Ihr Kinderlein kommet doch endlich!
Weltweit sinken die Fertilitätsraten. Staaten versuchen mit verschiedenen Strategien dagegenzuhalten. Die Erfolge sind allerdings bescheiden.
China: 1,0 Geburt pro Frau
Das schwere Erbe der Einkindpolitik
Ab 1980 war es in China allen Paaren untersagt, mehr als ein Kind zu haben. Verstösse wurden mit Geldstrafen geahndet; nicht selten kam es zu Zwangsabtreibungen. Die Einkindpolitik war eine Reaktion auf die Bevölkerungsexplosion der vorangegangenen Jahre.
Das Resultat der Einkindpolitik ist eine überalterte Gesellschaft mit einem massiven Männerüberschuss. 2015 legte die chinesische Regierung ihre Einkindpolitik ad acta und erlaubte zwei Kinder pro Paar. Anders als erhofft führten die Lockerungen jedoch nicht zu einem Anstieg der Fertilitätsrate. Im Gegenteil: Zwischen 2015 und 2023 ist sie sogar um 50 Prozent zurückgegangen. Daraufhin wurden die Regeln erneut gelockert. Seit 2021 gilt die Dreikinderpolitik. Doch auch diese führte nicht zu den gewünschten Ergebnissen.
Notgedrungen kündigte die Regierung im Oktober 2024 zusätzliche Massnahmen an, darunter eine Mutterschaftsversicherung und Mutterschaftsurlaubszuschüsse. Zudem werden Familien mit mehreren Kindern beim Kauf eines Hauses unterstützt.
Überdies will der chinesische Staat Dating-Plattformen für junge Chinesen einrichten. Dazu gehören staatlich gesponserte Dating-Apps sowie Speed- und Blind-Date-Veranstaltungen, die von lokalen Behörden organisiert werden.
Ob all diese Massnahmen die Geburtenimplosion in China stoppen oder zumindest bremsen können, wird die Zukunft zeigen. Zweifel sind angebracht.
Finnland: 1,26 Geburten pro Frau
Bis zu 320 Tage lang Elterngeld
In Finnland haben Mütter seit 1949 Anspruch auf Mutterschaftsbeihilfe. Sie können dabei zwischen einer einmaligen steuerfreien Pauschale von 170 Euro und einer grossen Babybox wählen. In der Box ist eine Babyausstattung für das erste Lebensjahr enthalten; jährlich wird sie mehr als 40 000-mal verteilt.
In aller Regel beginnt der Schwangerschaftsurlaub 30 Tage vor dem errechneten Geburtsdatum des Kindes. Mit dem Beginn des Urlaubs wird zusätzlich für 40 Arbeitstage die Schwangerschaftsbeihilfe von der staatlichen Sozialversicherungsanstalt Finnlands ausgezahlt.
Ähnlich wie die Schweiz hat Finnland erst kürzlich einen Vaterschaftsurlaub eingeführt. Väter können diesen unmittelbar nach der Geburt des Kindes in Anspruch nehmen. Sowohl Müttern als auch Vätern kommt jeweils Elterngeld in der Höhe von 160 Tageslöhnen zugute. Alleinerziehende erhalten das volle Kontingent von 320 Tagen. Darüber hinaus können Eltern auch Teilzeit arbeiten und dafür Teilelterngeld für den entsprechenden Zeitraum beantragen. Bis zur Einschulung haben alle Kinder in Finnland Anspruch auf einen Platz in der kommunalen Kindertagesstätte. Eltern, die ihr Kind lieber zu Hause betreuen lassen möchten, erhalten ebenfalls finanzielle Unterstützung.
Trotz dieser Kinderförderungsprogramme kämpft Finnland mit einem nie dagewesenen Geburtenrückgang. 2023 wurde mit 1,26 Kindern pro Frau die niedrigste Fertilitätsrate seit Beginn der Aufzeichnungen verzeichnet.
Russland: 1,4 Geburten pro Frau
Bauvorschriften und Verbot von «Propaganda»
Die russische Fertilitätsrate ist seit dem Ende der 1980er-Jahre implodiert. Der Staat hat darauf mit umfangreichen Familienförderungsprogrammen reagiert. Solche gibt es sowohl auf nationaler Ebene als auch in den Regionen.
Familien dürfen ihre Eigentumswohnungen nur verkaufen, wenn sie nachweisen können, dass sie damit eine mindestens gleichwertige, wenn nicht sogar bessere Wohnung erwerben. Beispielsweise darf eine Dreizimmerwohnung nicht gegen eine Einzimmerwohnung eingetauscht werden.
2007 führte der Staat das «Mutterschaftskapital» ein. Jede Familie erhält eine Einmalzahlung von umgerechnet rund 5200 Franken bei der Geburt eines Kindes. Diese landet auf einem gesonderten Konto und darf zweckgebunden für die Bedürfnisse des Kindes ausgegeben werden. Das Mutterschaftskapital darf auch als Eigenkapital für den Kauf einer Immobilie genutzt werden.
