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«Ich wäre gerne mal ein Raumschiff»
Mike Schaffner, fotografiert von Stefan Schmidlin.

«Ich wäre gerne mal ein Raumschiff»

Legitim und richtig, dass die Menschheit mithilfe der Technologie über die Grenzen der Biologie hinauswächst. Sagt ein überzeugter Transhumanist

Ich habe gelesen, dass Sie zwei Magnete in Ihren Ringfingern haben. Was können die?

Zum einen kann ich mit ihnen Büroklammern und Feuerzeuge ­heben. Zum anderen spüre ich nun elektromagnetische Felder, zum Beispiel die elektrische Spannung im Tram. Meine Magnete geben mir einen sechsten Sinn. Was für andere wie ein Spielzeug klingt, ist für mich tatsächlich eine Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten.

Und was ist mit den beiden Mikrochips in Ihren Händen?

Die Chips sind nichts anderes als ein Gadget aus Bequemlichkeit, mit dem ich zum Beispiel eine Türe öffnen oder mein Handy ­entsperren kann. Ziemlich jeder kennt solche Chips von seiner Kreditkarte, das ist also nichts Neues. Der einzige Unterschied: Bei mir sitzen die Chips unter der Haut. Als ich zum ersten Mal von den Chipimplantaten für Menschen hörte, war der Fall für mich sofort klar: So einen will ich haben. Wieso auch nicht? Meine Katzen sind auch gechippt. Wo liegt da der Unterschied?

Woher kommt die Faszination? Wieso diese Verschmelzung mit der Technik?

Superhelden mit übermenschlichen Fähigkeiten haben mich schon seit meiner Kindheit fasziniert, seit ich das erste Mal «Six Million Dollar Man» gesehen habe. Mit dem Älterwerden habe ich erkannt, dass die Technologie uns den Erwerb von übermensch­lichen Fähigkeiten erlaubt. Ich wurde zu einem überzeugten Transhumanisten: zu jemandem, der die Weiterentwicklung des menschlichen Körpers für wünschenswert erachtet.

Werden wir dann bald alle zum Cyborg, wie es die transhumanistische Bewegung nahelegt?

Der medizinische Nutzen wird in absehbarer Zeit im Zentrum stehen, zum Beispiel um Prothesen durch unsere Gedanken steuern zu können. Eines kann ich aber garantieren: Die Technologie wird noch viel weiter gehen und die Grenzen der Biologie überwinden. Der Mensch fürchtet sich vor so einer Entwicklung. In unserer ­Gesellschaft ist ein tiefer Glaube verankert, dass das Optimum ­eines Menschen innerhalb des Möglichen liege. Aber ist es das wirklich? Betrachten wir mal die menschliche Nase: Wir Menschen würden von uns selbst behaupten, einen guten Riechsinn zu haben. Doch würden wir einem Bluthund die menschliche Nase aufsetzen, dann wäre dieser eigentlich behindert, weil er seine Umwelt nicht mehr in ausreichendem Mass wahrnehmen könnte. Wieso also nicht den Rahmen des Menschlichen sprengen?

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Biologie klassifizieren?

Mein Körper fühlt sich für mich an wie ein Auto: Er ist kein Teil von mir, sondern vielmehr ein Gefährt für meinen Verstand. Einmal hätte ich aufgrund einer Infektion fast meine Hand verloren. Für mich wäre das nicht wirklich schlimm gewesen, ich hätte mir einfach eine neue geholt. Ich identifiziere mich mit meinem ­Verstand, der ein Teil meines Gehirns ist. Der biologische Körper dient keinem anderen Zweck ausser der Erhaltung meines Gehirns. Ein Roboter könnte mit meinem Gehirn alles genau gleich machen – wenn nicht sogar besser.

Haben Sie überhaupt die Kontrolle über Ihren Chip? Oder macht Sie die Digitalspur manipulierbar?

Über kleinere Dinge wie meine Chipimplantate habe ich die Kon­trolle. Der Chip speichert keine Daten, sondern hat nur eine passive Funktionsweise: Es braucht ein unmittelbar naheliegendes Gerät, um ihn auszuwerten. Niemand kann mich aufgrund von meinem Chip kontrollieren.

«Einmal hätte ich aufgrund einer Infektion fast meine Hand verloren.

Für mich wäre das nicht wirklich schlimm gewesen, ich hätte mir

einfach eine neue geholt.»

Wie sieht es mit anderen Anwendungen der Technologie aus? Mit einem Gehirnimplantat zum Beispiel?

Natürlich ist es verlockend, dass man über das Implantat neues Wissen ganz bequem herunterladen und zum Beispiel auf Knopfdruck Französisch sprechen kann. Doch die Idee von einem Gehirnimplantat birgt auch grosse Gefahren: Es könnte zu einer Massenmanipulation führen, indem falsches Wissen durch den Hersteller oder einen Hacker eingespielt wird. Reale Erinnerungen könnten zum Beispiel manipuliert werden, um dort, in der persönlichen Vorstellung der Vergangenheit, eine Werbung zu platzieren. Was vorher eine Cola war, ist plötzlich ein Mineralwasser. Wem vertraue ich genug, um so etwas in mein Gehirn einbauen zu lassen? Einer Privatfirma, die irgendein Marktinteresse hat? Einer Regierung? Ich persönlich vertraue nur mir selbst, wenn es darum geht, was sich in meinem Gehirn abspielt. Eine ­Option wäre vielleicht eine Open-Source-Lösung, bei der die Masse die Kontrolle hat. Leider sehe ich allerdings zu wenig ­technische Fachkompetenz in unserer Gesellschaft, dass so etwas realisierbar wäre.

