«Ich habe den coolsten Job der Welt»
Ein Tag im Leben von Frederik Flöther: Als Chief Quantum Officer steht er an der Schnittstelle von Wissenschaft und kommerzieller Umsetzung.

Ein wenig Ehrfurcht begleitet mich schon auf dem Weg zu meiner Verabredung mit Frederik Flöther von Quantum Basel. Immerhin sind dies meine ersten Gehversuche in der wunderlichen Welt dieser unfassbaren, geradezu störrischen Quanten, von denen man nie genau weiss, wo sie sich gerade aufhalten und was sie machen.
Frederik Flöther, 35, hat einen ungewöhnlichen Jobtitel: Chief Quantum Officer (CQO). Doch was genau macht ein CQO? Das will ich herausfinden, in Arlesheim. Die schmucke Gemeinde vor den Toren Basels ist vor allem für ihren barocken Dom und die grösste englische Gartenanlage der Schweiz – die Ermitage – bekannt, als exklusive Wohnlage auch. Immer öfter wird die Baselbieter Gemeinde auch im Zusammenhang mit der möglicherweise bevorstehenden «Quantenrevolution» genannt. Denn auf dem Industrieareal Uptown Basel, wo auch Flöther seit 2023 arbeitet, sollen dereinst bis zu 100 Technologiefirmen angesiedelt werden und über 2000 Arbeitsplätze entstehen. Im Zentrum: ein Hub für Quantum und KI.
Quantum als Hobby
Der promovierte Physiker hat an der Universität Cambridge studiert, wo er sich mit photonenbasierten Quantencomputern befasst hat. Bevor er zu Quantum Basel stiess, war er über sieben Jahre bei IBM. Anfänglich habe er dort Quantum «mehr als Hobby» betrieben, bevor er dann später für KI und Quantencomputing zuständig war, insbesondere in den Bereichen Life Sciences und Gesundheitswesen.
Heute ist es Flöthers Hauptaufgabe, den Aufbau des Quanten-Campus wissenschaftlich und operativ zu begleiten und die Firma zum Erfolg zu führen. «Ich trage zwei Hüte – einen Forschungshut und als stellvertretender CEO auch einen strategischen Businesshut», erklärt Flöther. Als oberster «Herr der Quanten» im Haus ist er auch um die technologische Exzellenz besorgt, berät Firmen oder kümmert sich um die vielen Partnerschaften. Oft tut er dies zusammen mit dem CEO Damir Bogdan. Die beiden sind ein eingespieltes Doppel: Bogdan der «Aussenminister» und Netzwerker, Flöther das wissenschaftliche Gewissen.
«Die Vielfalt in meiner Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technik und Anwendung ist einzigartig. Ich habe wirklich den coolsten Job der Welt», sagt Flöther und strahlt übers ganze Gesicht. Sein Quantenteam entwickelt Quantenalgorithmen für Firmen, Start-ups und Universitäten mit industriespezifischen Problemen und bringt diese auf Quantencomputern zum Laufen, dort also, wo Algorithmen ihre Rechenwunder vollbringen.
Vergangenen November wurde hier der erste kommerziell nutzbare Quantencomputer der Schweiz in Betrieb genommen, was national und international für Schlagzeilen sorgte. Hergestellt wurde er von der amerikanischen Firma IonQ. «Bei komplexen Aufgaben sind Quantencomputer manchmal klar im Vorteil, da sie Lösungsmöglichkeiten simultan bearbeiten können. Zukünftige Quantencomputer sind somit hoffentlich schneller, genauer und energieeffizienter», erklärt Flöther. Es sei jedoch noch ein weiter Weg. Die Industrie befinde sich in einer frühen Phase. Das Quanten-Kompetenzzentrum soll dabei technologieagnostisch sein; ein neutraler Hub also, der auf verschiedene Technologien und Hersteller von Quantencomputern setzt.
«Die Vielfalt in meiner Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technik und Anwendung ist einzigartig. Ich habe wirklich den coolsten Job der Welt.»
Sofortiger Profit nicht oberste Priorität
Kurzer Boxenstopp an der Kaffeemaschine. Diese benötigt einen Service, und gleich mehrere Quantenexperten kümmern sich rührend um das bedürftige Gerät. Vorerst jedoch ohne Erfolg. Wie tröstlich, denke ich im Stillen, dass auch «Quantenmenschen» mit ihren beeindruckenden Lebensläufen hin und wieder an ganz normalen Problemen scheitern.
Flöther ist im ostdeutschen Zwickau geboren, hat dann aber kaum in Deutschland gelebt. Seine Familie zog nach der Wiedervereinigung Deutschlands in die Schweiz und ein Jahrzehnt später nach Belgien, wo Frederik eine International School nahe Antwerpen besuchte. Von dort ging es direkt zum Studium nach Cambridge.
