Ich habe ein Sandwich selber hergestellt – und dabei einiges über die moderne Wirtschaft gelernt
Die Industrialisierung hat uns viele grosse Errungenschaften gebracht, die wir als selbstverständlich ansehen. Dadurch verstehen wir immer weniger, was dahintersteckt.
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Die moderne Welt ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie viel Spezialisierung nötig ist, um ein einziges Produkt herzustellen. Komplexe Lieferketten sollen dabei helfen, alles so billig wie möglich zu machen. Betrachten wir beispielsweise ein Sandwich: vom Bauern, der den Weizen anbaut, über denjenigen, der die Kuh melkt und den Käse herstellt, bis hin zum Metzger, den Lastwagenchauffeuren, den Verarbeitern, den Verpackern und den Verkäufern im Supermarkt: Hunderte Menschen tragen dazu bei, dass Sie Ihr Sandwich geniessen können. All das geschieht jedoch hinter den Kulissen, sodass wir immer weniger darüber wissen, was tatsächlich nötig ist, um etwas herzustellen, das wir verwenden.
Diese Entfremdung selbst von den Dingen, die wir essen, hat mich vor zehn Jahren dazu inspiriert, eine vermeintlich simple Aufgabe zu versuchen: ein Sandwich komplett selbst herzustellen. Mein Video darüber ging viral, weil es zeigte, wie komplex scheinbar einfache Dinge sind, wenn man jeden Schritt selbst ausführt. In den vergangenen zehn Jahren habe ich auf meinem YouTube-Kanal «How to Make Everything» die unsichtbare Komplexität hinter Alltagsgegenständen erforscht und zu verstehen versucht – eine Erfahrung, die mein Weltbild komplett verändert hat. Es ist eine verlorene Kunst, Dinge auf die harte Tour zu machen und nicht immer den effizientesten Weg zu wählen. Ich finde, jeder sollte das in irgendeiner Form in sein Leben integrieren.
Die unbeabsichtigten Nebenwirkungen des Fortschritts
Einer der Schwerpunkte meines Kanals ist die industrielle Revolution und die Entfremdung von den Dingen, die wir nutzen. Noch vor ein paar hundert Jahren arbeiteten die meisten Menschen in der Landwirtschaft – in den USA waren es 90 Prozent, heute sind es etwa 12 Prozent – und trugen so direkt zu ihrer Ernährung und den Produkten bei, die sie verbrauchten. Doch seit der Steinzeit erfand die Menschheit immer neue Technologien, um die Arbeit effizienter zu machen. Die industrielle Revolution brachte eine Explosion neuer Technologien mit sich, angetrieben von der Dampfmaschine, und löste einen der grössten Umbrüche in der Produktion und in der Beziehung des Durchschnittsbürgers zur Produktion aus. Von der Spinnmaschine und der Cotton Gin (Entkörnungsmaschine) bis hin zur Eisenbahn und dem Dampfschiff wurden die Herstellungsprozesse wesentlich effizienter, sodass die Massenproduktion von Gütern möglich wurde. Anstatt Alleskönner zu sein, konnten sich die Menschen auf einen ganz bestimmten Teil der Lieferkette konzentrieren. Das schuf ein hocheffizientes System, steigerte den Wohlstand und verbesserte die Lebensqualität der meisten Menschen.
«Es ist eine verlorene Kunst, Dinge auf die harte Tour zu machen und nicht immer den effizientesten Weg zu wählen. Jeder sollte das in irgendeiner Form in sein Leben integrieren.»
Doch wie bei fast jeder bahnbrechenden Technologie, mit der ich mich beschäftigt habe, bringen weltverbessernde Innovationen oft auch unbeabsichtigte negative Folgen mit sich. Die Kehrseite dieser Effizienz in Verbindung mit der Entfremdung vom Produktionsprozess ist, dass wir heute in einer Welt leben, die besessen davon ist, alles so billig wie möglich zu produzieren. Unsere Wirtschaft lebt von Einwegprodukten und geplanter Obsoleszenz. Einmal benutzen und weg damit.
In den vergangenen zehn Jahren habe ich alles Mögliche herzustellen versucht: Lebensmittel, Textilien, Bücher und Brillen. Die Ergebnisse sind langsam, ineffizient und erreichen selten die Qualität der gekauften Produkte.
Aber wie bei so vielen Dingen im Leben geht es nicht um das Ziel, sondern um den Weg dorthin. Jedes Projekt zwingt mich, etwas zu erforschen, über das ich vorher nie wirklich nachgedacht habe. Nehmen wir Schokolade als Beispiel: Bevor ich sie selbst herstellen wollte, wusste ich nicht, dass sie aus den Früchten des Kakaobaums gewonnen wird und dass diese fermentiert, getrocknet und geröstet werden müssen, bevor sie zu dem werden, was wir als Schokolade kennen. War meine selbst gemachte Schokolade die beste, die ich je gegessen habe? Definitiv nicht. Aber sie war die befriedigendste, weil ich jeden Schritt selbst ausgeführt und verstanden habe.
Eine ganz andere Befriedigung
Ich versuche, weder die industrielle Produktion auf den Kopf zu stellen, noch die Leute davon zu überzeugen, nichts mehr zu kaufen. Meine Arbeit ist vielmehr ein Gegengewicht. So bequem es ist, auf «Jetzt bestellen» zu klicken und sich etwas nach Hause liefern zu lassen, es ist eine ganz andere Befriedigung, die Lieferkette zu umgehen und etwas selbst herzustellen.
