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Hinein ins Bild

Bilder streben in die Fläche. Für einen Schriftsteller besteht so gesehen die Herausforderung bei der Bildbetrachtung darin, diese Flächigkeit sprachlich zu meistern. Ein Bild schreibend zu erkunden, kann freilich nicht heissen, es einfach nachzuerzählen. «Wichtig ist dabei weniger die Beschreibung der äusseren Gestalt als jenes Erleben und Empfinden, das sich im Gemalten öffnet und das […]

Bilder streben in die Fläche. Für einen Schriftsteller besteht so gesehen die Herausforderung bei der Bildbetrachtung darin, diese Flächigkeit sprachlich zu meistern. Ein Bild schreibend zu erkunden, kann freilich nicht heissen, es einfach nachzuerzählen. «Wichtig ist dabei weniger die Beschreibung der äusseren Gestalt als jenes Erleben und Empfinden, das sich im Gemalten öffnet und das nur der poetischen Anschauung zugänglich ist.» Dies schreibt Michel Mettler im Vorwort zu einer Reihe von Texten, in denen er in Bilder eintaucht, um sich an ihrem Grund selbst wieder zu begegnen. Er zielt dabei nicht auf kunsthistorische Analysen ab, sondern trachtet danach, die «deutungsbedürftige, sich immer wieder allem Verstehen entziehende ‹Wirklichkeit›» innerhalb eines Bildes für sich aufzuschlüsseln.

Als Vorlage dienen Meisterwerke der Malerei von Hieronymus Bosch bis Vincent van Gogh – also Gemälde, die in unterschiedlichen Formen der gegenständlichen Darstellung und somit dem Erzählen verpflichtet sind. In Gustave Courbets loderndem Selbstporträt als bestürzter Künstler erkennt Michel Mettler ein Ungestüm wieder, das von der Kunst alles einfordert. Und Hieronymus Boschs «Der Taschenspieler» verwandelt sich in eine kleine Gesellschaftskunde, worin Dummheit und Gier miteinander verschmelzen.

«Ich sehe ein Gesicht und darunter die nächste Maske auf der Lauer», notiert Mettler über Francis Bacons verstörendes Porträt Michel Leiris’. Wiedererkennbarkeit und Verformung halten sich darin auf riskante Weise in Schach, permanent bedroht, in Fratzenhaftigkeit abzurutschen. Wohl auch deshalb, bemerkt der Betrachter, sind Bacons Visionen «so bedrängend, so unausweichlich: weil ihre Monstrosität eng ans ‹Normale› grenzt.»

Michel Mettlers Betrachtungen variieren. Mal stecken sie den Bildraum präzise ab, um darin das zentrale Motiv einzugrenzen, mal greifen sie unweigerlich ins Erinnern aus, oder sie resümieren, wie im Falle von Heinrich Wölfli, aus dem Bild heraus einen biographischen Kosmos, in dem alles wahres Abbild und zugleich Neuerfindung ist. Seinen Betrachtungen gemeinsam ist die akkurate Auswahl der Bilder. Jede dieser eindrücklichen Vorlagen lohnt eine weitergehende Auseinandersetzung, wozu Michel Mettler höchst anregende Impulse gibt.

Michel Mettler: «Der Blick aus dem Bild». Frankfurt a.M.: Insel, 2009

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