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Im «Café Odeon» mit Grappa

Franz Böni: «Sierra Madre. Prosa. 1968 bis 2007». Vaihingen/Enz: IPA, 2007.

«Ein Wanderer im Alpenregen» – das war das Buch, das Franz Böni im Jahr 1979 seinen literarischen Durchbruch brachte. Dass er schon 1968 mit dem literarischen Schreiben begonnen hat, erfährt man aus einem neuen Band mit dem verheissungsvollen Titel «Sierra Madre. Prosa. 1968 bis 2007». Dazwischen liegen mehr als 20 Bücher, düstere Wortkunstwerke zumeist, geprägt von diffusen Ängsten und gefühlten Bedrohungen, oft in einer Schweiz spielend, die dem Leser als heil- und ausweglos erscheinen mag, als eigentlich kaum mehr bewohnbar. Gekonnte Katastrophenprosa.

Ein fleissiger Schriftsteller jedenfalls ist dieser Franz Böni, nicht wegzudenken aus der neueren Literatur der deutschsprachigen Schweiz. Dennoch stutzt man ein wenig, wenn man sein neues Buch aufschlägt. Der Anfangsabschnitt «Pamela. Frühe Prosa und Gedichte» enthält einige allzuschlichte Schreibversuche; die Jünglingsgedichte und die sonstige hier versammelte Prosa in recht biederem Schulaufsatzstil hätten nicht unbedingt gedruckt werden müssen. «Fahrraddiebe. Prosa und Aufsätze», der zweite und umfangreichste Teil der Sammlung, überzeugt da schon eher. Er bietet feinsinnige Skizzen ungewöhnlicher Lebensläufe, knappe Berichte über Lese- und Kinoerlebnisse und, ein Glanzstück, die geheimnisvolle Geschichte vom «Haus zum Schwarzen Garten» an der Zürcher Stüssihofstatt.

Die nicht allzu vielsagende Prosaübung «Café Odeon», die den Kollegen Arlati und die Kunst des Grappatrinkens zum Thema hat, gibt dem dritten Teil der Sammlung ihren Titel. Hier mögen Insider des literarischen Lebens auf ihre Kosten kommen, erfährt man doch manches über Bönis einstigen Verleger Siegfried Unseld und über zeitgenössische Schriftsteller und deren Marotten. Aber auch einige merkwürdige und bemerkenswerte Geschichten über die Schweiz und ihre Bewohner sind dabei, Texte über die Hopi-Indianer und das Yukon Territory und anrührende Prosaskizzen wie «Spiegel, das Kätzchen» oder «Lignano». Der als «Romananfang» bezeichnete letzte Teil mit der Überschrift «Adria», in dem es um Vater und Mutter, die Schweiz, Italien, Ägypten und manches andere geht, weitet das

«Lignano»-Thema aus, weit über den merkwürdigerweise »Bibbione» (statt «Bibione») geschriebenen, Lignano benachbarten Badeort hinaus. Das lässt sich lesen.

Heterogenität ist ein Kennzeichen dieser Prosasammlung, und das 22 Jahre alte Nachwort von Urs Bugmann kann Franz Bönis Texte naturgemäss auch nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Angst und Schrecken, Lieblosigkeit und Kargheit, Seelenlosigkeit und Schweigen werden herausgestellt, Stimmungen und Befindlichkeiten, auf die man in Bönis Arbeiten immer wieder stösst, auch in den späteren. Man mag über die Zusammenstellung des schmalen neuen Bandes bisweilen den Kopf schütteln – der mit wenig Sorgfalt erstellte Anmerkungsteil gibt über die Kompositionsprinzipien, falls vorhanden, kaum näheren Aufschluss. Man wird auf ein paar schwächere Texte treffen, in der Regel aber auf solide gebaute, vielfach interessante und manchmal herzergreifende Kurzprosa. «Sierra Madre» ist, bei allen Schwächen, eine angenehme und oft, im produktivsten Sinne, auch verstörende Lektüre. Wer Franz Böni allerdings überhaupt noch nicht kennt, sollte zu seinen «grossen» Büchern greifen. Es lohnt sich.

vorgestellt von Klaus Hübner, München

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