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«Ich kassiere nur, wenn…»

Banker brauchen einen hippokratischen Eid

Banker sind in ihrem Beruf auf das Vertrauen der Kunden und der Öffentlichkeit angewiesen. Ärzte auch, und sie belegen in der von «Reader’s Digest» ermittelten Rangliste der vertrauenswürdigsten Berufe in der Schweiz einen Spitzenplatz.1 Die Finanzberater dagegen finden sich am unteren Ende der Rangliste, gerade noch vor den Politikern. Als Institutionen figurieren die Banken gar hinter Regierung und Presse. So geht es nicht. Alle klassischen Bankgeschäfte sind mit Kredit verbunden, und Kredit heisst Vertrauen.

Dass viele Banken unter einem Vertrauensdefizit leiden, ist in der Finanzkrise sichtbar geworden. Unerbittlich klar hat das der liberale Denker und Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa letztes Jahr in dieser Zeitschrift formuliert. Er sprach von der Profitgier, die «grosse Manager und Unternehmer, angesehene Bankiers und Financiers derart blind gemacht hat, dass sie ohne jede Weitsicht oder Skrupel Entscheidungen zum Schaden ihrer Kunden und eben jenes Systems trafen, dem sie ihre Macht und ihren Reichtum verdanken».2 Bei diesem Vorwurf geht es nicht um Moral, sondern um Geschäftssinn: Es ist schlicht dumm, den eigenen Kunden zu schaden und das System zu zerstören, von dem man selbst lebt.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solches Handeln zu verhindern. Die schlechteste Lösung wäre die Kriminalisierung durch das Strafrecht. Eine andere böte das Bankenrecht mit der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) als Polizei. Effizient und liberal wäre das aber auch nicht. Die Selbstregulierung durch die Bankiervereinigung funktioniert nicht. Und firmeninterne Reglemente auch nicht, so treffend sie auch formuliert sein mögen.

Im Credit Suisse Code of Conduct liest sich das so: «Unsere Reputation ist unser wichtigstes Gut. […] die Mitarbeitenden [melden] Verstösse gegen Gesetze, Vorschriften, Richtlinien und gegen den Code of Conduct an die zuständigen internen Stellen, […] Meldungen können vertraulich und anonym erfolgen.»3 Im UBS-Verhaltens- und -Ethikkodex steht: «Wird ein Verhalten beobachtet, das der Mitarbeiter nach sorgfältiger Abwägung für einen Verstoss hält, sind Legal & Compliance oder andere zuständige Fachstellen direkt zu benachrichtigen, oder es ist gemäss den geltenden ‹Whistleblowing›-Weisungen zu verfahren.»4

Die beste Lösung des Vertrauensproblems finden die Banker bei den Ärzten. Seit über 2000 Jahren schwört der Arzt auf Gott Apollo den Eid des Hippokrates. Dabei ging und geht es nicht bloss um eine ethische Ausübung des eigenen Berufs, sondern auch um den Schutz des eigenen Standes, um die ökonomische Absicherung des Arztberufs und um die Sicherstellung des Nachwuchses. Der Eid soll also nicht aus irgendwelchen «moralischen» Gründen geschworen werden, sondern zum Schutz der eigenen Person, des eigenen Berufs und der eigenen Branche.

Das Heil im Straf- oder Verwaltungsrecht, in der Selbstregulierung der Branche oder in Firmenvereinbarungen zu suchen, wie dies nun viele fordern, löst das Problem nicht. Der Schlüssel zum Vertrauen liegt beim einzelnen Menschen, beim Banker. Jeder Banker soll es dem Arzt gleich tun und einen Eid schwören. Wer das nicht will, wird nicht Banker. Der Banker würde im Gegensatz zum Arzt nicht Apollo anrufen, sondern Hermes, den Schutzgott der Kaufleute. Dabei weiss er und hält sich stets vor Augen:
Hermes ist auch der Gott der Diebe, und er führt die Seelen der Verstorbenen in den Hades.

Der neue Eid

Wie soll der Eid des Bankers formuliert sein? Die Einleitung und den Schluss seines Eides kann der Banker leicht angepasst vom Arzt übernehmen. Die entsprechenden Formulierungen heissen:

Einleitung: «Ich schwöre und rufe Hermes […] und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde.»

Schluss: «Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.»

Und was steht zwischen Einleitung und Schluss? Es gibt so viele schöne Dinge, die man fordern könnte: Der Banker soll das Gute und Schöne tun, die Gesetze beachten, Interessenkonflikte vermeiden, sozial sein, die Umwelt schonen, den Weltfrieden fördern, die Chancengleichheit der Mitarbeitenden sicherstellen, Frauen (und Männer) fördern.

Das sind Wohlfühlplattitüden, die besonders gerne von Politikern mit Blick auf ihre Gegner eingefordert werden und mit denen fast jeder einverstanden ist. Konkret werden solche moralischen Forderungen nie. Die Amerikaner nennen dies «motherhood and apple pie» – zu Deutsch: eitel Geschwätz.