«War meine selbst gemachte Schokolade die beste, die ich je gegessen habe? Definitiv nicht. Aber sie war die befriedigendste, weil ich jeden Schritt selbst ausgeführt und verstanden habe.»
Seit meinem ersten Sandwichprojekt habe ich weiter im Garten gearbeitet und meine eigenen Lebensmittel (und gelegentlich auch Textilien) angebaut. Jedes Jahr verbringe ich Tage damit, Kompost auszubringen, zu pflügen, zu pflanzen, zu jäten, und bezahle eine ziemlich teure Wasserrechnung, um am Ende eine bescheidene Ernte an Tomaten, Brokkoli und anderen Pflanzen einzufahren. Selbst in einem guten Jahr kosten meine Tomaten zwei- bis fünfmal so viel wie im Supermarkt. Aber darum geht es mir nicht. Es geht darum, mit dem Prozess in Verbindung zu bleiben und zu lernen, wie man besser wird. Der Grossteil meiner Lebensmittel kommt zwar immer noch aus dem Laden, aber ich bin stolz darauf, Teil des Produktionsprozesses zu sein, auch wenn es nur in kleinem Rahmen ist.
Die Fähigkeiten der Vergangenheit bewahren
Die industrielle Revolution hat die Welt verändert. Heute stehen wir vor einem weiteren Wandel: Technologien wie 3D-Druck, CNC-Bearbeitung und künstliche Intelligenz werden immer erschwinglicher und zugänglicher. Mithilfe dieser Tools können Produkte in professioneller Qualität mit weitaus weniger Fachwissen oder Fähigkeiten hergestellt werden. Heute kann man eine Vorlage herunterladen oder von einer KI erstellen lassen und sie dann zu Hause in 3D drucken oder maschinell bearbeiten – und das, ohne jahrzehntelange Erfahrung in Programmierung, Modellierung und maschineller Bearbeitung zu benötigen. Diese Annehmlichkeit birgt jedoch auch ein Risiko: Etwas «selber machen» könnte bald genauso wenig mit dem eigentlichen Herstellungsprozess zu tun haben wie das Drücken einer Taste, um etwas online zu kaufen. Unser Verständnis davon, wie Dinge hergestellt werden, könnte vollständig verschwinden.
Wie bei jedem grossen technologischen Wandel gibt es auch bei KI und anderen neuen Tools Gegenbewegungen und Widerstand. Im 19. Jahrhundert kämpften die Ludditen gegen die Folgen der industriellen Revolution. Aus Angst um ihre Existenz und Lebensweise wehrten sie sich gegen den Wandel und zerstörten manchmal sogar Maschinen. Letztendlich scheiterten ihre Bemühungen, die Industrialisierung setzte sich durch und viele Menschen, deren Fähigkeiten nicht mehr gefragt waren, wurden arbeitslos.
Heute werden die Ludditen oft als rückständig und fortschrittsfeindlich dargestellt. Sie gelten als warnendes Beispiel dafür, dass man sich neuen Technologien nicht verschliessen sollte. Doch viele ihrer Bedenken waren berechtigt. Auch heute gibt es vieles, das es zu bewahren wert ist, während wir uns weiterentwickeln. Neue Technologien sollten auf jeden Fall eingesetzt werden, wenn es auf Geschwindigkeit und Effizienz ankommt. Aber es ist ebenso wichtig, die Fähigkeiten der Vergangenheit zu bewahren, die sonst in Vergessenheit geraten würden.
«Selbst in einem guten Jahr kosten meine Tomaten zwei- bis fünfmal so viel wie im Supermarkt.»
Zwar kann eine CNC-Maschine ein Messer schnell und präzise herstellen, doch das Formen von Metall mit Hammer und Amboss ist eine zeitlose Fertigkeit, die wir nicht vergessen sollten. Wir können und sollten die Uhr in puncto Effizienz, Innovation und globaler Zusammenarbeit, die uns einen einst unvorstellbaren Komfort ermöglichen, nicht zurückdrehen. Aber wir können uns ab und zu aus diesem System lösen und den langsamen, unvollkommenen Prozess des Neuerschaffens von Grund auf erleben.
Wer den schwierigen Weg geht, lernt den einfachen zu schätzen; je besser wir die alten Fertigkeiten verstehen, desto mehr können wir die Errungenschaften der Gegenwart wertschätzen. In einer Welt von Sofortlieferungen und makelloser Massenproduktion liegt eine stille Befriedigung darin, Messer auf einem Amboss zu formen, Teig mit den Händen zu kneten oder Tomaten aus einem Samen zu ziehen. Nicht, um das zu ersetzen, was uns die moderne Wirtschaft bietet, sondern um unsere Dankbarkeit dafür zu vertiefen. Indem wir es wagen, zu scheitern, zu lernen und es erneut zu versuchen, können wir die Fertigkeiten der Vergangenheit am Leben erhalten und gleichzeitig die Annehmlichkeiten der Gegenwart voll und ganz geniessen. Und vielleicht schaffen wir dabei etwas, das es wert ist, genossen zu werden – auch wenn es nicht das beste Sandwich aller Zeiten ist.
Aus dem Englischen übersetzt von Lukas Leuzinger. Der Beitrag ist auf schweizermonat.ch in Originalsprache verfügbar.