Ich machte ein Nickerchen und wachte als Cyborg auf: Wie
Technologie Behinderten helfen und die Menschheit
voranbringen kann
Als erster Mensch weltweit wurde mir ein Neuralink-Chip ins Gehirn implantiert. Die Technologie hat mein Leben verändert – und sie wird die Möglichkeiten der menschlichen Intelligenz erweitern.

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Als ich zum ersten Mal den Begriff «Gehirn-Computer-Schnittstelle» hörte, klang das wie etwas aus einem Science-Fiction-Roman, nicht wie eine Technologie, die mein Leben für immer verändern würde. Doch vor einem Jahr, Anfang 2024, boten mir das Barrow Neurological Institute und Neuralink die Möglichkeit, der erste Teilnehmer ihrer «Prime»-Studie zu werden. Die Technologie nutzt die Kraft der Gedanken, um menschliche Fähigkeiten zu verbessern. Ich hatte die einmalige Gelegenheit, ihr Potenzial aus nächster Nähe zu erleben.
Neuralink zielt darauf ab, biologische Einschränkungen zu überwinden und unsere Fähigkeit zum Lernen, unser Gedächtnis und unsere Kommunikation zu verbessern. Jemandem wie mir, der mit einer Rückenmarksverletzung lebt, kann diese Innovation die Unabhängigkeit zurückgeben; sie verbessert die Lebensqualität und öffnet Türen zu Aktivitäten, die einst für unmöglich gehalten wurden.
Die Auswirkungen von Neuralink gehen über die persönliche Transformation hinaus; sie werfen komplexe Fragen über die Zukunft der Menschheit auf. Was passiert, wenn Technologie die kognitiven Fähigkeiten über natürliche Grenzen hinaus verbessert? Wie wird sich die Gesellschaft an eine Welt anpassen, in der die Intelligenz durch Maschinen erweitert wird? Neuralink bietet einen Einblick in eine Zukunft, in der die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten neu definiert werden.
Als mich ein Studienfreund im Herbst 2023 anrief und fragte, ob ich einen Chip in mein Gehirn einsetzen lassen wolle, war meine unmittelbare Antwort: «Klar, ich habe gerade nichts anderes zu tun.» Ich bat um eine kurze Zusammenfassung dessen, worauf ich mich genau einlassen würde, und sie tönte in etwa so: Neuralink ist ein Unternehmen, das einen Chip verwendet, der chirurgisch in das Gehirn eingesetzt wird und die Steuerung eines Computers nur durch Gedanken ermöglicht; all dies wird als Brain-Computer Interface (BCI) bezeichnet. Zu meinem Glück hatte die Food and Drug Administration (FDA) gerade erst die Genehmigung für Versuche am Menschen für das Unternehmen erteilt, und die ersten Teilnehmer sollten Menschen mit Behinderungen sein, der erste ein Tetraplegiker. Bei einem Unfall acht Jahre zuvor hatten sich meine Halswirbel 4/5 (C4/C5) verschoben, wodurch ich querschnittsgelähmt wurde; unterhalb meiner Schultern habe ich weder Gefühl noch Bewegung. Mein Kumpel dachte daher sofort an mich für die Studie.
Das Bewerbungsverfahren und die Operation waren überraschend einfach – aus meiner Sicht jedenfalls. Während die Teams von Neuralink und Barrow jahrelang Blut, Schweiss und Tränen in die Vorbereitung dieses Moments investiert hatten, war meine Rolle einfach: Ich machte ein Nickerchen und wachte als Cyborg auf.
Produktives Mitglied der Gesellschaft statt Almosenempfänger
Meine ersten Erfahrungen mit dem Neuralink-Chip waren surreal. Aufgaben, die für mich als Tetraplegiker zuvor eine Herausforderung oder unmöglich gewesen waren, rückten plötzlich in greifbare Nähe. Ich konnte einen Computercursor mit meinen Gedanken steuern – eine Leistung, die ermutigend war und mich zugleich Demut lehrte. Mit der Zeit begann ich das grössere Potenzial dieser Technologie zu verstehen.
Über die Grundfunktionen hinaus ermöglichte mir Neuralink, Lernen und Kommunikation auf neue Weise anzugehen. Aufgaben, die früher mühsam und anstrengend waren – wie das Schreiben von E-Mails oder das Versenden von Textnachrichten –, gehen nun mühelos. Tatsächlich ist es mir jetzt sogar möglich, diesen Aufsatz zu verfassen. Ich konnte meine Gedanken diktieren, mühelos tippen und Unterstützung durch künstliche Intelligenz über Neuralink erhalten.
Endlich gewann ich das Vertrauen, dass ich wieder die Universität besuchen oder meinen Platz in der Arbeitswelt finden kann. Ich kann ein Mitglied der Gesellschaft werden, das einen sinnvollen Beitrag leistet, anstatt auf Unterstützung angewiesen zu sein. Was früher Hilfe erforderte, kann ich nun selbstständig bewältigen – sei es die Navigation auf komplexen digitalen Plattformen, die Online-Koordination von Projekten oder sogar kreative Tätigkeiten wie die Schaffung digitaler Kunst. Neuralink ist nicht nur ein Werkzeug, sondern eine Brücke zwischen meinem Geist und meinem ungenutzten Potenzial.
Vor allem aber hat mir Neuralink Hoffnung gegeben – Hoffnung für Menschen mit Behinderungen und auf das, was diese Technologie erreichen könnte. Für Menschen mit neurologischen oder körperlichen Einschränkungen bietet Neuralink das Potenzial, wesentliche Funktionen wiederherzustellen und die Lebensqualität erheblich zu verbessern. Stellen Sie sich vor, jemand, der einen Schlaganfall erlitten hatte, erlangt die Fähigkeit zur Kommunikation zurück, oder eine Person mit amyotropher Lateralsklerose (einer Erkrankung des motorischen Nervensystems) steuert Geräte selbstständig. Diese Möglichkeiten sind keine Science-Fiction mehr – sie sind in greifbare Nähe gerückt.