Der Eid des Bankers muss sich, soll er Sinn machen, vielmehr auf die Kerntätigkeit des Bankgeschäfts beziehen. Ethische Grundsätze, die für alle Angehörigen einer Gesellschaft gelten, gehören nicht in diesen Eid. Der Eid ist spezifisch. Und er gilt nicht einfach für alle Finanzbereiche. Es ist nicht nötig, dass ein Hegde-Fund-Manager oder ein Private-Equity-Experte den Eid ablegt. Der Eid ist das, was den Banker von anderen Berufen, auch solchen aus dem Finanzbereich, abhebt. Die meisten Finanzgeschäfte, mit Ausnahme der gewerbsmässigen Entgegennahme von Publikumseinlagen, können heute auch ohne Banklizenz betrieben werden. Wer aber den Ausdruck «Bank» oder «Bankier», allein oder in Wortverbindungen, verwendet, ist ein Banker und verfügt über das Privileg einer Bankenlizenz. Dafür bedarf er einer Bewilligung der Finma und wird von dieser überwacht. Dem Eid des Bankers kommt damit die Aufgabe zu, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und die Bewertung der Motive und Folgen dieses Handelns aufzustellen. Der Eid basiert auf dem Prinzip der Vernunft und des eigenen Interesses, das zugleich das Interesse des eigenen Standes einschliesst.

Folgen wir Mario Vargas Llosas Kritik, die Banker träfen «Entscheidungen zum Schaden ihrer Kunden und eben jenes Systems […], dem sie ihre Macht und ihren Reichtum verdanken», dann genügt es, zwei Sätze in den Eid des Bankers zu schreiben:

«Ich stelle im Zweifelsfall und im Rahmen der Gesetze die In-teressen der Kunden vor andere, entgegengesetzte Interessen.»

«Ich kassiere einen eventuellen Gewinn aus einer Tätigkeit oder Investition nur dann, wenn ich bereit und in der Lage bin, auch den entsprechenden Verlust zu tragen.»

Widerspricht der Eid des Bankers dem marktwirtschaftlichen Credo? Adam Smith, der Gründungsvater der Volkswirtschaftslehre, schrieb in seinem 1776 erschienenen Buch «Der Wohlstand der Nationen», dem Gemeinwohl sei am besten gedient, wenn jedes Individuum nur in seinem Eigeninteresse handle. Der berühmte Satz über den wirtschaftenden Menschen lautet: «In der Tat beabsichtigt er nicht, das öffentliche Interesse zu fördern, noch weiss er, wie stark er es fördert. […] Er strebt nur nach seiner eigenen Sicherheit (his own security), […] er strebt nur nach seinem eigenen Gewinn (his own gain). Dabei wird er, wie auch in vielen anderen Fällen, von einer unsichtbaren Hand geführt, um einen Zweck zu fördern, der durchaus nicht in seiner Absicht lag.»5

Der Banker folgt dem eigenen Interesse, wenn er dem Interesse des Kunden folgt. Damit fördert er zugleich das allgemeine Interesse, indem er Vertrauen schafft und bestätigt. Adam Smith benennt darüber hinaus die zwei Ziele des wirtschaftenden Menschen: die Vermeidung von Verlusten (security) und die Erzielung von Gewinn (gain). Dabei ist klar: Es bestehen keine Aussichten auf Gewinn ohne Inkaufnahme von Risiko. Professor Marc Chesney von der Universität Zürich nennt die Verbindung von Gewinn und Verlust bzw. von Chance und Risiko ein «grundlegendes Prinzip des Kapitalismus».6 Von einem Banker den Eid einzufordern, nicht gegen das grundlegende Prinzip des Kapitalismus zu ver-stossen, ist sicher nicht ungebührlich.

Fundamentale Veränderungen

Zu beachten ist, dass seit der Publikation von «Wohlstand der Nationen» mindestens zwei fundamentale Veränderungen in der Gesellschaft eingetreten sind. Erstens die Einführung der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im Staate New York für Industriefirmen (nicht aber für Banken) im Jahr 1811. Dadurch wurde die von Adam Smith beschriebene Symmetrie der Anreize von Risiko und Chance für die Eigentümer teilweise aufgehoben. Dasselbe gilt für die Rechtsform der Aktiengesellschaft, eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts: Aktionäre haften nicht persönlich für die Schulden der Gesellschaft, ihr Risiko beschränkt sich auf ihre Kapitaleinlage. Die zweite Veränderung ist die damit ermöglichte Trennung von Eigentum und Verantwortung bzw. Führung. Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass sich in der modernen Wissensgesellschaft die Machtverhältnisse zu Lasten der Kapitalgeber und zu Gunsten der Manager verschoben haben. Die neuen Gegebenheiten und Machtverhältnisse haben die Anreize und das Funktionieren der Marktwirtschaft massgeblich verändert. Hinzu kommt, dass heute grosse Banken aufgrund ihrer Sonderstellung als systemrelevante Institute kaum mehr in Konkurs gehen können.

Adam Smith hat die besondere Rolle des Vertrauens für das Bankgeschäft in einer Fussnote zum Kapitel über die Ungleichheit der Gewinne und Löhne erwähnt. Dort sagt er: «Einige Gewerbe, beispielsweise dasjenige eines Bankers, können zwangsläufig auf Personen mit einer überdurchschnittlichen Glaubwürdigkeit beschränkt werden.»7

Adam Smith würde heute von den Bankern einen Eid fordern.

 

 

1 www.readers­digest.ch/userfiles/readers_digest_broschure_mosttrustbrand.pdf.

2 Mario Vargas Llosa: Kapitalismus und Moral. In: Schweizer Monat, Februar 2012. S.80-87.

3 www.credit-suisse.com/governance/doc/code_of_conduct_de.pdf.

4 www.ubs.com/global/de/about_ubs/about_us/code_of_conduct.html.

5 Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Book IV, Chapter 2.

6 Mark Chesney: Haben die Finanzmärkte den Kapitalismus verraten? In: Der Schweizer Treuhänder. Nr 8, 2009.

7 Adam Smith: Wealth of Nations. Book 1, Chapter 10.

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