Herren gegen Bauern
Vom Befreiungskampf zum «Kriegsverbrechen» Vor 350 Jahren, am 8. Juni 1653, endete eine der düstersten und schlimmsten Krisen der Schweiz: der Schweizer Bauernkrieg. Er wurde in Kriegsverbrecherprozessen erstickt und verstärkte in grossen Gebieten der Alten Eidgenossenschaft die Unterdrückung der Landbevölkerung.
Rings um die Schweiz herum hatten sich im Laufe des 17. Jahrhunderts absolutistische Monarchien gebildet. Die Wechselwirkungen zwischen dem umliegenden Ausland und der Schweiz waren schon damals intensiv, und die Aufrechterhaltung des Sonderfalls politisch selbstbestimmter freier Bauerngemeinden war nur in sehr beschränktem Ausmass möglich. In dieser Zeit begann man, das nahe Ausland mit seinen der Epoche entsprechenden, klassenbewussten Unterscheidungen nachzuahmen. Die Schweiz war, gemessen an der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, verhältnismässig dicht besiedelt. Verglichen mit der Bevölkerungszahl von 2,4 Millionen der damaligen Weltmacht England, brachte es die Eidgenossenschaft immerhin auf 1,2 Millionen Einwohner.
Aus demographischen Gründen war die Auswanderung notwendig, und das Reislaufen, das heisst der Dienst bei fremden Kriegsherren, brachte jene Entlastung, welche das Bevölkerungswachstum stabilisierte. Die Söldnerimporteure zahlten gut, aber das Geld floss nicht an die Söldner, sondern an die Vermittler. So entstand in der Eidgenossenschaft eine kleine Elite von reichen Patriziern, die sich selbst Adelstitel zulegten. Wenige «regierungsfähige Familien» beanspruchten und vererbten die politischen Ämter und begründeten damit unterschiedliche Rechtsstellungen. Dabei verschärfte sich der Graben zwischen Stadt und Land. Die reichen, über die tatsächliche Macht verfügenden patrizischen Familien regierten von der Stadt aus zunehmend selbstherrlich über das umliegende Land. Zudem schützten die Städte ihre Handwerker zu Ungunsten der Landbevölkerung. Auf dem Land sollte nach ihrer Meinung ausschliesslich Landwirtschaft betrieben werden. Die Hochnäsigkeit und Abgehobenheit der Regenten in der Schweiz führte dazu, dass sich diese nur noch ein vages Bild von der tatsächlichen Stimmung bei der Landbevölkerung machen konnten.
Konjunktureller Umschwung
1618 bis 1648 tobte der grausame Dreissigjährige Krieg in Europa. Die Schweiz sah sich veranlasst, gegen Ende dieses Krieges, für gewisse Mindestvorkehrungen zum Grenzschutz bei der Bauernbevölkerung, Steuern zu erheben. Da mangels Vernehmlassungen die Verständigung zwischen Stadt und Land, Patriziern und Bauern auch hier ausblieb, stiessen die Neuerungen auf Ablehnung und riefen Verbitterung hervor.
Der Krieg in Europa hatte in der Schweiz einen starken Konjunkturauftrieb bewirkt. Das Land hatte eine grosse Zahl von Flüchtlingen aufgenommen. Diese Flüchtlinge benötigten Unterkunft und Verpflegung. Die Bauern konnten ihre Produkte sehr gut verkaufen. Mit dem Westfälischen Frieden, dem Kriegsende von 1648, kehrten diese Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurück.
Die Folgen waren verheerend. Ein gewaltiger Preissturz auf landwirtschaftlichen Erzeugnissen setzte ein. Viele Bauern hatten sich, als ihr Gewerbe florierte, allzu sorglos verschuldet. Jetzt vermochten sie diese Schulden nicht mehr zu begleichen. Auch in den Städten kam es zur Wirtschaftskrise. Die Regierungen sahen sich gezwungen, wegen Geldmangels schlechtere Münzen in Umlauf zu bringen, die von den Bauern aber nicht oder nicht mehr rechtzeitig umgewechselt werden konnten. Waren die Kriege in der Schweiz früher religiös motiviert, kam es jetzt erstmals zu einem modernen Krieg. Konfessionelle Gegensätze waren wie weggeblasen. Die Grenze zwischen den Kriegsparteien verlief exakt entlang der Linie der sozialen und ökonomischen Gegensätze.
