, dass Historiker und Biographen, statt auf Annemarie Schwarzenbach zu starren, das Familiengeflecht Bismarck-Schwarzenbach-Wille-Weizsäcker in den Blick nähmen, um seine Bedeutung und seinen Einfluss im politischen und historischen Kontext Deutschlands und der Schweiz auszuloten? Ein florierender Devotionalienhandel würde aus einem solchen Projekt aber wohl nicht entstehen .

vorgestellt von Ute Kröger, Kilchberg

«Eine Frau zu sehen – Annemarie Schwarzenbach». Ausstellung im Strauhof vom 19. März bis 1. Juni 2008.

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