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Hundert Billionen Dollar

Hyperinflation im 21. Jahrhundert: Simbabwe als Lektion für Zentralbanker

Wir nannten es das «Gekochter-Frosch-Syndrom». Ein Frosch fühlt sich wohl in kaltem Wasser. Wenn man ihn in kochendes Wasser wirft, dann tut er alles, um dem Hitzetod zu entkommen. Setzt man ihn jedoch in lauwarmes Wasser und erhöht langsam die Temperatur, dann unternimmt er keine Anstrengung, aus dem Wasser zu springen – bis es zu spät ist.

Wie dem gekochten Frosch erging es allen, die zwischen 2006 und 2008 in Simbabwe lebten. Während dieser bewegten Zeit schlitterte das Land von einer rasanten Inflation über eine Hyperinflation (offiziell 50 Prozent pro Jahr) in eine rekordverdächtige Superhyperinflation von 79 Milliarden Prozent pro Monat (November 2008).* Die Preise verdoppelten sich innerhalb von 24 Stunden (extremer gar als während der Inflation in der Weimarer Republik von 1923). Zwischen 1999 und 2009 zogen deshalb Hunderttausende von Menschen von Simbabwe nach Südafrika, Europa, Australien oder in die USA – das Land verlor damit eine Masse hochqualifizierter Arbeiter.

Für jene, die in Simbabwe blieben, wurde das Überleben unter Bedingungen der Inflation zur allgegenwärtigen Herausforderung. Elektronische Transaktionen waren nur teilweise möglich. Weil die Preise innerhalb eines Tages oder sogar innerhalb weniger Stunden rasant anstiegen, musste man deshalb ständig Geld bei sich haben, um sofort einkaufen zu können. Sofern man zu lange zuwartete, bekam man das Gewünschte nicht mehr für die ganzen Noten, die man mit sich schleppte.

Die realen Einkommen sanken während der Hyperinflation dramatisch. Wenn die Angestellten jeweils ihre Löhne erhielten, war deren Wert bereits rasant gesunken. Um nicht weitere Einbussen zu erleiden, mussten die Arbeiter das Geld nach Erhalt sogleich ausgeben. Das wurde jedoch dadurch erschwert, dass die Zentralbank den Betrag limitierte, der pro Tag vom jeweiligen Lohnkonto abgehoben werden konnte. Dafür gab es einen einfachen Grund: die Notenpressen konnten auf die Schnelle nicht genügend physisches Geld nachdrucken.

Golftaschen als Portemonnaies

Die Hyperinflation in Simbabwe – und das gilt für jede Hyperinflation – war ein monetäres Phänomen und wurzelte in exzessivem Gelddrucken durch die Reserve Bank of Zimbabwe. Die letzte gedruckte Banknote im Januar 2009 hatte einen Wert von 100 Billionen Simbabwe-Dollar. Golftaschen wurden nützliche Portemonnaies, um das in Ziegelsteinform gebündelte Geld herumzutragen.

Wie konnte es so weit kommen, dass vor aller Augen ganze Vermögen vernichtet wurden? Präsident Robert Mugabes Unterstützung in der Bevölkerung beruhte auf Günstlingswirtschaft und politischer Patronage. Als er 1997 die Pensionen von Kriegsveteranen auf ein Niveau erhöhte, welches sich das Land nicht leisten konnte, halbierte sich der Wert der Währung innerhalb weniger Tage. Das war sozusagen der Startschuss zur Beschleunigung der bereits bestehenden Inflation. Anfang 2000 überfielen Günstlinge von Mugabe kommerzielle Landwirtschaftsbetriebe, wobei die Behörden begannen, deren Besitzer zu enteignen. Die Landwirtschaft war das Rückgrat der simbabwischen Wirtschaft. Zwischen 2000 und 2009 halbierte sich folgerichtig das Bruttosozialprodukt. Während die Wirtschaftsleistung sank und die Inflation in die Höhe schoss, wurde der Chef der Zen­tralbank zum eigentlichen Architekten einer zentralen Planwirtschaft. Die Preise wurden von oben festgelegt, ausländische Währungen kontrolliert, und ohnehin schon beschränkte Ressourcen wurden den Wirtschaftsakteuren durch die Zentralbank zugewiesen. Die Wirtschaft brach zusammen, die Regale der Supermärkte leerten sich. Lokale Hersteller hatten keinen Zugang zu ausländischen Währungen, um Rohstoffe zu importieren. Die Produktion in den Fabri­ken wurde eingestellt oder stark gedrosselt. Die Auslastung und der Beschäftigungsgrad in der Industrie sanken dramatisch.

