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I wo, Vater der Pille!

Nicht mehr lang, und die Forschung wird verkünden: Der künstliche Samen ist erschaffen. Und danach die künstliche Eizelle und der künstliche Uterus. Ausgegeben wird das unter der Losung «Kampf der Zeugungsunfähigkeit». Ein Blick in die nahe Zukunft.

Welchem Mann graut nicht davor: Genfehler, Fahrradunfall, Kinderkrankheit, und du bist zeugungsunfähig – das ist die schlimmste aller Strafen für den Mann. Das Kainsmal Geht nicht vernichtet das, was den Mann erst im Glauben leben lässt, zu sein; es negiert die Männlichkeit des Mannes. 

So wird der künstliche Samen zunächst triumphal empfangen werden und der Erfinder des Spermiums aus der Retorte zum Helden aller Väter erklärt. In unserem Triumph indes werden wir die wahren Folgen dieser Entdeckung übersehen. Was nämlich geschieht, sobald der Mann dem Leben nicht länger seinen Samen wird dazugeben müssen? Wozu noch Männer, wenn Frauen auch ohne sie schwanger werden können?

Nicht mehr lang auch, und die Forschung wird abermals verkünden: Die künstliche Eizelle ist erschaffen. Und wie unlängst beim künstlichen Spermium wird wahrlich ein «Halleluja!» erklingen, es wird ein Lachen bereitet (Genesis 21,6). Denn da die späte Mutterschaft Sarahs eine nicht biologische sein musste, so wird auch unfruchtbaren Frauen künstliche Fruchtbarkeit beschert werden. Schon heute gibt es Kinder wie den kleinen Connor Levy, dessen Erbgut noch vor Verpflanzung der in vitro befruchteten (IVF) Eizelle in den Mutterleib vollständig dekodiert worden ist. Schon morgen, ginge es nach dem Willen der Briten, wie eine Umfrage vom März 2013 besagt, würden im Vereinigten Königreich Kinder mit drei biologischen Eltern erlaubt – um mitochondriale Erbkrankheiten auszuschliessen.

Und schon übermorgen wird der künstliche Uterus kommen. Wir werden den Menschen ausserhalb des weiblichen Körpers zu züchten wissen, und das, was sich soeben noch als Metapher las, wird greifbare und gleichsam nicht mehr hörbare Wirklichkeit: Mütter werden Mütter ohne Mutterwehen, und statt des Kreiss-saals, in dem Frauen zu kreischen hatten, wird vorsintflutlich gelacht und frohlockt – und Papa und Mama stossen beim In-vitro-Partus aufs neue Leben an.

Gewiss, wir können uns die Forschung daran verbieten. Wir können Ethikkommissionen in der Provinz einsetzen oder auf Würdenträger hören. Und doch wird der künstlich gezeugte und geborene Mensch kommen. Frau und Mann müssen schon heute nicht mehr Sex haben, um zu zeugen, und bald werden Frauen, dann erst endlich frei, nicht gebären müssen, um Leben zu schenken. «Ihr hattet also keinen Geschlechtsverkehr, um mich zu bekommen? Es war kein romantischer Abend? Es war nicht der schönste Sex eures Lebens?» Umso besser. Die Vorstellung, dass meine Eltern Geschlechtsverkehr hatten, um mich zu zeugen, war mir noch nie besonders geheuer.

Die meisten erzählten Antiutopien entpuppen sich in der Wirklichkeit als Utopien, als lebensqualitative Verbesserungen für die Menschheit. Wer heute aus Angst vor einer Welt, wie sie die Science-Fiction-Parabel «Gattaca» für unsere nahe Zukunft entwirft, in reproduktivem Biologismus Zuflucht sucht, der hat vormals mit demselben Folterinstrumentarium Wunderglauben und Geozentrismus erzwungen. Freilich liegt es in der Natur der Sache, dass sich die biologische Reproduktion und die gentechnologische beissen. Pille verboten, Stammzellen verboten. Wer kann, der kann. Wer nicht – dann hat Er es so gewollt. Seid dankbar, wenn ihr keine Eltern werdet, immerhin macht ihr der Erbsünde den Garaus. Es wundert nur, dass mit Blick auf diese Logik nicht auch Kaiserschnitte verboten werden, steht doch die Sectio im krassen Gegensatz zur Natur. Das Leben bahnt sich seinen Weg – dieser Satz verliert mit jedem Kaiserschnitt an Gehalt.

Aber soll das Kind nicht leben, nur weil es den Weg ans Licht nicht findet, es keine oder zu wenig Muttermilch gibt? Noch vor hundert Jahren hiess es, dass beim Kaiserschnitt entweder Mutter oder Kind überlebe, nicht aber beide. Und heute haben Frühgeborene in der 24. und 25. Schwangerschaftswoche eine Überlebensrate von bis zu 85 Prozent, ab der 28. Schwangerschaftswoche von über 90 Prozent. Umgekehrt mag der Embryotransfer, also die künstliche Einbringung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter, heute noch sehr früh, 72 Stunden nach Befruchtung der Eizellen, stattfinden. Aber was, wenn es medizinisch angezeigt sein sollte, die Einbringung in die Gebärmutter zu verzögern? Entsprechend den wärmenden Brutkästen für Frühchen wird es schon bald die hormonelle Nährlösung für Embryonen geben. Erst für 144 Stunden, dann für 168 Stunden (eine Woche), dann für zwei Wochen, zehn Wochen, 40 Wochen. Ist das denn schlimm, wenn Menschen so ihr genetisches Recht auf Fortbestand verwirklichen?

Die Angst vor dem Leben aus dem Labor geht Hand in Hand mit der Menschheitssehnsucht, Leben zu erschaffen. Der groteske Widerspruch dieser Angst liegt darin, dass wir die biogenetische Kontrolle als bioethischen Kontrollverlust fehldeuten. Das Gegenteil ist der Fall. Die natürliche Zeugung, das spontane, in der Geschichte des Menschen viel zu häufig durch Alkohol und sonstige Drogen beeinflusste, mitunter gar erzwungene Aufeinandertreffen des männlichen Spermiums und der weiblichen Eizelle ist der grösste anzunehmende Kontrollverlust des Menschen über seinen Körper. Und es ist mit Blick auf das Menschenleben bloss ein scheinbarer Trost, dass dieser Kontrollverlust längstens bis zu dem Tag anhält, an dem bei der Frau die Regel ausbleibt und man sich an den Nestbau macht.

 


Dieser Text ist der zweite Teil der Essayserie «Goodbye Sexus!», die Josef Girshovich exklusiv für dieses Magazin verfasst. Bisher erschienen: «Der Uterusneid des Mannes» (Schweizer Monat 1011, November 2013).

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