Das Geschäftsmodell von Quantum Basel ist einfach: Einerseits erhalten Firmen exklusiven Zugang zu Quanten-Rechenkapazitäten. Anderseits werden Kunden bei der Transformation ins neue Quantenzeitalter begleitet und beraten. Flöther ist überzeugt, dass das Quantenvirus dereinst fast alle Wirtschaftszweige erfassen wird. Wann und wie das der Fall sein wird, ist indes offen. Profitabilität ist wichtig, wenn auch noch in weiter Ferne. Schnellstmöglicher Profit ist nicht das vorrangige Ziel von Quantum Basel – kann es bei der offenen Ausgangslage wohl auch nicht sein.
Flöthers Tage sind oft durchgetaktet. Meetings hier, Präsentationen da, einen typischen Arbeitstag gebe es nicht. Oft sind es Treffen mit Start-ups, wo es zum Beispiel um automatisierte Bilderkennung bei Krebserkrankungen geht – selbstverständlich unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz und Quantenalgorithmen. Auch mit der Geschäftsleitung von IonQ, die gerade im Haus ist, gibt es viel zu besprechen. Die Entwicklung der nächsten Generation Quantencomputer mit zusätzlichen 28 Qubits ist bereits in Planung. Klingt nicht nach viel, ist es aber. Denn jedes zusätzliche Qubit steht für eine Verdoppelung der theoretischen Rechenleistung. Das Tempo ist hoch, der Fortschritt scheint unaufhaltsam. «Noch nie so schnell wie heute, nie mehr so langsam wie heute», lautet ein Bonmot in der Branche. Ich höre von der anvisierten «Quanten-Demokratisierung» – jeder soll Zugang zu dieser Technologie haben.
«Die Entwicklung der nächsten Generation Quantencomputer mit zusätzlichen 28 Qubits ist bereits in Planung. Klingt nicht nach viel, ist es aber.»
Botschafter wissenschaftlicher Exzellenz
Seinen Alltag gestaltet Flöther mit dem Einbau von «Deep Work Pockets», wie er das nennt. Phasen also, in denen intensives, kreatives und ungestörtes Denken oder Schreiben stattfinden kann, das über das blosse Verfassen von E-Mails und dergleichen hinausgeht. Zugleich versucht er jeweils viele Businessmeetings an einen Strang zu legen. Oder wie er es ausdrückt: «Meine Arbeitstage bestehen aus einem ‹Maker Schedule› und einem ‹Manager Schedule›.»
Flöther ist ein Morgenmensch, regelmässig beginnt er den Tag mit einem Work-out. Der Quantenflüsterer lebt mit seiner Frau in der Region Zürich und pendelt jeweils ins basellandschaftliche Arlesheim. Oft nächtigt er auch in einem nahegelegenen Hotel. Er ist passionierter Tennisspieler. Im Racketlon, einer Kombination verschiedener Schlägersportarten, war er einmal Vizeweltmeister und hat es zu nationalen Titeln in Belgien und Grossbritannien gebracht.
Flöther betreibt auch eigene Forschung, ist an diversen internationalen Projekten beteiligt und Urheber von über 40 wissenschaftlichen Arbeiten und angemeldeten Patenten. Hinzu kommen Pressearbeit, Präsentationen und Panelteilnahmen. Als eine Art Botschafter verkörpert er wissenschaftliche Exzellenz gegen aussen. Mit seiner Frau, einer promovierten Wirtschaftsinformatikerin und KI-Expertin bei SAP, arbeitet er zurzeit an einem gemeinsamen Buch rund um Ethikfragen zur KI. Vieles scheint Flöther leicht zu fallen. Eines hat er bis jetzt aber noch nicht geschafft: seinen Eltern zu erklären, was er eigentlich macht.
«Vieles scheint Flöther leicht zu fallen. Eines hat er bis jetzt aber noch nicht geschafft: seinen Eltern zu erklären, was er eigentlich macht.»
Was mir in Erinnerung bleiben wird, ist der spürbare Optimismus, der Wille, Probleme neu zu denken und an der Zukunft zu arbeiten, im Bewusstsein, möglicherweise an etwas Grossem, gar Weltveränderndem mitzuarbeiten. Leidenschaft und Optimismus scheinen jedenfalls zu den Grundanforderungen aller Mitarbeiter zu gehören. Es ist eine eigenartige Mischung aus Aufbruchsstimmung und gleichzeitiger Ahnungslosigkeit, wohin die Reise gehen wird. Quantum wird noch zu reden geben, auch wenn der «ChatGPT-Moment» weiterhin auf sich warten lässt.