Der Bergbau, eine wichtige Quelle für ausländische Devisen, kam ebenfalls zum Erliegen, denn die Zentralbank kaufte neues Gold nur noch mit Simbabwe-Dollars – die sie natürlich selber druckte. Den Verkäufern blieb nichts anderes übrig, als das beinahe wertlose Geld zu akzeptieren.

Florierender Schwarzmarkt

Als ausländische Währungen aufgebraucht waren oder knapp wurden, «borgte» sich die Zentralbank die ausländischen Devisen, die lokale Unternehmen auf ebenfalls ausländischen Bankkonten deponiert hatten. Mit dem Geld finanzierte die Zen­tralbank daraufhin die Regierung und sich selbst. Die Gläubiger warten noch heute auf ihr Geld – Geld im Wert von mehr als einer, vielleicht auch mehrerer Milliarden US-Dollar, das weiss niemand so genau.

Als die Anzahl von Nullen unüberschaubar wurde, begannen sogar die Computersysteme ihren Geist aufzugeben. In der Folge entfernte die Zentralbank 2009 einfach 23 Nullen der Originalwährung.

Die Auswirkungen auf Ersparnisse waren verheerend, denn sie konnten nicht mit den schnell ansteigenden Preisen mithalten. Die Zinsen auf Bankvermögen wurden bald wertlos, und die realen Zinsraten lagen praktisch bei null. Es bot sich also an, die Ersparnisse in Realwerte wie Immobilien, Aktien, Whisky, kurz: in alles, was man später für Güter oder Dienstleistungen eintauschen konnte, zu investieren.

Eine der liquidesten Anlagen, die Individuen, Firmen und Pensionskassen benutzten, waren Aktien, die auf der Zimbabwe Stock Exchange (ZSE) gehandelt wurden. Simbabwe hatte eine starke Aktienkultur. Der 1896 in Rhodesien eröffnete Aktienmarkt entwickelte sich zu einem der grössten in Afrika.

Der an der ZSE gehandelte Versicherungskonzern Old Mutual, der freien Handel mit Südafrika betrieb, wurde deswegen bald zum Massstab für den Wechselkurs von Simbabwe. Old Mutual wurde in London mit Sterling gehandelt und in Harare mit Simbabwe-Dollars – dadurch entstand ein impliziter Wechselkurs, der als Old Mutual Implied Rate (OMIR) Bekanntheit erlangte. Der von der Zentralbank kontrollierte offizielle Wechselkurs hingegen war schon bald so weit vom Marktkurs entfernt, dass er irrelevant wurde. Die OMIR wurde zur Benchmark, mit deren Hilfe der Markt Güter und Dienstleistungen bewertete. Und sie wurde zum Mass für die Hyperinflation. Je mehr der Aktienpreis in Simbabwe stieg, desto mehr stiegen die Güterpreise und umgekehrt. Also versuchte die Zentralbank, den Preis von Old Mutual zu kontrollieren. Letztlich erzwang die Zentralbank die Schliessung der Zimbabwe Stock Exchange im November 2008.

