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Herrscher im Wettbewerb

Murten als liberales Vorbild.

 

Wie viele andere auch blieben wir in diesem Coronavirus-Jahr für die Sommerferien im Land und besuchten Murten, ein Bilderbuchstädtchen, das ich bisher nur aus dem Geografieunterricht kannte (erste und zweite Juragewässerkorrektion). Das Dreiseenland ist auch herrschaftsgeschichtlich spannend, was sich in den zersplitterten Kantonsgrenzen spiegelt, wie ich sie sonst nur von meiner Heimatregion Basel kenne. Wie oft in der Schweiz verlaufen Sprach- und Konfessionsgrenzen nicht parallel, sondern bilden ganz spezielle Kon­stellationen ab: So befindet sich das heute freiburgische Murten, mehrheitlich deutschsprachig und mehrheitlich reformiert, doppelt in der Minderheit.

Wie das kam, erfährt man im Ortsmuseum: Zwischen Karl dem Kühnen und Napoleon dem Grossen – die Franzosen prägten unser Land stärker als die Österreicher – teilten sich Bern und Freiburg die Herrschaft über Murten. Nach der Reformation gab es eine Volksabstimmung (!), welchen Glauben man glauben sollte. Die Murtener votierten eher knapp pro Reformation, worauf sich Freiburg in seiner Herrschaft mehr auf Ordnung und Sicherheit und Bern auf die Kultusangelegenheiten von Schule bis Kirche konzen­trierte. Jeweils einer der beiden Stände stellte für fünf Jahre den Landvogt. Dessen Urteil konnte beim jeweils anderen angefochten werden. Sprich: War Murten mit der Berner Herrschaft nicht zufrieden, reklamierte man in Freiburg – und umgekehrt.

Die nur bescheidenen Barockanwandlungen im Stadtbild von Murten zeigen auch architektonisch, dass der Absolutismus nie wirklich das schweizerische Ordnungsmodell war. Im Gegenteil bestach das hiesige Ancien Régime durch echte Gewaltenteilung: Gnädige Herren stiessen sehr rasch und sehr nahe auf andere gnädige Herren. Diese kleinteilige Obrigkeit, Basis von Wettbewerb und damit Fortschritt, kann noch heute als Vorbild dienen. Es muss nicht sein, dass unser Land immer zentralistischer wird.

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