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Hohe Renditen sind nicht gratis
Hansruedi Scherer, zvg.

Hohe Renditen sind nicht gratis

Pensionskassen könnten mehr Geld verdienen, wenn sie mehr in Aktien anlegten. Doch das ist gefährlich: Denn aufgrund der Rentengarantien und der Schwierigkeit von Sanierungen ist die Risikofähigkeit der Kassen limitiert.

 

Das Sparkapital bei der Pensionskasse ist für die meisten Versicherten grösser als ihr Vermögen, das sie direkt verwalten und versteuern. Entsprechend wichtig ist es, dass die Pensionskassen ihr Anlagevermögen effizient und gewinnbringend verwalten. Daran gibt es allerdings Zweifel. So erstaunt es selbst Fachleute, dass die Ak­tienquoten nicht höher und die Obligationenquoten nicht tiefer sind. Wird dadurch nicht viel Rendite verschenkt?

Es lohnt sich, einige Missverständnisse rund um die Anlagen von Pensionskassen zu beseitigen.

Unendlicher Anlagehorizont?

Oft wird auf den langen Anlagehorizont von Pensionskassen verwiesen. Aus Sicht des Versicherten und des Gesamtpensionskassensystems stimmt dies annäherungsweise: Bei voller Verweildauer im System bezahlt ein Aktiver heute mindestens 40 Jahre Sparbeiträge und bezieht dann im Durchschnitt zwischen 20 und 25 Jahre eine Rente: Sein Anlagehorizont ist zwar nicht unendlich, aber doch sehr lange.

Diese Sichtweise blendet aber zwei zentrale Punkte aus: Erstens gilt der lange Anlagehorizont nicht jederzeit für jeden Versicherten und zweitens nicht für die einzelne Pensionskasse. Mit zunehmendem Alter sinkt der Anlagehorizont der Versicherten. Für einen 100jährigen Rentner ist es schwierig, einen Börsencrash auszusitzen. Gegen diese Sichtweise wird oft angeführt, dass für die älteren Versicherten (mit kurzem Anlagehorizont) die jüngeren Versicherten (mit langem Anlagehorizont) die Anlagerisiken tragen sollten – sie würden dann später auch von dieser Risikoübernahme durch die Jüngeren profitieren. Damit wird allerdings das Kapitaldeckungsverfahren der zweiten Säule durchbrochen und ein Umlageelement geschaffen.

Die rasch steigende Anzahl von geschlossenen Rentnerkassen (ohne aktiven Arbeitgeber und ohne aktive Versicherten) zeigt, wie trügerisch das Argument des unendlichen Zeithorizonts ist. Aus Sicht der einzelnen Pensionskasse ist die Annahme eines unendlichen Zeithorizonts daher eine sehr gefährliche Illusion. Die Firmenwelt ist geprägt von schnellen Veränderungen, die auch grosse Auswirkungen auf die betroffenen Pensionskassen haben. Die Versichertenstruktur einer Pensionskasse kann sich abrupt verändern und damit auch ihre Fähigkeit, die poten­tiell vorhandenen Umlageelemente zu verdauen.

Die Erfahrung lehrt, dass riskante Anlagekategorien wie Aktien zwar stark an Wert verlieren können, dass sich die Kurse und damit auch die Renditen aber auch wieder erholen. Manchmal geht es schnell wie im Jahr 2020 und manchmal länger: So dauerte es über sechs Jahre, bis die Verluste der Finanzmarktkrise wieder wettgemacht waren. Die Beobachtung, dass sich Aktienmärkte in der Vergangenheit irgendeinmal wieder erholt haben, kann zum gefährlichen Schluss führen, dass Aktien nur kurzfristig riskant seien, aber mit zunehmendem Anlagehorizont (die Pensionskasse kann abwarten, bis sich die Kurse wieder erholt haben) nicht mehr riskant seien.

Leider ist die Wirklichkeit nicht ganz so einfach: Zwar sinkt die Wahrscheinlichkeit mit zunehmender Anlagedauer, dass Aktien eine tiefere Rendite aufweisen als beispielsweise Obligationen. Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit: In den wenigen Fällen, in denen sie schlechter sind als Obligationen, kann ihr Renditenachteil dafür über die Zeit sehr gross werden. Oder anders gesagt: Je länger Geld angelegt werden kann, desto höher ist die Chance, die angestrebte Rendite auch wirklich zu erreichen, aber es bleibt immer ein Restrisiko, und dieses kann quantitativ erheblich sein. Dass Aktien eine Risikoprämie abwerfen, ist letztlich Ausdruck dieses Restrisikos. Es braucht jemanden, der bereit und fähig ist, die Restrisiken zu tragen. Dies bedeutet implizit eine Durchbrechung des Kapitaldeckungsverfahrens hin zu einer Umlagekomponente.

Illustration von Christina Baeriswyl.

Sind die Anlagebegrenzungen schuld?

Viele Beobachter glauben, dass die Anlagebegrenzungen gemäss Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2), etwa der maximale Aktienanteil von 50 Prozent, dazu führen, dass Pensionskassen zu defensiv anlegen. Dabei wird vergessen, dass Artikel 50 der Verordnung dem obersten Organ erlaubt, die meisten dieser Begrenzungen zu übersteuern, wenn es dies aufgrund der Risikofähigkeit der Pensionskasse verantworten kann. In der Praxis «verletzen» daher viele Pensionskassen die Begrenzungen, besonders jene für Immobilien, teilweise aber auch jene für alternative Anlagen und Aktien. Dass Pensionskassen nicht höhere Anteile an Aktien und alternativen Anlagen halten, liegt nicht an den Anlagebegrenzungen, sondern an ihrer mangelnden Risikofähigkeit.

