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Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 12, W–Z

Basel: Schwabe Verlag, 2005

Über dreissig Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes (Buchstaben A–C) findet das Projekt «Historisches Wörterbuch der Philosophie» mit dem zwölften und letzten, dem Band der Buchstaben W–Z einen Abschluss. Es fehlt nur noch der Registerband, der noch einmal weitere Wege durch die wahrhaft gigantische Menge der Artikel und Einträge (3’670 auf 17’144 Spalten im Grossformat) verspricht. Das Werk hat seinen festen Platz in den Bibliotheken der Universitäten. Die Auflage von 15’000 Exemplaren richtet sich jedoch auch an ambitionierte Privatleute und Forscher, in der ganzen Breite des Faches Philosophie und über dieses hinaus. Wer auf irgendeine Weise von der Bedeutung philosophischer Erkenntnis für sein und seiner Zeitgenossen Leben überzeugt ist und den jeweiligen Stand der philosophischen Einsicht für ein Ergebnis historischer Entwicklung hält, wird vermutlich schon einmal einen Band des Historischen Wörterbuchs zu Rate gezogen oder zumindest eine entsprechende Empfehlung erhalten haben.

Die Herausgeber und Verfasser der Artikel sind anerkannte Fachgelehrte (mehr als 1’500), und auch wenn es nicht noch andere Quellen dafür gäbe, so könnte man allein an den editorischen Entscheidungen und der inhaltlichen Ausrichtung der einzelnen Artikel den Wandel des Faches Philosophie innerhalb der letzten vier Jahrzehnte ablesen. Nicht von Anfang an – die ersten Pläne datieren zurück auf das Jahr 1960 und hatten drei Bände vorgesehen – hatte man ein solch monumentales Werk ins Auge gefasst. Dass sich die Philosophie über ein philosophiehistorisches Nachschlagewerk erschliessen lasse – davon waren die ersten Herausgeber J. Ritter und K. Gründer sicher überzeugt. Doch es ist fraglich, ob man wirklich den Anspruch erhoben hätte, den das vollendete Werk durch seinen Umfang faktisch erhebt: dass sich die Philosophiegeschichte ohne Verlust nach lexikalischen Vorgaben gleichsam auseinandernehmen und dann wieder zusammensetzen liesse, wenn man nur kleinteilig genug vorginge. Der später hinzugekommene Herausgeber G. Gabriel stellt sich verständlicherweise hinter die Entwicklung, die zu den aussergewöhnlichen Ausmassen geführt hat, wird jedoch die Änderung der inhaltlichen Ausrichtung des letzten Bandes wohl selbst mitgetragen haben. Die Analytische Philosophie, einstmals mit dem Vorwurf bedacht, sich um die Bestände der philosophischen Tradition zu wenig zu bekümmern, ist in das Feld der begriffsgeschichtlichen Forschung eingedrungen und reklamiert nun auf diesem Wege, dass die Entwicklung ihre Methoden rechtfertige. Man kann das zum Beispiel an Benennung, Einteilung und Gewichtung des Artikels «Wahrheit» für das 20. Jh. erkennen. Nacheinander werden aufgeführt «A. Kontinentale Philosophie» (9,5 Spalten), «B. Psychoanalyse» (2 Spalten) und «C. Analytische Philosophie» (8,5 Spalten). Unter «A. Kontinentale Philosophie» werden die disparaten Vorstellungen der Phänomenologie, der Existenzphilosophie, der Hermeneutik, der Kritischen Theorie und der sogenannten «Dialogphilosophie» (Buber) bis hin zum französischen Strukturalismus, gemäss dem Usus in Analytikerkreisen, auf einen Nenner gebracht und, weil in der Sache nichts sie eint, unter dem geographischen Etikett «kontinental» zusammengefasst. Obwohl sie alle geeignete Alternativen zu der Vorstellung der Analytischen Philosophie sind, suggeriert die Gegenüberstellung «kontinental – analytisch», es gebe nur eine Wahl, und wertet damit die Analytische Variante auf. Denselben Effekt hat natürlich auch schon die Entscheidung, den analytischen Vorstellungen beinahe denselben Raum für die Darstellung zuzugestehen wie den «kontinentalen» Vorstellungen zusammen. Und zuletzt spricht die Stellung der Analytischen Philosophie am Ende der chronologisch geordneten Reihe dasselbe noch ein drittes Mal aus: dass sie selbst die modernste und fortschrittlichste Variante der Wahrheitsvorstellungen zu bieten habe.

Der vorliegende letzte Band enthält, ausser dem Artikel «Wahrheit», alphabetisch bedingt noch weitere fundamentale Begriffe der Philosophie, etwa «Wahrnehmung», «Wissen und Wissenschaft», «Welt», «Wert», «Wille», «Zeichen», «Zeit», «Zweck». Es ist dabei unvermeidlich, dass der Leser, zumal beim Blick auf den Umfang dieser Artikel, umfassende und hohe Erwartungen entwickeln wird. Grundlegungen aber kann ein Lexikon selbstverständlich nicht bieten. Im besten Falle – und einige, nicht alle Autoren des Historischen Wörterbuchs leisten dies – wird das philosophische Problem anhand der Nachzeichnung seiner historischen Lösungsversuche klar und durchsichtig. Häufig besteht ein Artikel aber auch «nur» aus einer beinahe zusammenhanglosen Folge sehr vieler zeitlich aufeinanderfolgender Positionen, bei denen lediglich zwei Sätze zur Kennzeichnung plus Namen ihres Vertreters genügen müssen. Das ist immer noch hilfreich für einen Leser, der das Problem schon kennt und nach Informationen sucht, wo er weiterforschen kann, aber enttäuschend für den, der mehr erwartet. So erfreuen am Ende die kleinen Artikel mehr als die grossen Artikel zu den fundamentalen Begriffen, weil es von unschätzbarem Vorteil ist, zu abseitigen Themen, wie zum Beispiel dem der «Wirbeltheorie», überhaupt erste wissenschaftlich fundierte Information zu erhalten. Was aber soll man von einem Artikel halten, der das grundlegende Problem des «Willens» auf 32 Spalten behandelt und der Position Kants ganze 13 Zeilen, nicht einmal einen eigenen Abschnitt, widmet – sie wird mit der Rousseaus zusammen behandelt, die 4,5 Zeilen für die volonté générale erhält –, obwohl Kants Vorstellung vom «freien Willen» als Schlüssel zu seiner ganzen Philosophie angesehen werden darf, ferner diese Position noch heute fundamentale Bedeutung hat und dies auch von dem Verfasser des folgenden Absatzes über die auf Kant folgenden Willenskonzeptionen (Fichte, Hegel, Schelling, Schopenhauer usw.) bestätigt wird?

besprochen von Andreas Eckl,

geboren 1959, Privatdozent für Philosophie an der Universität Bonn.

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