Volksaufstände
Nach diversen Volksaufständen unter dem Motto «Bauern gegen Herren» und «Bauernlandsgemeinde gegen Herrenlandsgemeinde» erliess die Eidgenössische Tagsatzung am 17. März 1653 in Baden eine scharfe Warnung an die Aufständischen. Die freiheitlichen Regungen und die Rückforderung vorenthaltener Rechte hatten im Entlebuch begonnen und griffen dann vom Kanton Luzern ins bernische Emmental hinüber, in den Aargau, ins Solothurnische, bis ins Baselbiet. Die Volksbewegung war nicht mehr zu stoppen. Zu viel Unverständnis und zu viel Erbitterung hatten sich angesammelt. Mit drei Tellen, in altertümlicher Tracht, machten die Bauern an grossen Massenveranstaltungen auf ihre Rechtsforderungen aufmerksam. So wurde der Krieg psychologisch vorbereitet und das Anliegen der Bauern breit abgestützt.
Am 21. Mai 1653 erschien der Obmann des vereinigten Bauernbundes, Niklaus Leuenberger (1615 – 1653), mit einem Heer von 16 000 Mann unweit der Tore Berns auf dem Murifeld. Der hoch angesehene Grossbauer aus Sumiswald verfügte über ein charismatisches Rednertalent und stach zudem durch seine rechtschaffene Haltung hervor. Auch die Gegenseite richtete daher stets das Wort an ihn und verhandelte mit ihm. Hoch zu Ross, in einen roten Mantel gehüllt und von einer Leibwache von 100 Mann geschützt sowie von zahllosen Sekretären begleitet, ritt er durch das Land und wurde verehrt wie ein Halbgott. Auf ihm ruhten alle Hoffnungen. Den Regierungen der Tagsatzungsorte fuhr zunehmend der blanke Schrecken in die Knochen.
Der überlistete Held
Die bedrängten Regierungen stellten sich angeblich verhandlungswillig. Bern wollte nur eines: diese «schrecklichen, gefährlichen Horden» vor der Stadt los werden. Niklaus Leuenberger hatte zwar Charisma, aber beim Verhandeln mit den politisch Mächtigen fehlte ihm die Erfahrung. Der intrigengewohnten Berner Obrigkeit war der rechtschaffene, auf Konsens bedachte und in Ehrfurcht vor der Regierung erzogene Mann nicht gewachsen. Er machte der Gegenpartei Zugeständnisse, ohne ein Pfand in der Hand zu behalten. Die Zugeständnisse der Berner Obrigkeit waren aber das Papier nicht wert, auf dem sie standen. Die Tagsatzung der Eidgenossenschaft erklärte dann die Verträge für null und nichtig und provozierte nun ihrerseits den Krieg.
Den drei Bauernführern – neben dem erwähnten Obmann Leuenberger der Entlebucher Hans Emmenegger (1604 -1653), der früher Landeshauptmann war und jetzt zum Generaloberst erkoren wurde, sowie Christian Schibi (1595 – 1653), einem gleichfalls charismatischen Anführer und früheren Wirt – standen nun allerdings Offiziere gegenüber, die gerade im Hinblick auf Kriegserfahrung von ganz anderem Kaliber waren. Zudem verfügte die Gegenseite über vergleichsweise hoch gerüstete und professionelle Truppen der Städte und der nicht aufständischen Bundesgenossen.
Bauernführer gegen professionelle Generalität
Von Zürich aus stiess General Hans Rudolf Werdmüller (1614 – 1677) gegen den Aargau vor. Mit 21 Jahren war der Haudegen noch als halber Jüngling von den Franzosen bereits zum Oberstleutnant befördert worden. Jetzt besiegte er, schneller als erwartet, die Bauern bei Mellingen und Wohlenschwil. Konzentrisch griff von Uri her General Sebastian Peregrinus Zwyer (1597 – 1661) an.