Und was passiert, wenn der Mensch sich komplett vom biologischen Körper verabschiedet, seinen Verstand auf einen Computer kopiert und vollständig zur Maschine wird?

Sobald «Mind Uploading» möglich ist, reden wir von Posthumanismus. Ich bin dann per se kein Mensch mehr, da ich die rein biologischen Anforderungen dafür nicht mehr erfüllen kann. Für mich persönlich ist das nicht unbedingt etwas Schlechtes! Der endgültige Wechsel zur Maschine würde meinem Verstand und Bewusstsein einen grösseren Spielraum ermöglichen.

Wann wird dieses «Mind Uploading» möglich sein?

Das ist schwer vorherzusagen. Fakt ist: Es wird kommen. Irgendwann wird «Mind Uploading» technologisch möglich sein, das ist lediglich eine Frage der Zeit.

Wie könnte unsere Zukunft denn aussehen?

Genau damit haben sich Science-Fiction-Autoren befasst: Sie beschreiben eine mögliche Zukunft der Menschheit mit der Technologie. Fast alle Sci-Fi-Geschichten beinhalten eine dystopische Vorstellung einer Zweiklassengesellschaft. Ist das, weil man in Utopien keine spannenden Geschichten schreiben kann? Oder ist es schlicht unmöglich, dass man sich unter den heutigen Umständen überhaupt eine gute Zukunft vorstellen kann? Eine Ausnahme gibt es: «Star Trek» hat eine Utopie geschaffen, bei der die Menschheit als Gesellschaft weiterhin funktioniert. Der einzige Weg, wie die Schriftsteller das glaubwürdig vermitteln konnten? Sie haben das Geldwesen abgeschafft. Wir müssen das unbedingt mitbedenken: Die einzige positive Zukunft, die man sich für uns vorstellen konnte, ist die Abschaffung des gegenwärtigen Systems. Im Status quo scheint es unvorstellbar, dass wir auf eine gute Zukunft zulaufen.

Kleines Gedankenexperiment: Angenommen, wir laufen auf die ­Zweiklassengesellschaft zu. Gewisse Leute sind durch die Fähigkeiten der Maschine kräftiger und stärker geworden als ihre Mitmenschen. Was würden Sie tun?

Es wäre völlig blöd, nicht mitzuziehen. Ich manövriere mich nicht absichtlich in die untere Klasse. Es ist reiner Überlebensinstinkt, dann die richtige Entscheidung zu treffen. Ich bin mir ganz sicher: Wenn wir nicht die richtigen Lösungen für unsere Gesellschaft finden, wird es garantiert zu einem solchen Dilemma kommen. Wie verhindern wir, dass eine kleine Minderheit gottähnliche ­Fähigkeiten entwickelt und von ihrer Übermacht profitiert? Um ein mögliches Ungleichgewicht in einem posthumanen Zeitalter zu verhindern, müssen wir heute schon handeln. Wir müssen als Gesellschaft präventiv denken und so rasch wie möglich die Weichen für die Zukunft stellen. Klar, wir könnten dabei Entscheidungen treffen, die unsere Zukunft verbocken. Aber jede Weiche ist besser, als tatenlos auf die Katastrophe hinzusegeln.

Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft? Welche Gadgets möchten Sie unbedingt in Ihrem Körper haben?

In absehbarer Zukunft freue ich mich auf Linsenimplantate, die mir eine dreifach perfekte menschliche Sicht ermöglichen würden. Ein Patent und die Technik dazu existieren bereits, leider fehlt den Entwicklern noch das Geld bei der Finanzierung der ­Clinical Trials für die Massenadaption. Darüber hinaus hoffe ich, dass die Menschheit bald schon über die ungenutzten Möglichkeiten im Bereich der Biologie sprechen wird: CRISPR-Verfahren, Genveränderungen, Brain Hacking oder IQ-Enhancement. In der Optimierung der menschlichen Biologie bietet sich unglaubliches Potenzial: Rein biologisch ist mein Gehirn zwar nicht weit entfernt von jenem von Albert Einstein, doch irgendetwas scheint bei ihm biochemisch anders zu funktionieren. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Geheimnis bald lüften können.

Und wie lautet Ihre Vision für ein posthumanes Zeitalter?

«Mind Uploading» ist mein grosser Traum. Das würde mir ermöglichen, meinen Verstand in einen beliebigen Körper hineinzusetzen, den ich situativ gerade als angemessen empfinde. Ich wäre zum Beispiel unheimlich gerne mal ein Raumschiff. «Mind Upload­ing» würde mir erlauben, neue Welten zu schaffen: Sobald mein Verstand digital ist, kann ich in jede Welt quasi real eintauchen und mich darin bewegen. In meiner Jugend habe ich dieses Gefühl schon sehr ähnlich mit Computerspielen erlebt, ich konnte in eine fremde Welt versinken – das hat mich schon immer fasziniert. Mit «Mind Uploading» wäre auch das Problem der Sterblichkeit beseitigt: Wir könnten den Verstand von Verstorbenen kopieren und in einem Roboterkörper auf unserer Erde weiterbewegen lassen. Wenn wir nicht mehr an die Biologie gebunden sind, dann verliert auch die Zeit ihre Relevanz. Vielleicht würde das der Menschheit helfen, die globalen Probleme hinter uns zu lassen und mit den Möglichkeiten der Technologie neue Universen und Planeten zu erkunden.

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