Ich brauche nicht noch eine Überwachungswanze in der Tasche
Warum ich seit drei Jahren ohne Smartphone lebe.
«Haben Sie denn schon die Covid-App installiert?», fragte mich neulich beim Covid-Test im Unispital Zürich eine freundliche Hilfskraft. «Nein», sagte ich, zückte mein Handy und winkte damit durch die Luft: «Hatte Probleme beim Installieren.» Mein Handy ist ein alter Nokia-Knochen, ein Notgerät aus der vordigitalen Steinzeit, als man noch keine Apps kannte. Schon eine SMS damit zu schreiben ist die Hölle. Es kann quasi nichts ausser Telefonieren, und da ich auch noch ungern telefoniere, ist es mir am nützlichsten als Wecker.
Vor drei Jahren beerdigte ich mein Smartphone offiziell. Es kam der Punkt, an dem ich merkte: Das Gerät bringt mir mehr Schaden als Nutzen. Schon klar, praktisch ist es. Ich bin kein Technologieverweigerer. Mal schnell etwas nachschauen, eine Sprachnachricht aufnehmen, eine Notiz eintragen, nach dem Weg schauen. So vieles ist auf dem Smartphone heute möglich, dass es mich fast rund um die Uhr in seinen Bann gezogen hatte. Doch im Gegenzug für die Hilfe, die es mir versprach, verlangte es von mir immer mehr Aufmerksamkeit. Es brummte und piepte, hatte immer etwas Wichtiges für mich zu vermelden. Es wollte getätschelt, gestreichelt und gedrückt werden, wie eine verhaltensauffällige Katze. Und es war überall dabei, auch wenn ich arbeiten wollte und eigentlich Ruhe brauchte. Vielleicht kommen andere damit besser klar als ich, aber der kleine, praktische 1000-Euro-Taschencomputer fing an, mir den Nerv zu rauben und meine Konzentration zu zerschiessen. Also: weg damit.
Ein zweiter Grund war auch die zunehmende Überwachungsmöglichkeit. Das Smartphone ist längst wie eine Wanze benutzbar, es ist wie ein intimer Freund, der aber gerne anderen alles weitererzählt. Auch die Apps tracken mein Verhalten quasi permanent. Sicher, das tun Facebook und Co. auch, und letztere nutze ich immer noch. Insofern mache ich mich weiterhin transparent. Aber immerhin auf einem Gerät weniger. Viele fragen mich: Wie geht das ohne Smartphone? Wie findest du den Weg? Es geht dann doch erstaunlich gut. Und wenn´s doch mal nicht geht, kann ich ja jemanden nach dem Weg fragen – jemanden, der ein Smartphone hat.
Es gibt in Stanley Kubricks Film «2001 – Odyssee im Weltraum» diese Szene, in der Astronaut Frank Poole vom Bordcomputer Hal 9000 Einlass in das Raumschiff nach einem Weltraumausstieg begehrt. «Das kann ich leider nicht tun», lautet die Antwort. Die Tür bleibt zu. Ausgesperrt von Technologie, die einem dienen soll: eine Horrorvorstellung. Hal 9000 tötet am Ende die ganze Besatzung bis auf einen. Aber eben Fiktion. Doch welche Rolle werden diese netten lustigen Geräte, die unser Leben bisher vor allem vereinfacht haben, unter wechselnden Vorzeichen spielen, zum Beispiel im Zuge einer verstärkten Überwachung, die uns durch Corona droht? Was, wenn auf dem Smartphone mal Gesundheitsdaten, biometrische Daten, Impfausweis und vieles mehr gespeichert sind? Wenn man keinen Schritt mehr unüberwacht tun kann, da es gesetzlich vorgeschrieben ist? Jetzt macht man es freiwillig. Aber wo sind die roten Linien für jeden einzelnen? Gibt es sie noch?
Am Smartphone sieht man beispielhaft: Technologie ist janusköpfig, sowohl katastrophal als auch fantastisch. Was einen befreit, kann einen im nächsten Moment versklaven. Noch lieben die Menschen die elektronische Unterwerfung unter das Aufmerksamkeitsregime des Gerätes. Doch was, wenn sich dieses in einer Covidbekämpfungsdiktatur bald als Fussfessel erweist? Werden sie dann anfangen, Big Brother zu lieben, wie Orwell vorhergesagt hat?
Der Technikphilosoph Günter Anders meinte mal, dass der Mensch eine Scham empfinde vor der beschämend hohen Qualität der selbstgemachten Dinge. Er nannte es die «prometheische Scham». Doch sollte sich der Mensch von heute nicht mehr dafür schämen, dass er wie selbstverständlich täglich eher ein Gerät einschaltet, von dem er kaum weiss, wie es funktioniert, anstatt seinen eigenen Kopf?