Angesichts so grosser, in börsenkotierte Unternehmen gesteckter Ersparnisse – und weil grosse Teile des Umlaufkapitals in Realwerte investiert wurden – sowie angesichts des grossen investierten Umlaufkapitals waren die Tage der Hyperinflation gezählt. Ende 2008 akzeptierten nur noch wenige Leute Simbabwe-Dollars als Zahlungsmittel. Der Schwarzmarkt für Güter und Dienstleistungen, die im informellen Sektor erhältlich waren, gedieh prächtig – aber nur zu hohen Preisen in südafrikanischen Rands oder US-Dollars.

Die Zentralbank reagierte umgehend. Sie verlangte, dass Geschäfte, in denen legal mit ausländischen Währungen gezahlt werden konnte, eine Lizenz erwarben, die mit US-Dollars von der Zentralbank gekauft werden musste. Doch war die Massnahme Ausdruck von Verzweiflung. Im Februar 2009 gab das Land den Simbabwe-Dollar vollständig auf und richtete ein Währungssystem ein, in dem Dollar, Pfund, Euro und Rand frei und legal benutzt werden konnten. Innerhalb von sechs Monaten wurde der US-Dollar zur bevorzugten Austauschwährung. Das ist er auch heute noch. Der ZSE eröffnete wieder im Februar 2009 – mit Aktienpreisen, die in US-Dollars und -Cents angegeben wurden.

Nun geht es wieder aufwärts

Natürlich wurden alle Bankguthaben, Schulden und Bargeld in Simbabwe-Dollars wertlos. Die einzigen Gegenstände, die noch einen Wert besassen, waren Realwerte wie Immobilien, Aktien oder Whisky. Diese Anlagen konnten nun in Dollars verkauft werden. Ebenfalls in Dollars gezahlt wurden die Löhne, die anfangs tief waren, denn Firmen mussten zuerst die Dollars erwirtschaften, mit denen sie ihre Angestellten bezahlen konnten. Als die Reallöhne das erste Mal innerhalb eines Jahrzehntes stiegen, hob der Konsum ab. Heute sind alle Regale der Supermärkte Simbabwes wieder voll.

2009 betrug die Inflation minus 7 Prozent, es herrschte also Deflation. 2010 betrug sie 3,2 Prozent. Das Wachstum erreichte 2010 ganze 8,5 Prozent. Für 2011 werden 10 Prozent erwartet, vielleicht mehr. Die Kontrolle von Preisen und Währungen wurde mit der Einführung des Dollars abgeschafft. Der freie Markt funktioniert. Die Landwirtschaft erholt sich, die Produktion von Tabak, Baumwolle, Mais und Zucker nimmt laufend zu. Der Bergbau boomt. Die Bergbauwerke erhöhen die Produktion von Platin, Gold, Chrom, Diamanten und Kohle. Die Zahnräder drehen sich wieder, aber diesmal sind sie getrieben durch die Dynamik der Marktwirtschaft. Die Zentralbank hat noch die Rolle der Bankenregulatorin und des Aufsichtsorgans über die Wirtschaft. Die Geldpolitik Simbabwes wird jedoch faktisch von der amerikanischen Fed betrieben. Viele Angestellte der Zentralbank Simbabwes wurden deshalb arbeitslos.

Für jene, die wie ich und das Personal von Imara in Simbabwe blieben, war die Einführung des amerikanischen Dollars ein buchstäblich cooler Segen; die Flamme, die den Frosch langfristig kocht, wurde erstickt. Das Potential der simbabwischen Wirtschaft ist trotz der korrupten Politik und der fehlerhaften Übergangsregierung gewaltig.

In einer Zeit, in der Zentralbanker in allen Teilen der Welt Geld drucken, täten sie gut daran, sich an das zu erinnern, was in den letzten fünf Jahren in Simbabwe geschah.

 

*Steven H. Hanke und Alex K. F. Kwok.
«On the Measurement of Zimbabwe’s Hyperinflation», in: Cato Journal, Vol. 29, No. 2, 2009.

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