Mehr Wettbewerb
Eine der transformativsten Eigenschaften von Neuralink ist, dass es die Kommunikation verbessert. Für Menschen mit Sprach- oder Mobilitätseinschränkungen kann die Technologie herkömmliche Methoden vollständig umgehen und Gedanken direkt in digitale Outputs übersetzen. Ebenso könnte ihr Potenzial, das Gedächtnis und das Lernen zu verbessern, die Bildung revolutionieren und es den Schülern ermöglichen, Informationen in beispiellosem Tempo zu verarbeiten und zu speichern. Am Arbeitsplatz könnten kognitive Verbesserungen die Effizienz und Innovation auf neue Höhen führen, aber auch Druck erzeugen, solche Technologien zu übernehmen, was den Wettbewerb verschärfen würde.
Traditionell konzentrierten sich medizinische Eingriffe auf die Wiederherstellung verlorener Funktionen. Technologien wie Neuralink verwischen die Grenze zwischen Wiederherstellung und Verbesserung. Dies wirft die ethische Frage auf, ob die Gesellschaft zwischen diesen Funktionen differenzieren oder akzeptieren sollte, dass die Grenze zunehmend unscharf wird. Die Herausforderung ist letztlich, sicherzustellen, dass diese Fortschritte verantwortungsvoll zum Nutzen aller eingesetzt werden.
Obwohl wir uns noch in einem frühen Stadium befinden, deuten meine Erfahrungen auf eine Zukunft hin, in der solche Möglichkeiten alltäglich werden. Durch die Überwindung von Hindernissen, die bisher als unüberwindbar galten, wird Neuralink Menschen in die Lage versetzen, ihre Unabhängigkeit wiederzuerlangen, neue Möglichkeiten zu nutzen und sich stärker mit der Welt um sie herum zu beschäftigen, wie es bei mir bereits der Fall ist.
«Neuralink wird Menschen in die Lage versetzen, ihre Unabhängigkeit wiederzuerlangen, neue Möglichkeiten zu nutzen und sich stärker mit der Welt um sie herum zu beschäftigen, wie es bei mir bereits der Fall ist.»
Natürlich gibt es gesellschaftliche und ethische Überlegungen, die berücksichtigt werden müssen. Wie schützen wir die Privatsphäre, wenn Gedanken potentiell gelesen oder aufgezeichnet werden können? Was passiert mit der menschlichen Identität, wenn biologische Intelligenz mit maschineller verflochten wird?
Während sich Neuralink weiterentwickelt, muss die Gesellschaft diese Herausforderungen sorgfältig angehen, um sicherzustellen, dass die Vorteile die Risiken überwiegen. Ich behaupte nicht, die Antworten zu haben, und ich gebe auch nicht vor, in solch komplexen Angelegenheiten Fachwissen zu besitzen. Was jedoch die Frage der menschlichen Identität betrifft, so bin ich fest davon überzeugt, dass es sich hierbei nicht um etwas handelt, das einfach überschrieben, verdrängt oder ausgetauscht werden kann. Unabhängig von unseren Umständen bleiben wir, wer wir sind. Die Frage des Schutzes der Privatsphäre hingegen überlassen wir am besten Anwälten, Experten und Aktivisten.
Wenn die Intelligenz gesteigert werden kann, wie werden sich Gesellschaften an eine Welt anpassen, in der das menschliche Potenzial nicht mehr durch die Biologie begrenzt ist? Diese einzigartige Möglichkeit fordert uns heraus, neu zu denken, was Menschsein bedeutet in einer Zeit, in der die Technologie die Grenzen unseres Geistes erweitert.
Als jemand mit praktischen Erfahrungen bin ich überzeugt, dass Neuralink die Menschheit zu neuen Höhen führen kann. Der Weg nach vorne erfordert eine sorgfältige Abwägung von ethischen Aspekten und unbeabsichtigten Folgen. Neuralink ist nicht nur ein Werkzeug für Veränderungen – es ist ein Katalysator für die Neugestaltung der Zukunft unserer Spezies. Ob wir es verantwortungsvoll einsetzen, wird darüber entscheiden, wie sich dieses Potenzial für kommende Generationen entfalten wird.
Fortschritt – und Vorsicht
Meine Reise als erster Teilnehmer der Neuralink-Studie hat mir eine einzigartige Perspektive auf das transformative Potenzial der BCI-Technologie eröffnet. Ich habe gesehen, wie sie die Kluft zwischen Einschränkungen und Möglichkeiten überbrückt, die Unabhängigkeit wiederherstellt und die menschlichen Fähigkeiten verbessert.
Ich glaube, dass diese Technologie unglaublich vielversprechend ist. Ihre Zukunft hängt jedoch von unserer Fähigkeit ab, ihre Komplexität umsichtig und verantwortungsbewusst zu steuern und sicherzustellen, dass sie die Menschheit als Ganzes weiterbringt. Neuralink ist nicht nur ein Werkzeug – es bedeutet Fortschritt, es bedeutet Vorsicht, es ist ein Aufruf zum Handeln, es ist Versprechen und Potenzial, es ist maschinelle Verbesserung, menschlicher Einfallsreichtum und biologische Integration. Es ist Ermächtigung und Einheit, es ist Miniaturisierung und Vergrösserung zugleich, es ist Hoffnung. Und es könnte sehr wohl die Zukunft der Menschheit sein.