Zwyer war Regimentskommandant in mailändisch-spanischen Diensten gewesen, sodann kaiserlicher Gesandter und war sogar zum Feldmarschall-Leutnant und Reorganisator der kaiserlichen Armee aufgestiegen. Dieser hoch erprobte und zutiefst erfahrene General siegte bei Gisikon. In Bern aber sammelte sich ein Regierungsheer unter Sigismund von Erlach (1614 – 1699). Auch dieser dritte General blickte auf eine steile militärische Karriere zurück: In Frankreich war er bis zum Feldmarschall aufgestiegen.
Der brutale und zutiefst rücksichtslose Erlach, der später als sogenannter Bauernschlächter gebrandmarkt wurde, siegte rasch östlich von Bern. In Herzogenbuchsee wurde am 8. Mai 1653 dem Bauernaufstand endgültig das Rückgrat gebrochen.
Die Bauern hatten sich gegen die patrizischen Regierungen auf Rechtsgrundlagen berufen, die eindeutig belegten, dass sie nur die ihnen verweigerten Rechte wieder beanspruchten. Paradoxerweise hatten sie unter den Habsburger Vögten vor 1291 mehr Rechte genossen als unter dem Joch der eidgenössischen Patrizier. Aber in diesem Bauernkrieg ging es nicht ums Recht, sondern um die Macht. Und die Bauern waren bezüglich der Ausrüstung und der politischen und militärischen Erfahrung klar unterlegen. Ein Erfolg war unter diesen Bedingungen gar nicht möglich.
Masslose Rache
Die Angst, welche die Regierungen ausgestanden hatten, verleitete sie dazu, massiv Rache zu üben. Gerade weil man trotz des militärischen Sieges nach wie vor im schlechten Licht des Unrechts stand, musste energisch das Gegenteil propagiert werden. Auch die Gerichte wurden zum Instrument der Rache und der Propaganda. Spezielle Kriegsgerichte urteilten mit beispielloser Rachsucht und Brutalität, und Stimmen, die zur Milde rieten, verhallten wirkungslos.
Von den eidgenössischen örtlichen Kriegsverbrechergerichten wurden eigentliche Jagden veranstaltet. Selbst ein armer Schulmeister, der sich den Bauern als Schreiber zur Verfügung gestellt hatte, musste ins Deutsche Reich fliehen und wurde von Stadt zu Stadt gejagt, bis sich ein Fürst seiner erbarmte, ihn schützte und ihm Aufnahme gewährte. Aber Hunderte von Bauern hatten keine Chance. Sie wurden grausam gefoltert und schwer verstümmelt. Man zerschnitt ihnen die Ohren und die Zunge und verkaufte sie ins Ausland auf die Galeeren.
Speziell grausam wurden Leuenberger und Emmenegger gepeinigt, bevor sie geköpft wurden. Leuenberger wurde gevierteilt, und die Leichenteile wurden an den grossen Ausfallstrassen zur Schau gestellt. Am Schlimmsten erging es Schibi. Da er generell im Volk höchste Popularität genoss, musste man zu einer Lüge greifen. Man bezichtigte ihn der Hexerei und wollte ein Geständnis erpressen, um ihn vor dem abergläubischen Volk definitiv zu diskreditieren. Er wurde der schlimmsten Folter unterworfen und davon erst erlöst, als ihm der Kopf abgeschlagen wurde.
Eine zunächst wortbrüchige und nach dem militärischen Sieg unbeschreiblich grausame Regierung verliert auf die Dauer jede Legitimität. Die Schreckensherrschaft in der damaligen Eidgenossenschaft erregte vor allem im Entlebuch eine solche Verzweiflung, dass noch Monate später Ratsherren erschossen und Attentate verübt wurden.
Die Unterdrückung dauerte noch an die 150 Jahre, bis die Französische Revolution die Herrschaft der Städte über die Landbevölkerung brach und das Diktat Napoleon Bonapartes für neue Verhältnisse sorgte.
Dr. Johann Ulrich Schlegel, geboren 1948, ist nach langjähriger Tätigkeit als Mittelschullehrer für Philosophie und Deutsch und anschliessender Gerichts- und Verwaltungspraxis als freier Publizist tätig.