Auch bei der Raumplanung gibt sich die Regierung kinderfreundlich. Baufirmen müssen beim Bau eines Stadtteils bestimmte Auflagen erfüllen: Vor jedem Hochhaus muss es Kinderspielplätze sowie einen Kindergarten geben, der zu Fuss erreichbar ist. Russlands familienpolitische Grossoffensive stösst allerdings an ihre Grenzen. Zwischen 2015 und 2023 ist die Fertilitätsrate von 1,8 auf 1,4 Kinder pro Frau gesunken. Nun will das Parlament mit einem Verbot von «Propaganda für Kinderlosigkeit» reagieren. Wer im Internet und in den Medien für einen kinderfreien Lebensstil wirbt, soll künftig mit einer Busse von circa 4000 Franken bestraft werden; Unternehmen müssen gar 50 000 Franken zahlen.
Ungarn: 1,5 Geburten pro Frau
Sogar Grosseltern werden subventioniert
Mehr Kinder statt Migranten: Der ungarische Staat hält nichts davon, den Geburtenschwund mit Zuwanderung auszugleichen. Stattdessen setzt er auf grosszügige Subventionen, um die Fertilitätsrate zu steigern. Mit 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Stand 2023) gehört Ungarn zu den Ländern, die am meisten für Familienpolitik ausgeben.
Eltern erhalten vergünstigte Kredite. Wer ein «Baby-Darlehen» aufnimmt, erhält 28 000 Euro ab dem ersten Kind zinsfrei. Mit der Geburt des zweiten Kindes werden 30 Prozent der noch ausstehenden Summe erlassen; beim dritten tilgt der Staat sogar die gesamte Restschuld. Ausserdem hat die ungarische Regierung ein «Grosselterngeld» eingeführt. Erwerbstätige Senioren erhalten einen Grossteil ihres Gehalts, wenn sie auf ihre Enkelkinder aufpassen, statt zu arbeiten.
84 Prozent der Kindergärten und -krippen in Ungarn sind komplett staatlich finanziert und werden von den Gemeinden betrieben. Wer mehr Geld in die Hand nehmen möchte – beispielsweise für eine zweisprachige Erziehung –, der findet auch private Kindergärten und -krippen. Diese erhalten auch staatliche Unterstützung, unter anderem finanzielle Zuschüsse und Steuervergünstigungen.
Die Bilanz der ungarischen Familienpolitik fällt leicht positiv aus. Zwischen 2011 und 2023 ist die Fertilitätsrate von 1,3 auf 1,5 Kinder pro Frau leicht angestiegen. Ab 2021 gab es jedoch einen kleinen Rückgang, vermutlich bedingt durch die Coronakrise und den Ukrainekrieg.
Frankreich: 1,6 Geburten pro Frau
Rentenbonus und Steuervergünstigungen
Frankreich gilt als geburtenstarkes Land – zumindest für europäische Verhältnisse. Aktuell liegt die Fertilitätsrate bei 1,6 Kindern pro Frau. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in Europa beträgt lediglich 1,4. Der französische Staat bemüht sich seit längerem, die Fertilitätsrate durch verschiedene Massnahmen zu steigern.
Dazu gehört unter anderem das Kindergeld. Ein Paar bekommt ab dem zweiten Kind etwa 130 Euro, beim dritten 300 Euro.
Familien mit mindestens drei Kindern erhalten eine Familienergänzungsbeihilfe, die monatlich bis zu 258 Euro betragen kann. Ergänzt werden diese Hilfen mit einem Rentenbonus. So erhalten Familien mit drei Kindern einen Rentenbonus von zehn Prozent. Bei Beamten erhöht sich dieser für jedes zusätzliche Kind um fünf Prozent (bis zu einer Obergrenze von 25 Prozent).
Eltern mit einem Kind haben das Recht auf Elternzeit, die sich auf 12 Monate beläuft. Familien mit zwei Kindern können eine dreijährige Babypause in Anspruch nehmen. Bei vollständiger Einstellung der beruflichen Tätigkeit erhält jedes Elternpaar vom Staat etwa 420 Franken pro Monat. Paare, die teilzeitbeschäftigt sind, bekommen Elterngeld in der Höhe von 270 Franken pro Monat. Steuervergünstigungen sind ebenfalls ein integraler Bestandteil der französischen Familienpolitik.
Obwohl Frankreich im europäischen Vergleich relativ gut dasteht, gehen auch hier die Geburten kontinuierlich zurück. Die kinderfördernden Massnahmen scheinen nicht die erhoffte Wirkung zu erzielen. Zwischen 2010 und 2023 sank die Fertilitätsrate um 0,4 Kinder pro Frau.
Die Fertilitätsraten stammen von «Our World in Data».