Wirklich relevant für das heutige Anlageverhalten sind andere Faktoren: die Garantie der Renten, die beschränkten Sanierungsmöglichkeiten und das tiefe Zinsniveau.

Garantierte Renten

Je mehr Leistungen garantiert werden müssen, desto weniger Anlagerisiken können eingegangen werden: Wenn eine Zahlung mit 100prozentiger Sicherheit geleistet werden muss, dann muss sie risikolos refinanziert werden, ausser jemand übernimmt die resultierenden Anlagerisiken. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass der Garantiegeber Risiken trägt, für die er keine Entschädigung erhält. Wenn die aktiven Versicherten die Renten der Pensionierten garantieren und, um diese zu finanzieren, Risiken eingehen müssen, ist dies zwar systemfremd (Umlagekomponente), jedoch rechtlich zulässig. Die Frage ist aber, auf wie viel Rendite sie zu verzichten bereit sind und ob sie die übernommenen Risiken zusammen mit der Arbeitgeberin überhaupt tragen können.

Die lebenslängliche Garantie der Anfangsrente ist eine besonders grosse Herausforderung für die Pensionskassen, da der gesetzliche Mindestumwandlungssatz weit über dem Satz liegt, der risikolos refinanziert werden kann.

Da Pensionskassen jederzeit über eine ausgeglichene finanzielle Lage verfügen müssen, können sie nicht jeden beliebigen Aktien- oder Immobilienmarktcrash aussitzen. Sie müssen geeignete Massnahmen ergreifen, um die entstandene Unterdeckung wieder zu schliessen. Welche Massnahmen zulässig sind, hat der Gesetzgeber definiert.

Die meisten Sanierungsmassnahmen sind für die Versicherten schmerzhaft (impliziter Lohnverzicht durch ­A-fonds-perdu-Sanierungsbeiträge oder ausbleibende Verzinsung der Sparkapitalien und dadurch tiefere Renten). Sie können daher nicht über eine lange Zeitperiode angewendet werden. Man darf zudem nicht vergessen, dass Sanierungen dann notwendig werden, wenn Pro­bleme in der Realwirtschaft bestehen und weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber über tiefe Taschen verfügen.

Die (fehlenden) Sanierungsmöglichkeiten, kombiniert mit den zu leistenden Garantien, stellen in der Praxis meist die limitierenden Faktoren für das Risiko der Anlagestrategie dar.

Tiefe Zinsen

Als das heutige BVG in den späten 1970er- respektive frühen ’80er-Jahren konzipiert wurde, war nicht nur die Lebenserwartung deutlich tiefer als heute, sondern auch das Zinsniveau viel höher. Die heutigen Umwandlungssätze basieren zu einem wesentlichen Teil noch auf dieser historischen Zinssituation. So beträgt der gesetzliche Mindestumwandlungssatz immer noch 6,8 Prozent, obwohl er heute, gegeben die Rentengarantie, bei rund 3,5 Prozent liegen müsste, wenn keine Umverteilung beabsichtigt wird. Der im Rahmen der laufenden BVG-Reform angestrebte Mindestumwandlungssatz von 6 Prozent basiert immer noch auf einem Zinsniveau, das nichts mit der heutigen Realität zu tun hat.

Effektiv zwingt der viel zu hohe Mindestumwandlungssatz Pensionskassen (besonders rentnerlastige Kassen) teilweise dazu, zu hohe Risiken einzugehen, um dennoch die notwendige Rendite zu erreichen. Da wir auf zehn weit überdurchschnittlich gute Anlagejahre zurückblicken, ist daraus nur in Ausnahmefällen ein Schaden entstanden. Sollte allerdings eine längere Aktienbaisse auftreten, werden auf die aktiv Versicherten und die Arbeitgeber hohe Belastungen zukommen.

Überreguliertes System

Wir alle wünschen uns sichere und ertragreiche Pensionskassenanlagen. Der Gesetzgeber hat daher auf mehreren Ebenen Schutzmechanismen eingebaut: Er schützt die Versicherten mit dem Mindestzins, er schützt sie und die Allgemeinheit mit Anlagerestriktionen und er schützt die Rentner vor Leistungskürzungen. Leider ist dies ein typisches Beispiel von Überregulierung – jede einzelne Massnahme ist gut begründet, aber in der Summe führen sie zu einer Überdefinition des Systems. Wir können nicht hohe Minimalleistungen verlangen und gleichzeitig hohe Renditen erwarten.

Der Ball liegt bei der Politik und den Stimmbürgern: Soll weiterhin der Sicherheit der Renten und der Stabilität der Verzinsungen die höchste Priorität eingeräumt werden, oder werden flexiblere, dafür im Durchschnitt höhere Leistungen angestrebt? Wie viel Umverteilung zwischen den Generationen wird in der zweiten Säule toleriert?

Die berufliche Vorsorge ist eine wichtige und effiziente Säule des Vorsorgesystems. Die durchschnittlichen Vermögensverwaltungskosten betragen nur rund ein Viertel jener bei Privatanlagen.

Schade ist, dass heute viel Energie für Scheinoperationen am falschen Ort verschwendet wird: Weder die Einführung einer separaten Quote für Infrastrukturanlagen (seit 2020) noch die potentielle Abschaffung der BVV-2-Anlagevorschriften (siehe dazu S. 22/23) werden einen messbar positiven Beitrag zur Lösung der anstehenden Her­ausforderungen leisten können. Um eine solche zu finden, müssen wir uns zunächst bewusst machen, dass hohe Renditen bei tiefem Risiko eine Illusion bleiben werden.

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